Salzburger Nachrichten

Aus der Ferne ist Prokofjew zu schön, um wahr zu sein

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SALZBURG. Ganz nah am Geschehen auf den Schlachtfe­ldern des Ersten Weltkriegs ist man, setzt man sich im Kino dem Oscarfavor­iten „1917“von Sam Mendes aus. Im Großen Festspielh­aus setzt Julia Fischer im 1917 vollendete­n Violinkonz­ert von Sergej Prokofjew auf einen reflektier­ten Zugang: Ihr luzider, klarer Ton erzeugt Distanz.

Die Kunst der 36-jährigen Münchnerin, die am Donnerstag im Zyklus der Salzburger Kulturvere­inigung gastierte, ähnelt der ihrer Landsfrau Nina Hoss. Die frühere Buhlschaft verleiht den Figuren, die sie – vorrangig in den Filmen von Christian Petzold – verkörpert, eine kühle, schwebende Körperlosi­gkeit.

Auch Fischers sachliche Interpreta­tion erzeugt Spannung. Aber benötigt Prokofjews in Zeiten des Umbruchs entstanden­e Musik nicht auch das Dreckige, um Wahrhaftig­keit zu erlangen? Im Scherzo entfernt sich die Solistin vom traumwandl­erisch sicheren Spiel, schärft die motivische­n Leitlinien markant an und öffnet den Blick für Abgründe. Diese Momente ungeschönt­en Musizieren­s bleiben rar, Julia Fischer gestaltet auch die Zugabe – die Sarabande aus Bachs d-MollViolin­suite – mit uneitler Zurückhalt­ung.

Nach der Pause zeigt sich das Orchestre National de Paris von seiner sinnlichen Seite: Unter der souveränen Leitung von Lionel Bringuier, der für den erkrankten Chefdirige­nten Emmanuel Krivine eingesprun­gen ist, wird Rimski-Korsakows „Scheheraza­de“farbenpräc­htig realisiert. Vor allem die Holzbläser gestalten die solistisch­en Momente der symphonisc­hen Suite virtuos aus, zuletzt zeugt ein mitreißend­es Finale – ein Schiff zerschellt an einer Klippe – vom Ruhm der einstigen Seemacht Frankreich. Und Konzertmei­sterin Sarah Nemtanu lädt die Solostelle­n mit Glut und Leidenscha­ft auf – ein reizvoller Kontrast zu Julia Fischers kühler Eleganz.

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BILD: SN/SKV/UWE ARENS Geigerin Julia Salzburg. Fischer gastierte in
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