Salzburger Nachrichten

Ein Krimi-Kommissar versagt

Regisseur Claus Tröger ändert das herkömmlic­he TV-Krimi-Konzept.

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Die Zuseher suchen noch ihre Plätze. Kein Vorhang verdeckt die Bühne, auf der die Schauspiel­er wie in einem Wartesaal sitzen. „I hurt myself today“, singt Johnny Cashs tiefer Bass. Dazu Gewittergr­ollen. „Ich fürchte mich“, sagt der Hausierer Von Gunten, „ich habe das Gefühl, ich warte hier schon seit Stunden.“Er meldet der Polizei, dass er ein Mädchen gefunden habe. Lilli Moser ist schon das dritte Kind, das mit dem Rasiermess­er verstümmel­t und ermordet worden ist. Ihre roten Stiefel und die rote Schultasch­e leuchten auf der düsteren Bühne.

Von Gunten hat nach 20 Stunden Verhör erschöpft die Tat gestanden und dann in Haft Selbstmord begangen. Trotzdem glaubt Kriminalko­mmissar Matthai nicht, dass dies der Täter ist. Sein titelgeben­des Verspreche­n an Lillis Eltern, den Mörder zu fassen, lässt ihn nicht los. Da die Polizei den Fall als geklärt erachtet, macht Matthai sich als Privatpers­on auf die Jagd und scheitert.

Denn „Das Verspreche­n“trägt den klassische­n Aufdeckerh­elden zu Grabe. Der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt bricht das herkömmlic­he Krimi-Konzept und damit ein Verspreche­n an das Publikum. Er schrieb in den 1960er-Jahren das Drehbuch für „Es geschah am hellichten Tag“. Filmstar Heinz

Rühmann wollte keine Negativfig­ur sein, sondern als Held vom Platz gehen. Also griff Dürrenmatt später den Text erneut auf und entwickelt­e den Roman mit anderer Wendung.

„Der Mörder ist tot und wir können alle erleichter­t sein“, sagt der Pfarrer bei Lillis Begräbnis. Dem Volk dürstet nach solch grausamer Tat nach Gerechtigk­eit und Vergeltung. Gut und Böse sollen wieder ins Gleichgewi­cht kommen. „Wir lieben Krimis, weil wir wissen: Das Gute wird nach zwei Stunden siegen“, sagt Claus Tröger. Der gebürtige Halleiner hat den Stoff fürs Theater adaptiert und eine Bühnenfass­ung geschaffen; am Samstagabe­nd war Premiere im Stadttheat­er Mödling, im Februar wird sie im Theater Scala in Wien aufgeführt.

Beide Häuser leitet der Regisseur, Schauspiel­er und Autor Bruno Max, der ebenfalls aus Salzburg stammt. Er gründete 1986 das „Theater zum Fürchten“. „Tröger erarbeitet das erste Mal für uns am Haus eine Inszenieru­ng“, berichtet Bruno Max. Ihm sei auch die Koprodukti­on mit dem Stadttheat­er Bruneck in Südtirol zu verdanken.

„Wir sind kriminalfi­lmmäßig verseucht von Film und Fernsehen. Mein Anliegen war es, das größte Kino, das wir haben, zu nutzen: die eigene Fantasie“, sagt der Regisseur. Er hat den Text entschlack­t, umgestellt und auf die Kernsituat­ion reduziert. Dazu passt das kahle Bühnenbild von Klaus Gasperi: in Molton-Stoff verhüllte Stelen und eine Schaukel. Herausrage­nd spielt Florian Lebek den Hausierer wie den tatsächlic­hen Mörder: Der psychisch gestörte Albert wird von der 32 Jahre älteren Ehefrau erniedrigt. Frauenhass auf seine „Mutti“ist Motiv. Seine Taten sind Racheakte, nicht Lustmorde. Als Zauberer verkleidet verführt er die Mädchen mit Glitzerkon­fetti und Schokolade. Das Johnny-Cash-Stück tönt dazu als lieblich-gruseliges Glockenspi­el.

Klaus Rohrmoser manövriert sich als Kommissar Matthai gekonnt in den Abgrund des Wahnsinns. Das Unterhemd zerrissen, versifft und versoffen ist er zum Schluss gebrochen wie das gängige Krimi-Konstrukt, das immer den Ermittler feiert. „What have I become?“, fragt Johnny Cash.

„Wir sind krimimäßig verseucht.“

Claus Tröger, Regisseur

Theater: „Das Verspreche­n“, Stadttheat­er Mödling bis 25. Jänner; Theater Scala, Wien, 14. bis 29. Feb.; Stadttheat­er Bruneck ab 15. bis 29. März.

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