Werner Kogler bremst bei der Sicherungshaft
Die Präventivhaft erfordert eine Änderung der Verfassung. Das wollen die Grünen aber nicht.
Die auf Druck der ÖVP in den Koalitionspakt aufgenommene Einführung einer Sicherungshaft (also einer Inhaftierung von „Gefährdern“, noch ehe sie gegen ein Gesetz verstoßen haben) dürfte nicht einfach umzusetzen sein. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler ließ am Donnerstag in einem Interview mit den SN und anderen Medien deutliche Distanz erkennen. Er wolle wissen, „für welche bösartigen und tragischen Einzelfälle das genau angedacht ist und was damit gelöst werden soll“, sagte Kogler. Auch ließ er durchblicken, dass er einer Änderung der „bestehenden Verfassung“distanziert gegenübersteht.
Ohne Verfassungsänderung sei die Einführung einer Sicherungshaft aber nicht möglich, erklärt der Europarechtler Walter Obwexer auf SN-Anfrage. Zwar würde die EUAufnahmerichtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit geben, Schutzsuchende, die eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellen, zu inhaftieren. Österreich hat aber aus freien Stücken strengere Regeln beschlossen. Das seit 1998 geltende Verfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit legt unmissverständlich fest, dass neben der Untersuchungs- und der Strafhaft nur noch die Schubhaft vorgesehen ist. Und die darf nur verhängt werden, um eine beabsichtigte Ausweisung zu sichern. Ohne Verfassungsänderung daher keine Präventivhaft.
SN: Sebastian Kurz war Ihr politischer Gegner, nun ist er Ihr Verbündeter. Wenn man sich Ihre Wortmeldungen aus den vergangenen Monaten vor Augen führt, dann war das wohl keine so leichte Wandlung?
Werner Kogler: Ich habe mich mit den Mehrheitsinteressen in Österreich zu verbünden versucht. Und die waren so gelagert, dass eine Regierung aus ÖVP und FPÖ nach all den Vorkommnissen nicht erneut zum Zug kommen sollte. TürkisBlau wäre ja nicht völlig ausgeschlossen gewesen, am ehesten über den Weg einer Minderheitsregierung. Die Verbindung zur ÖVP ist eine Folge davon.
SN: Warum haben die Grünen nicht versucht, den Finanzminister zu bekommen?
Wir Grüne haben uns darauf verständigt, nicht von den Ressortüberschriften auszugehen, sondern von den Aufgaben darunter. Als Erstes haben wir auf das Großressort hingearbeitet: Klimaschutz plus Infrastruktur. Das Finanzministerium war eine Zeit lang ein Thema für uns. Aber dann hätten wir woanders viel, viel weniger erreicht, etwa in den Bereichen Pflege, Gesundheit und Konsumentenschutz. Es ist alles eine Preisfrage.
SN: Aber einen grünen Staatssekretär hätten Sie schon ins Finanzministerium hineinsetzen können.
Die Mitbeeinflussung der Finanzund Budgetpolitik kann auch ohne Staatssekretär gelingen. Und die Informationen müssen wir ja sowieso bekommen, denn sonst gibt es eh eine Krise.
SN: Sie wollen die Steuerund Abgabenquote in Richtung 40 Prozent senken und keine neuen Schulden machen. Gleichzeitig enthält das Regierungsprogramm manch ehrgeizigen Punkt, von der Pflegeversicherung bis zur ökosozialen Steuerreform. Wie soll sich das finanziell ausgehen?
Am Ende der Verhandlungen hat der Fiskalrat mehrjährige Prognosen abgeliefert. Wenn die Wirtschaft nicht komplett einbricht, sind wir eineinhalb bis zwei Milliarden Euro pro Jahr im Plus. Wir sind zum Start des Budgetpfads sogar von einem leichten Minus – 400 bis 500 Millionen Euro – ausgegangen. Insofern ist da ein gewisser Spielraum. Bei der Formel „ausgeglichener Haushalt“muss man dazusagen, dass das konjunkturell schwanken kann. Natürlich innerhalb des europäischen Rechtsrahmens. Bei gröberen Krisen müssen wir reagieren können.
SN: Der ausgeglichene Haushalt hängt also am Konjunkturzyklus?
Ja, so steht es auch im Arbeitsübereinkommen. Gleichzeitig ist vereinbart, dass die Klimaschutzinvestitionen gesichert sein müssen. Ob sich am Ende immer alles ausgeht, wird man sehen. Aber derzeit gehe ich davon aus.
SN: Wären Sie bereit, die Verfassung zu ändern, um eine Sicherungshaft zu ermöglichen?
Wozu wir bereit sind, sehen wir, wenn wir dort sind. Der Begriff „Verfassungskonformität“zielt meiner Meinung nach auf die Einhaltung der bestehenden Verfassung ab. Möglicherweise gibt es da Interpretationsunterschiede. Andere lesen das so, als könnte die Verfassung geändert werden. Wir leuchten auf der bestehenden Basis überhaupt einmal aus, ob das möglich ist. Und dann bin ich bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen und möchte wissen, für welche bösartigen und tragischen Einzelfälle das genau angedacht ist und was damit gelöst werden soll. Die Fragen sind: Was wollen wir damit verhindern? Und was können wir damit verhindern? Ich sehe jedenfalls dringlichere Themen und Probleme zu lösen.
SN: Hat es Sie überrascht, dass sich manche der Personen, die Sie früher heftig kritisiert haben, sich als paktfähig erwiesen haben?
Das habe ich ja schon beim Sondieren gesehen. Die Leute um Kurz, die die Fäden in der Hand haben, sind schon sehr „straight“unterwegs. Das müsste einen nicht wundern, sonst wären die nicht so erfolgreich gewesen, allen voran mit der Mitterlehner-Ablöse. Aber wenn man es erlebt, ist es noch einmal was anderes. Man merkt schon, dass da eine relativ kleine, aber umso besser abgestimmte Gruppe sämtliche Bücher im Regal hat. Insbesondere das von Machiavelli.
SN: Wird es mit den Grünen eine Message Control geben?
Nein – jedenfalls nicht in der Form. Das war schon vor dem Sondieren vereinbart. Es wird öfter verschiedene Kommentare zum Gleichen geben. Die Beschreibung des Regierungsprogramms – „Das Beste aus beiden Welten“– stammt nicht von uns. Das funktioniert medial natürlich hervorragend. Aber zumindest rational-philosophisch betrachtet ist das ein Unsinn. Es gibt nur eine Welt. Und auf dieser Welt gibt es verschiedene Sichtweisen. Und so wirdessein.
SN: Werden die Grünen Generalsekretäre in ihren Ressorts einsetzen?
Das schauen wir uns an. Ich sage nicht von vornherein Nein – das kann da oder dort sinnvoll sein, insbesondere in großen Ressorts. Aber wenn schon, dann sicher nicht in Form einer klassisch parteipolitischen Besetzung.
Das Interview entstand in Kooperation von „Salzburger Nachrichten“, „Die Presse“, „Oberösterreichische Nachrichten“, „Tiroler Tageszeitung“und „Wiener Zeitung“.