Salzburger Nachrichten

„Iran handelt ausgesproc­hen rational“

Wenn sich die USA nun in Zurückhalt­ung üben, könnte eine weitere Eskalation ausbleiben, sagt Nahost-Experte Tim Petschulat.

- Das geistliche Oberhaupt des Iran: Ajatollah Ali Khamenei.

13 Racheszena­rien habe der Iran geprüft, verkündete Verteidigu­ngsministe­r Ali Shamkhani am Dienstag. Selbst die schwächste Option wäre „ein historisch­er Albtraum für die USA“, sagte er. In der Nacht auf Mittwoch zündete der Iran die nächste Stufe der Eskalation. Wird sich daraus ein Flächenbra­nd entwickeln? Welche Auswirkung­en hätte ein Krieg zwischen den USA und Iran für Europa? Nahost-Experte Tim Petschulat von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung den zu möglichen Auswirkung­en des Konflikts.

SN: Die Rache des Iran wurde groß angekündig­t. Nun fiel die Vergeltung für viele Beobachter eher „sorgsam dosiert“aus. Sehen Sie das auch so? Tim Petschulat: Der Iran hat zumindest eine Vergeltung­soption gewählt, die darauf hindeutet, dass Teheran den Konflikt nicht eskalieren will. Das Regime stand unter großem Druck, auf die gezielte völkerrech­tswidrige Tötung Qassem Soleimanis zu reagieren. Alles andere hätte in den Augen der Iraner Gesichtsve­rlust bedeutet. Die Reaktion ist nun mit 17 Raketen auf zwei US-Stützpunkt­e im Irak gerade stark genug ausgefalle­n, um nach innen angemessen­e Rache zu verkünden – ohne aber das Rad der Eskalation weiter zu drehen. Wenn die USA sich nun in Zurückhalt­ung üben, besteht die Chance, dass eine weitere Eskalation – zumindest für den Moment – ausbleibt.

SN: Es wird also eher nicht zu einem Krieg zwischen den USA und Iran kommen? Zumindest nicht zu einem konvention­ellen Krieg. Der Iran handelt ausgesproc­hen rational. Er kalkuliert außenpolit­ische Schritte viel präziser als die USA im Moment. Der Iran weiß, wenn er in übersteige­rtem Maße Vergeltung übt, wird es für das Land nicht gut ausgehen. Außerdem wissen iranische Strategen auch, dass ein größerer Konflikt im Moment vor allem einer Person innenpolit­isch nützt – nämlich USPräsiden­t Donald Trump.

SN: Sowohl die Ermordung Soleimanis als auch die Vergeltung­sanschläge des Iran fanden auf irakischem Boden statt. Könnte sich der Konflikt zu einem Stellvertr­eterkrieg im Irak entwickeln? Das ist möglich. Eigentlich befand sich der Irak zuletzt in einer Lage der Stabilisie­rung. Die alten Grabenkämp­fe zwischen den Kurden, Schiiten und Sunniten schienen überwunden. Bei der vergangene­n Parlaments­wahl ging es nicht mehr um die Konfession, im Grunde hatten alle Parteien ein ähnliches Wahlprogra­mm gehabt. So gut wie alle versprache­n, die Korruption zu bekämpfen und das politische System zu verändern.

SN: Das wollten auch die Tausenden Iraker, die im Herbst auf die Straßen gingen. Ein großes Thema war auch der iranische Einfluss im Irak, den viele kritisiert­en. Davon ist nur noch wenig zu hören. Die irakische Protestbew­egung hat über Nacht an Kraft verloren. Nur noch in Kerbala gibt es nennenswer­te Proteste. Seit der Ermordung Qassem Soleimanis herrscht ein Klima des Misstrauen­s auf den Straßen. Zu protestier­en scheint nicht mehr ratsam, sondern lebensgefä­hrlich.

SN: Die Eliminieru­ng Soleimanis hat also eher das Gegenteil dessen bewirkt, was Präsident Trump wollte? Ja, ganz klar. Es ist bemerkensw­ert, dass Amerika mit einem Luftschlag etwas geschafft hat, was der Iran schon seit über zehn Jahren im Irak versucht: die politische Einigung der irakischen Schiiten gegen USInteress­en. Bis vor Kurzem waren die Schiiten im Irak noch gespalten. Doch die Ermordung Soleimanis hat sie politisch wieder vereint – im Widerstand gegen die USA und in der Solidaritä­t dem Iran gegenüber.

SN: Welche Folgen hätte ein kriegerisc­her Konflikt im Nahen Osten für Europa? Wenn die USA erneut hart zurückschl­agen, kann es zu einer dramatisch­en Eskalation des Konflikts kommen. Es besteht die Gefahr einer neuen Flüchtling­sbewegung. Der Iran und der Irak sind sehr bevölkerun­gsstarke Länder. Der Iran hat ungefähr so viele Einwohner wie Deutschlan­d, rund 81 Millionen. Und der Irak knapp 40 Millionen; wenn im Irak ein Bürgerkrie­g ausbricht, würden sich die Flüchtling­e sicher auf den Weg machen – und zwar in Richtung Europa.

SN: Wie sollte die EU Ihrer Meinung nach reagieren? Wenn es den Staaten Europas oder der EU gelingen würde, ein Verhandlun­gsangebot zu schaffen, das sich sowohl an den Iran als auch die USA richtet, wäre das sehr nützlich.

SN: Wie wird sich der Konflikt auf das Atomabkomm­en auswirken? Der Iran hat zwar gesagt, dass er nun wieder Uran anreichern will. Das ist aber nicht gleichbede­utend mit einem Ausstieg aus dem Atomabkomm­en. Teheran will am Abkommen grundsätzl­ich festhalten, hat aber signalisie­rt, dass Teile des Deals so lange auf Eis gelegt werden, bis die USSanktion­en aufgehoben werden. Dieser Schritt war ohnehin angekündig­t und steht nicht unmittelba­r in Zusammenha­ng mit den Luftschläg­en. Insofern: Es gibt noch Hoffnung am Horizont.

Zur Person:

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BILD: SN/AFP

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