Der lange Weg zur Sicherungshaft
Einsperren ohne Verbrechen. Obwohl die präventive Haft für Asylbewerber schwarz auf weiß im Regierungsprogramm steht, könnte sie zum Streitthema zwischen Türkis und Grün werden.
WIEN. Die Türkisen wollen sie, die Grünen sträuben sich dezent dagegen, der Bundespräsident sieht sie skeptisch: die Sicherungshaft.
Durch die Ankündigung der türkis-grünen Regierung zur „Schaffung eines zusätzlichen, verfassungskonformen Hafttatbestandes (Sicherungshaft zum Schutz der Allgemeinheit) für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie die öffentliche Sicherheit gefährden“, scheint ein Koalitionskonflikt programmiert. Schon jetzt kritisieren Experten die Haft, die ohne die Begehung einer Tat verhängt werden soll. Einen klaren Plan für die Sicherungshaft legte die Regierung nicht vor.
Der bloße Verweis im Regierungsprogramm auf 15 Länder, die die Sicherungshaft bereits umgesetzt haben, greift jedenfalls kurz. Die EU-Aufnahmerichtlinie gibt den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, Schutzsuchende, die eine Gefährdung der nationalen Sicherheit und öffentlichen Ordnung sind, zu inhaftieren. Doch Österreich hat aufgrund des Verfassungsgesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit aus 1988 ein höheres Schutzniveau, als die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vorgibt, wie der Europarechtler Walter Obwexer erklärt. Eine Haft ist in Österreich über U-Haft und Strafhaft hinaus nur möglich, wenn diese nötig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung zu sichern. Ohne
Verfassungsänderung werde die angestrebte Sicherungshaft und die volle Anwendung der EU-Aufnahmerichtlinie damit gar nicht umsetzbar sein, sagt Obwexer.
Hier könnte sich ein handfester Koalitionsstreit entwickeln. Denn die Grünen betonen bei jeder Gelegenheit, bei einer Verfassungsänderung nicht mitzugehen.
Der Menschenrechtsexperte Adel-Naim Reyhani vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte verweist zwar auf einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), laut dem Asylbewerber unter besonderen Umständen auch inhaftiert werden können, wenn die Außerlandesbringung nicht unmittelbar bevorsteht. Eine solche Haft kann laut EGMR in Ausnahmefällen auch einige Monate dauern, „wenn es der öffentlichen Sicherheit dient“. In Österreich sei das aber so nicht möglich, weil eben der Freiheitsentzug im Zuge der Schubhaft nur erlaubt sei, „um eine beabsichtigte Ausweisung zu sichern“. Innerhalb dieses Rahmens kann die Schubhaft hierzulande seit 2018 verhängt werden, wenn die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet ist. „Aber es muss jedenfalls eine gewisse Nähe zur Abschiebung und Fluchtgefahr bestehen.“Die derzeitige Rechtslage setze die EU-Aufnahmerichtlinie in dem Punkt also bereits so weit um, wie es die heimische Verfassung erlaube, sagt Reyhani.
„Eine Sicherungshaft darüber hinaus ist verfassungskonform nicht möglich“, erklärt Europarechtler Obwexer im Hinblick auf den dräuenden Koalitionskonflikt. Die EMRK erlaube den Freiheitsentzug sogar zur Verhinderung der unerlaubten Einreise. In Österreich sei auch das aufgrund der Verfassung nicht möglich. Senke die Republik den Schutz der persönlichen Freiheit hier auf jenes Niveau, das die EMRK zulasse, könne Österreich die Sicherungshaft – ähnlich wie die anderen 15 Mitgliedsländer – einführen. Das geht aber nicht ohne Verfassungsänderung.
Ein Vergleich mit der extrem kurzzeitigen Haft für Hooligans, wie sie in manchen Ländern angewendet wird, ist laut Adel-Naim Reyhani übrigens falsch. Denn die nun angedachte Sicherungshaft ist an den Aufenthaltsstatus der Person gebunden. Sprich: Sie gilt nur für Asylbewerber. „Es ist grundsätzlich sehr kritisch, wenn eine Personengruppe nur aufgrund ihres Aufenthaltsstatus bereits jetzt so massiv in ihren Freiheitsrechten schlechtergestellt wird“, sagt Reyhani weiter. „In diesem sensiblen Bereich sollte man daher prinzipiell nach höherem und nicht nach geringerem Schutz streben.“
Bundesverfassung ist strenger als EMRK