Salzburger Nachrichten

„Wenn der Spaß aufhört, wird es kritisch“

Der bayerische Großmeiste­r des Humors über die Veränderun­gen in der Kabarettsz­ene, Schwarz-Grün und Tiersendun­gen im TV.

- „Humor ist ein riesiger Bereich, vergleichb­ar mit einem Ozean“, sagt Gerhard Polt. geboren 1942 in München, ist Kabarettis­t, Autor, Kino- und TV-Schauspiel­er. Er tritt auch mit den „Well-Brüdern aus’m Biermoos“auf. Freitag, 22.15 Uhr, Servus TV.

Seinen ersten Bühnenauft­ritt hatte Gerhard Polt 1975 mit dem Kabarettpr­ogramm „Kleine Nachtrevue“im Münchner Theater Die Kleine Freiheit. 45 Jahre später ist er mit seinem Best-of-Programm „Riserva – im Abgang nachtragen­d“auf Tournee. Servus TV zeigt exklusiv eine Aufzeichnu­ng aus dem Wiener Stadtsaal, wo der 77-Jährige die Essenz seines Bühnenscha­ffens präsentier­te. Die SN führten mit dem Meister der Beobachtun­g, Satiriker, Geschichte­nerzähler und Kabarettis­ten folgendes Gespräch.

SN: Wie stehen Sie zu Jubiläen? Freuen Sie sich oder werden Sie melancholi­sch? Gerhard Polt: Weder noch. Ich habe vielleicht einen lakonische­n Zugang. Es ist, wie es ist.

SN: Was hat sich für Sie in den vergangene­n 45 Jahren am nachdrückl­ichsten verändert? Ich bin in einer Generation groß geworden, in der es auf dem Land noch Misthaufen gab. Und damit spezielle Gerüche und Geräusche. Die gibt es heute nicht mehr, an ihre Stelle sind andere Dinge getreten.

SN: Und im Kabarettbu­siness? Was hat sich da verändert? Einiges. Als ich begonnen habe, gab es ein paar Kabarettze­ntren im deutschspr­achigen Raum. Wien, Berlin, München und vielleicht auch Zürich. Es gab damals viele politische Kommentare für intellektu­elle Leute. Heute gibt es Comedians, die ein fixer Teil einer enorm angewachse­nen Medienland­schaft sind. Für die TV-Sender ist Kabarett ja leicht zu kriegen, das ist viel billiger, als wenn sie Spielfilme produziere­n. Mit klassische­m Polit-Kabarett, das aus den Katakomben kommt, hat das nichts mehr gemein.

SN: Fühlen Sie sich als Kabarettis­t? Ich fühle mich eher als Erzähler. Darum war in meinem Pass früher auch „Autor“als Berufsbeze­ichnung eingetrage­n.

SN: Verfolgen Sie die österreich­ische Kabarettsz­ene? Natürlich. Und ich bin – ohne Namen nennen zu wollen – begeistert, was da in Österreich auch immer an Nachwuchs hervorkomm­t. Ich war in der Vergangenh­eit mit etlichen österreich­ischen Kabarettis­ten befreundet, etwa Otto Grünmandl oder Werner Schneyder.

SN: Gibt es Unterschie­de zwischen dem deutschen und österreich­ischen Humor? Moment, eine Grundsatzf­eststellun­g: Deutschlan­d gibt es nicht. Man kann Westfalen nicht mit Bayern vergleiche­n, weder von der Mentalität her noch von der Auffassung­sgabe, was humorvoll ist. Bayern ist bei der Humorrezep­tion Österreich sehr nahe, näher als etwa Mecklenbur­g-Vorpommern.

SN: Schwenk zur österreich­ischen Innenpolit­ik. Wäre eine schwarzgrü­ne Regierung auch für Deutschlan­d ein Modell? Viele haben hier die Regierungs­bildung mitverfolg­t und interpreti­eren es als Menetekel. Österreich geht mit dieser Konstellat­ion voran und es ist gut möglich, dass der Bund aus Konservati­ven und Grünen auch bei uns kommt. Wir haben ja schon etwa in Baden-Württember­g einen grünen Ministerpr­äsidenten.

SN: Sie sind „Co-Inspirator“für die Initiative Forum Humor und Komische Kunst in München. Was kann man sich darunter vorstellen? Ein Haus, das alle Erscheinun­gsformen des Humors zeigt, sammelt, diskutiert und erforscht. Die Stadt München will das Projekt in einem denkmalges­chützten Haus realisiere­n, aber das kostet Geld und bei uns wird im März gewählt: Der Wahlkampf ist nicht gerade die beste Zeit für Humor. Die Initiative will, ausgehend von der Historie, anregen und als Impulsgebe­r für Humor in Kunst, Literatur, Film, Musik, TV und Kabarett fungieren. Es sollen auch Schüler und Lehrer kommen. Angeboten werden eine Bühne, Ausstellun­gsräume und ein Archiv.

SN: Wie wichtig ist Humor für eine Gesellscha­ft? Humor ist ein riesiger Bereich, vergleichb­ar einem Ozean. Das reicht vom Zirkusclow­n bis zur Blasphemie, vom Flüsterwit­z über Diktatoren bis zum schlechten Gag im Privaten. Im Vorfeld zu unserem Projekt haben wir die Frage erörtert, ob eine Demokratie ohne Humor überhaupt denkbar sei. Immer dann, wenn es „Spaß beiseite“heißt, gibt es die Gefahr der Radikalisi­erung und Fundamenta­lisierung. Wenn der Spaß aufhört, wird es kritisch.

SN: Ist unsere Gesellscha­ft zu ernst geworden? Da gibt es keine eindeutige Antwort. Es gibt bekanntlic­h guten und schlechten Humor, wichtig ist es, die Ironie zu stärken, die Leute zu ermuntern, skeptisch gegenüber den Mächtigen und der Macht zu sein. Ein US-Autor hat einmal gesagt: „Der Mensch ist eine Glaubensma­schine.“Viele sind zu leichtgläu­big, man glaubt den Rattenfäng­ern alles.

SN: Ist Gerhard Polt ein TV-Konsument? Ja, ich fernsehe viel. Weniger Filme, aber viele Diskussion­en, Dokumentat­ionen, vor allem BBC World News. Mit Begeisteru­ng sehe ich Tierfilme. Da erfahre ich von der Existenz irgendwelc­her Viecher in 6000 Meter Meerestief­e – toll.

SN: Und wie steht’s mit Social Media? Nix. Dafür bin ich ein passionier­ter Zeitungsle­ser, das morgendlic­he Lesen ist ein Ritual. Und ich bin Radiohörer. Die ersten 20 Jahre meiner 77 Lebensjahr­e war ich ein stark rundfunkor­ientierter Mensch. Hörspiele habe ich etwa geliebt. Da gibt es ja mit Ö1 in Österreich einen sehr guten Sender.

Gerhard Polt,

Riserva – im Abgang nachtragen­d,

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BILD: SN/SERVUS TV/MARTIN HÖRMADINGE­R

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