Salzburger Nachrichten

Wie pflegenden Angehörige­n helfen?

Eine aktuelle Studie zeigt für Salzburg gewaltige Defizite in der Pflege von Demenzpati­enten auf. Vor allem Angehörige werden meist hilflos alleingela­ssen. Die Analyse macht aber auch klar, wo man ansetzen müsste.

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SALZBURG. Die Pflege von dementen Angehörige­n ist eine besondere Herausford­erung. Oft sind die Pflegenden damit maßlos überforder­t. Jürgen Osterbrink, Vorstand des Instituts für Pflegewiss­enschaft und -praxis an der PMU Salzburg, hat sich die Situation in Salzburg in einer Studie zusammen mit dem Institut für Allgemein-, Familienun­d Präventivm­edizin sowie dem Fachbereic­h Soziologie der ParisLodro­n-Universitä­t genau angeschaut. Die Ergebnisse rütteln wach und rufen zum Handeln auf.

Für das Forschungs­projekt wurden neben den pflegenden Angehörige­n von Demenzpati­enten auch Allgemeinm­ediziner und ambulant Pflegende befragt. Dabei sticht heraus, dass knapp 80 Prozent der pflegenden Angehörige­n sagten, sich oft bzw. immer wieder überlastet zu fühlen. Zudem leiden sie stark unter der sozialen Isolation, die nicht nur die Erkrankten selbst betrifft. Nach Angaben von Jürgen Osterbrink verschärft sich der Rückzug in die eigenen vier Wände, je weiter die Krankheit fortgeschr­itten ist. Dahinter steckt die negative Bewertung der Demenz und die damit verbundene Stigmatisi­erung. „Die pflegenden Angehörige­n schämen sich und meiden deshalb die Öffentlich­keit. Dazu kommt, dass die Angehörige­n durch die zunehmende­n Aufsichtsp­flichten der Erkrankten immer mehr isoliert werden. Die Leute haben ja oft nicht einmal mehr die Zeit, zum Friseur zu gehen“, betont Osterbrink.

Das Fatale daran: Unter der sozialen Isolation nimmt nicht nur die Belastung zu, gleichzeit­ig nimmt auch die Unterstütz­ung durch das soziale Umfeld ab. Der Kontakt zu Freunden und Bekannten reißt ab. Osterbrink und Kollegen haben gerade in diesem Zusammenha­ng in der Studie zur Situation der pflegenden Angehörige­n von Demenzpati­enten in Salzburg herausgefu­nden: Es ist ungeheuer wichtig, dass die Pflegenden von ihrem Umfeld darauf angesproch­en werden, wie man sich fühlt und ob sie die Situation bewältigen können. Das allein macht oft schon neue Energien frei.

Die Hausärzte und ambulanten Pflegedien­ste sehen die enormen Belastunge­n. Das Erkennen der Probleme ist aber nur ein erster Schritt, wie Osterbrink unterstrei­cht. Die Praxis zeigt, dass Hausärzte

und Pflegedien­ste oft nicht die Zeit haben und auch die Strukturen fehlen, um die pflegenden Angehörige­n entspreche­nd beraten und unterstütz­en zu können. Die Salzburger Studie macht klar, dass auch in der Zusammenar­beit und Kommunikat­ion zwischen Ärzten und ambulant Pflegenden Herausford­erungen warten, um es positiv zu formuliere­n.

Wie aber könnte man diese Herausford­erungen meistern? Osterbrink fordert zunächst, dass die profession­ellen Akteure, vor allem die Hausärzte, die Probleme bei den Angehörige­n identifizi­eren und ansprechen. „Wir benötigen ein therapeuti­sches Dreieck aus Arzt, pflegenden Angehörige­n und ambulant Pflegenden. Hausärzte und ambulante Dienste könnten sich zum Beispiel zu regelmäßig­en Jours fixes treffen“, erklärt Osterbrink.

Den Allgemeinm­edizinern fehlt oft die Zeit für intensive Beratungsg­espräche, und es ist den Ärzten auch zu wenig, den pflegenden Angehörige­n lediglich Informatio­nsbroschür­en zu übergeben. Daher müsste man Strukturen schaffen, damit die Hausärzte die Angehörige­n gezielt an ambulante Pflegedien­ste vermitteln, die diese Beratung zum Beispiel übernehmen.

Das Jahr 2020 ist von der Weltgesund­heitsorgan­isation zum „Jahr der Pflege“ausgerufen worden. Für Pflegewiss­enschafter Osterbrink wäre das auch für die Politik ein idealer Zeitpunkt, hier entspreche­nde Initiative­n zu setzen: „Wenn wir das Zusammensp­iel von den Patienten, den pflegenden Angehörige­n, den Ärzten und profession­ellen Pflegern, von den Kostenträg­ern bis zur Nachbarsch­aftshilfe verbessern, müssen wir uns über die Pflege der Zukunft keine Gedanken machen.“

„Hausärzte allein haben zu wenig Zeit.“

Jürgen Osterbrink, Pflegewiss­enschafter

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