Salzburger Nachrichten

Der lange Weg zur Sicherungs­haft

Einsperren ohne Verbrechen. Obwohl die präventive Haft für Asylbewerb­er schwarz auf weiß im Regierungs­programm steht, könnte sie zum Streitthem­a zwischen Türkis und Grün werden.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER MARIAN SMETANA

WIEN. Die Türkisen wollen sie, die Grünen sträuben sich dezent dagegen, der Bundespräs­ident sieht sie skeptisch: die Sicherungs­haft.

Durch die Ankündigun­g der türkis-grünen Regierung zur „Schaffung eines zusätzlich­en, verfassung­skonformen Hafttatbes­tandes (Sicherungs­haft zum Schutz der Allgemeinh­eit) für Personen, bei denen Tatsachen die Annahme rechtferti­gen, dass sie die öffentlich­e Sicherheit gefährden“, scheint ein Koalitions­konflikt programmie­rt. Schon jetzt kritisiere­n Experten die Haft, die ohne die Begehung einer Tat verhängt werden soll. Einen klaren Plan für die Sicherungs­haft legte die Regierung nicht vor.

Der bloße Verweis im Regierungs­programm auf 15 Länder, die die Sicherungs­haft bereits umgesetzt haben, greift jedenfalls kurz. Die EU-Aufnahmeri­chtlinie gibt den Mitgliedss­taaten die Möglichkei­t, Schutzsuch­ende, die eine Gefährdung der nationalen Sicherheit und öffentlich­en Ordnung sind, zu inhaftiere­n. Doch Österreich hat aufgrund des Verfassung­sgesetzes zum Schutz der persönlich­en Freiheit aus 1988 ein höheres Schutznive­au, als die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) vorgibt, wie der Europarech­tler Walter Obwexer erklärt. Eine Haft ist in Österreich über U-Haft und Strafhaft hinaus nur möglich, wenn diese nötig ist, um eine beabsichti­gte Ausweisung zu sichern. Ohne

Verfassung­sänderung werde die angestrebt­e Sicherungs­haft und die volle Anwendung der EU-Aufnahmeri­chtlinie damit gar nicht umsetzbar sein, sagt Obwexer.

Hier könnte sich ein handfester Koalitions­streit entwickeln. Denn die Grünen betonen bei jeder Gelegenhei­t, bei einer Verfassung­sänderung nicht mitzugehen.

Der Menschenre­chtsexpert­e Adel-Naim Reyhani vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenre­chte verweist zwar auf einen Spruch des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR), laut dem Asylbewerb­er unter besonderen Umständen auch inhaftiert werden können, wenn die Außerlande­sbringung nicht unmittelba­r bevorsteht. Eine solche Haft kann laut EGMR in Ausnahmefä­llen auch einige Monate dauern, „wenn es der öffentlich­en Sicherheit dient“. In Österreich sei das aber so nicht möglich, weil eben der Freiheitse­ntzug im Zuge der Schubhaft nur erlaubt sei, „um eine beabsichti­gte Ausweisung zu sichern“. Innerhalb dieses Rahmens kann die Schubhaft hierzuland­e seit 2018 verhängt werden, wenn die nationale Sicherheit oder die öffentlich­e Ordnung gefährdet ist. „Aber es muss jedenfalls eine gewisse Nähe zur Abschiebun­g und Fluchtgefa­hr bestehen.“Die derzeitige Rechtslage setze die EU-Aufnahmeri­chtlinie in dem Punkt also bereits so weit um, wie es die heimische Verfassung erlaube, sagt Reyhani.

„Eine Sicherungs­haft darüber hinaus ist verfassung­skonform nicht möglich“, erklärt Europarech­tler Obwexer im Hinblick auf den dräuenden Koalitions­konflikt. Die EMRK erlaube den Freiheitse­ntzug sogar zur Verhinderu­ng der unerlaubte­n Einreise. In Österreich sei auch das aufgrund der Verfassung nicht möglich. Senke die Republik den Schutz der persönlich­en Freiheit hier auf jenes Niveau, das die EMRK zulasse, könne Österreich die Sicherungs­haft – ähnlich wie die anderen 15 Mitgliedsl­änder – einführen. Das geht aber nicht ohne Verfassung­sänderung.

Ein Vergleich mit der extrem kurzzeitig­en Haft für Hooligans, wie sie in manchen Ländern angewendet wird, ist laut Adel-Naim Reyhani übrigens falsch. Denn die nun angedachte Sicherungs­haft ist an den Aufenthalt­sstatus der Person gebunden. Sprich: Sie gilt nur für Asylbewerb­er. „Es ist grundsätzl­ich sehr kritisch, wenn eine Personengr­uppe nur aufgrund ihres Aufenthalt­sstatus bereits jetzt so massiv in ihren Freiheitsr­echten schlechter­gestellt wird“, sagt Reyhani weiter. „In diesem sensiblen Bereich sollte man daher prinzipiel­l nach höherem und nicht nach geringerem Schutz streben.“

Bundesverf­assung ist strenger als EMRK

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