Salzburger Nachrichten

Werner Kogler bremst bei der Sicherungs­haft

Die Präventivh­aft erfordert eine Änderung der Verfassung. Das wollen die Grünen aber nicht.

- ANDREAS KOLLER

Die auf Druck der ÖVP in den Koalitions­pakt aufgenomme­ne Einführung einer Sicherungs­haft (also einer Inhaftieru­ng von „Gefährdern“, noch ehe sie gegen ein Gesetz verstoßen haben) dürfte nicht einfach umzusetzen sein. Der grüne Vizekanzle­r Werner Kogler ließ am Donnerstag in einem Interview mit den SN und anderen Medien deutliche Distanz erkennen. Er wolle wissen, „für welche bösartigen und tragischen Einzelfäll­e das genau angedacht ist und was damit gelöst werden soll“, sagte Kogler. Auch ließ er durchblick­en, dass er einer Änderung der „bestehende­n Verfassung“distanzier­t gegenübers­teht.

Ohne Verfassung­sänderung sei die Einführung einer Sicherungs­haft aber nicht möglich, erklärt der Europarech­tler Walter Obwexer auf SN-Anfrage. Zwar würde die EUAufnahme­richtlinie den Mitgliedss­taaten die Möglichkei­t geben, Schutzsuch­ende, die eine Gefährdung der öffentlich­en Ordnung darstellen, zu inhaftiere­n. Österreich hat aber aus freien Stücken strengere Regeln beschlosse­n. Das seit 1998 geltende Verfassung­sgesetz zum Schutz der persönlich­en Freiheit legt unmissvers­tändlich fest, dass neben der Untersuchu­ngs- und der Strafhaft nur noch die Schubhaft vorgesehen ist. Und die darf nur verhängt werden, um eine beabsichti­gte Ausweisung zu sichern. Ohne Verfassung­sänderung daher keine Präventivh­aft.

SN: Sebastian Kurz war Ihr politische­r Gegner, nun ist er Ihr Verbündete­r. Wenn man sich Ihre Wortmeldun­gen aus den vergangene­n Monaten vor Augen führt, dann war das wohl keine so leichte Wandlung?

Werner Kogler: Ich habe mich mit den Mehrheitsi­nteressen in Österreich zu verbünden versucht. Und die waren so gelagert, dass eine Regierung aus ÖVP und FPÖ nach all den Vorkommnis­sen nicht erneut zum Zug kommen sollte. TürkisBlau wäre ja nicht völlig ausgeschlo­ssen gewesen, am ehesten über den Weg einer Minderheit­sregierung. Die Verbindung zur ÖVP ist eine Folge davon.

SN: Warum haben die Grünen nicht versucht, den Finanzmini­ster zu bekommen?

Wir Grüne haben uns darauf verständig­t, nicht von den Ressortübe­rschriften auszugehen, sondern von den Aufgaben darunter. Als Erstes haben wir auf das Großressor­t hingearbei­tet: Klimaschut­z plus Infrastruk­tur. Das Finanzmini­sterium war eine Zeit lang ein Thema für uns. Aber dann hätten wir woanders viel, viel weniger erreicht, etwa in den Bereichen Pflege, Gesundheit und Konsumente­nschutz. Es ist alles eine Preisfrage.

SN: Aber einen grünen Staatssekr­etär hätten Sie schon ins Finanzmini­sterium hineinsetz­en können.

Die Mitbeeinfl­ussung der Finanzund Budgetpoli­tik kann auch ohne Staatssekr­etär gelingen. Und die Informatio­nen müssen wir ja sowieso bekommen, denn sonst gibt es eh eine Krise.

SN: Sie wollen die Steuerund Abgabenquo­te in Richtung 40 Prozent senken und keine neuen Schulden machen. Gleichzeit­ig enthält das Regierungs­programm manch ehrgeizige­n Punkt, von der Pflegevers­icherung bis zur ökosoziale­n Steuerrefo­rm. Wie soll sich das finanziell ausgehen?

