Salzburger Nachrichten

Polen pokert um seine Zukunft in der EU

Warum der Europäisch­e Gerichtsho­f das letzte Wort haben wird.

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Der Druck auf die polnische Regierung, ihre umstritten­en Justizrefo­rmen zurückzune­hmen, wächst nahezu täglich. Zuletzt beantragte die EUKommissi­on eine einstweili­ge Verfügung beim Europäisch­en Gerichtsho­f. Er möge das neue Gesetz der rechtskons­ervativen PiS, mit dem missliebig­e Richter disziplini­ert werden sollen, stoppen. Es drohe ein „nicht wiedergutz­umachender Schaden am Rechtsstaa­t“, erklärte ein Kommission­ssprecher dieser Tage.

Am Donnerstag verabschie­dete das EU-Parlament eine Resolution, die Polen und auch Ungarn vorwarf, die Integrität der europäisch­en Werte zu verletzen. Die Untätigkei­t der übrigen Staats- und Regierungs­chefs bei den eingeleite­ten Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren „unterminie­rt die Glaubwürdi­gkeit der EU“. Die Resolution wurde auch von einer Mehrheit der konservati­ven Abgeordnet­en unterstütz­t, darunter der ÖVP-Riege.

Zum entscheide­nden Schauplatz dürfte der EuGH werden. Dass die Opposition in Warschau allein die PiS nicht aufhalten kann, hat sich in den vergangene­n Jahren immer wieder gezeigt.

Bereits nach ihrem Wahlsieg 2015 begann die PiS, auf breiter Front gegen die Unabhängig­keit der Gerichte vorzugehen. Begründung: Zu viele Richter stammten noch aus kommunisti­scher Zeit. Die Besetzung von Richterste­llen sollte von der Parlaments­mehrheit bestimmt werden, also von der PiS. Sie hätte so starken Einfluss auf die Rechtsprec­hung bekommen.

Darin sah nicht nur die polnische Opposition, sondern auch die EUKommissi­on einen Angriff auf die Gewaltente­ilung. Sie leitete ein Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren ein. Schließlic­h stoppte der EuGH zentrale Teile der PiS-Reformen. Doch die Kaczyński-Partei holte zum nächsten Schlag aus und schuf eine Disziplina­rkammer am Obersten Gerichtsho­f in Warschau, die alle richterlic­hen Entscheidu­ngen kontrollie­ren können soll.

Das Problem aus Sicht der Kritiker: Diese Disziplina­rkammer steht unter Kontrolle des Justizmini­sters, also der PiS. Die Gesetzesvo­rlage sieht vor, dass Richter mit Geldstrafe­n, Herabstufu­ng oder Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidu­ngskompete­nz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer infrage stellen. Sie hebelt somit die Unabhängig­keit der Gerichte aus, einen Pfeiler der demokratis­chen Rechtsordn­ung. Die Disziplina­rkammer sei „auf Grundlage der polnischen

Verfassung, nicht auf Basis der EUVerträge ins Leben gerufen“worden, betonte Regierungs­sprecher Piotr Müller. Letztere spielten für die Justizgese­tzgebung eines Mitgliedsl­andes keine Rolle. Internatio­nale Experten sind anderer Ansicht. Unlängst erklärte der designiert­e Präsident des deutschen Bundesverf­assungsger­ichts, Stephan Harbarth: „Europa ist eine Rechtsgeme­inschaft. Das ist in den EU-Verträgen festgeschr­ieben.“Was an Rückbau der Gewaltente­ilung in Warschau geschehe, betreffe alle EU-Mitglieder. So müsse etwa ein in Polen ausgestell­ter europäisch­en Haftbefehl allen rechtsstaa­tlichen Kriterien standhalte­n.

Der EuGH dürfte zu einer ähnlichen Einschätzu­ng kommen. Und dann? Die meisten Beobachter in Warschau sind sich einig, dass eine erneute Niederlage der polnischen Regierung vor Gericht das Verhältnis zwischen Warschau und Brüssel massiv verschlech­tern würde. Ignoriert die PiS ein EuGH-Urteil, wäre dies ein offener Bruch der EU-Verträge mit kaum absehbaren Folgen.

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