„Wenn der Spaß aufhört, wird es kritisch“
Der bayerische Großmeister des Humors über die Veränderungen in der Kabarettszene, Schwarz-Grün und Tiersendungen im TV.
Seinen ersten Bühnenauftritt hatte Gerhard Polt 1975 mit dem Kabarettprogramm „Kleine Nachtrevue“im Münchner Theater Die Kleine Freiheit. 45 Jahre später ist er mit seinem Best-of-Programm „Riserva – im Abgang nachtragend“auf Tournee. Servus TV zeigt exklusiv eine Aufzeichnung aus dem Wiener Stadtsaal, wo der 77-Jährige die Essenz seines Bühnenschaffens präsentierte. Die SN führten mit dem Meister der Beobachtung, Satiriker, Geschichtenerzähler und Kabarettisten folgendes Gespräch.
SN: Wie stehen Sie zu Jubiläen? Freuen Sie sich oder werden Sie melancholisch? Gerhard Polt: Weder noch. Ich habe vielleicht einen lakonischen Zugang. Es ist, wie es ist.
SN: Was hat sich für Sie in den vergangenen 45 Jahren am nachdrücklichsten verändert? Ich bin in einer Generation groß geworden, in der es auf dem Land noch Misthaufen gab. Und damit spezielle Gerüche und Geräusche. Die gibt es heute nicht mehr, an ihre Stelle sind andere Dinge getreten.
SN: Und im Kabarettbusiness? Was hat sich da verändert? Einiges. Als ich begonnen habe, gab es ein paar Kabarettzentren im deutschsprachigen Raum. Wien, Berlin, München und vielleicht auch Zürich. Es gab damals viele politische Kommentare für intellektuelle Leute. Heute gibt es Comedians, die ein fixer Teil einer enorm angewachsenen Medienlandschaft sind. Für die TV-Sender ist Kabarett ja leicht zu kriegen, das ist viel billiger, als wenn sie Spielfilme produzieren. Mit klassischem Polit-Kabarett, das aus den Katakomben kommt, hat das nichts mehr gemein.
SN: Fühlen Sie sich als Kabarettist? Ich fühle mich eher als Erzähler. Darum war in meinem Pass früher auch „Autor“als Berufsbezeichnung eingetragen.
SN: Verfolgen Sie die österreichische Kabarettszene? Natürlich. Und ich bin – ohne Namen nennen zu wollen – begeistert, was da in Österreich auch immer an Nachwuchs hervorkommt. Ich war in der Vergangenheit mit etlichen österreichischen Kabarettisten befreundet, etwa Otto Grünmandl oder Werner Schneyder.
SN: Gibt es Unterschiede zwischen dem deutschen und österreichischen Humor? Moment, eine Grundsatzfeststellung: Deutschland gibt es nicht. Man kann Westfalen nicht mit Bayern vergleichen, weder von der Mentalität her noch von der Auffassungsgabe, was humorvoll ist. Bayern ist bei der Humorrezeption Österreich sehr nahe, näher als etwa Mecklenburg-Vorpommern.
SN: Schwenk zur österreichischen Innenpolitik. Wäre eine schwarzgrüne Regierung auch für Deutschland ein Modell? Viele haben hier die Regierungsbildung mitverfolgt und interpretieren es als Menetekel. Österreich geht mit dieser Konstellation voran und es ist gut möglich, dass der Bund aus Konservativen und Grünen auch bei uns kommt. Wir haben ja schon etwa in Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsidenten.
SN: Sie sind „Co-Inspirator“für die Initiative Forum Humor und Komische Kunst in München. Was kann man sich darunter vorstellen? Ein Haus, das alle Erscheinungsformen des Humors zeigt, sammelt, diskutiert und erforscht. Die Stadt München will das Projekt in einem denkmalgeschützten Haus realisieren, aber das kostet Geld und bei uns wird im März gewählt: Der Wahlkampf ist nicht gerade die beste Zeit für Humor. Die Initiative will, ausgehend von der Historie, anregen und als Impulsgeber für Humor in Kunst, Literatur, Film, Musik, TV und Kabarett fungieren. Es sollen auch Schüler und Lehrer kommen. Angeboten werden eine Bühne, Ausstellungsräume und ein Archiv.
SN: Wie wichtig ist Humor für eine Gesellschaft? Humor ist ein riesiger Bereich, vergleichbar einem Ozean. Das reicht vom Zirkusclown bis zur Blasphemie, vom Flüsterwitz über Diktatoren bis zum schlechten Gag im Privaten. Im Vorfeld zu unserem Projekt haben wir die Frage erörtert, ob eine Demokratie ohne Humor überhaupt denkbar sei. Immer dann, wenn es „Spaß beiseite“heißt, gibt es die Gefahr der Radikalisierung und Fundamentalisierung. Wenn der Spaß aufhört, wird es kritisch.
SN: Ist unsere Gesellschaft zu ernst geworden? Da gibt es keine eindeutige Antwort. Es gibt bekanntlich guten und schlechten Humor, wichtig ist es, die Ironie zu stärken, die Leute zu ermuntern, skeptisch gegenüber den Mächtigen und der Macht zu sein. Ein US-Autor hat einmal gesagt: „Der Mensch ist eine Glaubensmaschine.“Viele sind zu leichtgläubig, man glaubt den Rattenfängern alles.
SN: Ist Gerhard Polt ein TV-Konsument? Ja, ich fernsehe viel. Weniger Filme, aber viele Diskussionen, Dokumentationen, vor allem BBC World News. Mit Begeisterung sehe ich Tierfilme. Da erfahre ich von der Existenz irgendwelcher Viecher in 6000 Meter Meerestiefe – toll.
SN: Und wie steht’s mit Social Media? Nix. Dafür bin ich ein passionierter Zeitungsleser, das morgendliche Lesen ist ein Ritual. Und ich bin Radiohörer. Die ersten 20 Jahre meiner 77 Lebensjahre war ich ein stark rundfunkorientierter Mensch. Hörspiele habe ich etwa geliebt. Da gibt es ja mit Ö1 in Österreich einen sehr guten Sender.
Gerhard Polt,
Riserva – im Abgang nachtragend,