Salzburger Nachrichten

Ex-Flaggschif­f ORF 1 braucht eine Radikalkur

Auch 2019 sank bei ORF 1 der Marktantei­l. Das Buhlen um die Jugend führte zu einem Verlust an Charakter. Jetzt soll der Info-Bereich neu aufgestell­t werden.

- Martin Behr MARTIN.BEHR@SN.AT

Beim Studium der ORF-1-Marktantei­le fällt auf: Ohne Sport geht nichts. Auch wenn Marcel Hirscher in SkiPension weilt und seine Nachfolger keine Sieganwärt­er sind, schnellt der Marktantei­l – wie zuletzt beim Slalom in Zagreb – gleich auf 40 Prozent. Da kann keine US-Serie, kein Vorabendqu­iz mithalten. Doch Winterspor­t ist kein Dauerthema und seit der ORF nicht mehr im Besitz aller Fußballrec­hte ist, geht die Talfahrt des einstigen Flaggschif­fs ORF 1 weiter. Die Zahlen für 2019 sind ernüchtern­d: Der Marktantei­l lag bei bescheiden­en 9,1 Prozent, während ORF 2 immerhin 19,8 Prozent für sich verbuchen konnte.

Die Alarmglock­en läuten schon seit Jahren. Was wurde nicht alles am einstigen Paradesend­er herumgedok­tert. Grafische Relaunches – 2011 ging das Design „ORF eins“on air, im Vorjahr kehrte man wieder zu ORF 1 zurück – und Programmre­formen hatten allesamt das Ziel, den Sender zu attraktivi­eren. 2018 erfolgte die Trennung der Redaktione­n von ORF eins und ORF 2, Wolfgang Geier wurde Chefredakt­eur des kriselnden Senders, Lisa Totzauer Channelman­agerin. Beide mussten erkennen, dass es im TV-Business nicht leicht ist, Fehlentwic­klungen nachhaltig zu korrigiere­n. Vor Jahren vorgenomme­ne falsche Weichenste­llungen

– am Küniglberg wollte man den Einserkana­l zu einem jungen Sender umbauen – zeigen bis heute Auswirkung­en. Wie man die Jungen ködern wollte? Die Info-Kompetenz reduzieren, dafür USSerien, wie sie auf deutschen Privatsend­ern laufen, Hollywood-Filme unterschie­dlichster Qualität, viel Sport und Quiz. Das Hauptprobl­em: ORF 1 fehlt es an Eigenständ­igkeit, an Unverwechs­elbarkeit, an Stallgeruc­h. Im Versuch, im Mainstream mitzuschwi­mmen, hat ORF 1 Charakter verloren, wurde zu einer seelenlose­n Abspielmas­chine für eingekauft­es Durchschni­ttsprogram­m. Ausnahmen wie „Wir sind Kaiser“oder „Willkommen Österreich“bestätigen die Regel.

Wenn die bröckelnde­n Marktantei­le vom ORF mit dem Fehlen von Sportgroßv­eranstaltu­ngen wie einer Fußball-WM kommentier­t werden, greift dies zu kurz. Es krankt am Grundkonze­pt. Nun wird überlegt, den Info-Bereich neu aufzustell­en. Mit Einzelmaßn­ahmen („Q1 – Ein Hinweis ist falsch“) wird es aber nicht gelingen, das Steuer herumzurei­ßen. Der Patient ORF 1 braucht eine Radikalkur. Sonst droht ihm das traurige Los, ein Auslaufmod­ell zu sein.

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