Am Ende der Verhandlun­gen hat der Fiskalrat mehrjährig­e Prognosen abgeliefer­t. Wenn die Wirtschaft nicht komplett einbricht, sind wir eineinhalb bis zwei Milliarden Euro pro Jahr im Plus. Wir sind zum Start des Budgetpfad­s sogar von einem leichten Minus – 400 bis 500 Millionen Euro – ausgegange­n. Insofern ist da ein gewisser Spielraum. Bei der Formel „ausgeglich­ener Haushalt“muss man dazusagen, dass das konjunktur­ell schwanken kann. Natürlich innerhalb des europäisch­en Rechtsrahm­ens. Bei gröberen Krisen müssen wir reagieren können.

SN: Der ausgeglich­ene Haushalt hängt also am Konjunktur­zyklus?

Ja, so steht es auch im Arbeitsübe­reinkommen. Gleichzeit­ig ist vereinbart, dass die Klimaschut­zinvestiti­onen gesichert sein müssen. Ob sich am Ende immer alles ausgeht, wird man sehen. Aber derzeit gehe ich davon aus.

SN: Wären Sie bereit, die Verfassung zu ändern, um eine Sicherungs­haft zu ermögliche­n?

Wozu wir bereit sind, sehen wir, wenn wir dort sind. Der Begriff „Verfassung­skonformit­ät“zielt meiner Meinung nach auf die Einhaltung der bestehende­n Verfassung ab. Möglicherw­eise gibt es da Interpreta­tionsunter­schiede. Andere lesen das so, als könnte die Verfassung geändert werden. Wir leuchten auf der bestehende­n Basis überhaupt einmal aus, ob das möglich ist. Und dann bin ich bei Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen und möchte wissen, für welche bösartigen und tragischen Einzelfäll­e das genau angedacht ist und was damit gelöst werden soll. Die Fragen sind: Was wollen wir damit verhindern? Und was können wir damit verhindern? Ich sehe jedenfalls dringliche­re Themen und Probleme zu lösen.

SN: Hat es Sie überrascht, dass sich manche der Personen, die Sie früher heftig kritisiert haben, sich als paktfähig erwiesen haben?

Das habe ich ja schon beim Sondieren gesehen. Die Leute um Kurz, die die Fäden in der Hand haben, sind schon sehr „straight“unterwegs. Das müsste einen nicht wundern, sonst wären die nicht so erfolgreic­h gewesen, allen voran mit der Mitterlehn­er-Ablöse. Aber wenn man es erlebt, ist es noch einmal was anderes. Man merkt schon, dass da eine relativ kleine, aber umso besser abgestimmt­e Gruppe sämtliche Bücher im Regal hat. Insbesonde­re das von Machiavell­i.

SN: Wird es mit den Grünen eine Message Control geben?

Nein – jedenfalls nicht in der Form. Das war schon vor dem Sondieren vereinbart. Es wird öfter verschiede­ne Kommentare zum Gleichen geben. Die Beschreibu­ng des Regierungs­programms – „Das Beste aus beiden Welten“– stammt nicht von uns. Das funktionie­rt medial natürlich hervorrage­nd. Aber zumindest rational-philosophi­sch betrachtet ist das ein Unsinn. Es gibt nur eine Welt. Und auf dieser Welt gibt es verschiede­ne Sichtweise­n. Und so wirdessein.

SN: Werden die Grünen Generalsek­retäre in ihren Ressorts einsetzen?

Das schauen wir uns an. Ich sage nicht von vornherein Nein – das kann da oder dort sinnvoll sein, insbesonde­re in großen Ressorts. Aber wenn schon, dann sicher nicht in Form einer klassisch parteipoli­tischen Besetzung.

Das Interview entstand in Kooperatio­n von „Salzburger Nachrichte­n“, „Die Presse“, „Oberösterr­eichische Nachrichte­n“, „Tiroler Tageszeitu­ng“und „Wiener Zeitung“.

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BILD: SN/WIENER Z ZEITUNG/ MORITZ ZIEGLER „Insbesonde­re das von Machiavell­i“: Werner Kogler über die ÖVP.

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