Im Schutz der Dunkelheit 1977 legte ein Black-out New York einen Tag lahm
Nacht und Dämmerung sind traditionell die Arbeitszeit für Einbrecher und andere Kriminelle. Im Bestreben, den illegalen Eigentumstransfer zu unterbinden, entstanden neue Berufe und Geschäftsideen.
WIEN. Nacht und Dunkelheit sind seit jeher nicht nur die Zeit der Ruhe und des Schlafs, sondern auch die Zeit der Bedrohung und des Schreckens. Sie ist die Schattenseite des Tages. Die bei Tageslicht gewohnte Sicherheit ist in Stunden der Dunkelheit infrage gestellt, mitunter völlig außer Kraft gesetzt.
Nicht nur Kinder fürchten sich im Dunklen. Die Angst vor der Finsternis steckt genetisch im Menschen. Viele Tausend Jahre lang hat er die Erfahrung gemacht, dass wilde Tiere oder auch nicht wohlgesinnte Menschen die Nacht für einen Angriff oder Diebstahl nutzen.
Bezeichnend ist in dieser Hinsicht die Redewendung „im Schutz der Dunkelheit“. Eine ähnliche Idee kommt zum Ausdruck, wenn englische Diebe sich über „a good darky“austauschen – und damit aus ihrer Sicht für einen Einbruch günstige Lichtverhältnisse bezeichnen.
Wie eng Dunkelheit und Verbrechen in der Erfahrung der Menschen miteinander verbunden sind, belegen Sprichwörter wie „Wenn der Wächter nicht wacht, wacht der Dieb“oder „Der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht“. Auch der Ausdruck „lichtscheu“spricht Bände. „In der Nacht leben wir unsere Alter Egos aus“, sagt Markt- und Motivforscher Gerhard Keim. Also unsere Nachtseite – die nicht zwangsläufig negativ sein muss, die aber die Emotionen hochgehen lassen kann, wie Konflikte zwischen Nachtschwärmern und Schlafsuchenden in größeren Städten immer wieder zeigen. Immer mehr Städte haben einen „Nachtbürgermeister“eingesetzt, als Ansprechperson und Vermittler zwischen Nachtwirtschaft, Stadtverwaltung und Politik.
Dass Dunkelheit die Häufigkeit bestimmter Verbrechen fördert, belegen kriminologische Untersuchungen. So zeigt eine Studie vom University College London von Lisa Tompson und Kate Bowers, dass es in London in den dunklen Stunden um 160 Prozent mehr Raubüberfälle gibt als am Tag. Für die schottische Hauptstadt Glasgow liegt dieser Anstieg mit plus 20 Prozent deutlich darunter, ist aber immer noch aussagekräftig. Dieselbe Studie belegt, dass in London 40 Prozent der Raubüberfälle zwischen 22 und 4 Uhr früh stattfinden.
Hier kommen die wirtschaftlichen Aspekte der Nacht ins Spiel. Sie ist einerseits die Zeit des unfreiwilligen Wechsels von Besitztümern.
Zugleich entstanden neue Berufe und Geschäftsmodelle, um Schutz vor der Dunkelheit zu bieten. Im Mittelalter kam der Beruf des Nachtwächters auf, der bis heute weiterlebt in Gestalt von Nachtportieren oder in auf Objektschutz spezialisiertem Sicherheitspersonal. Und seit der Spätantike ist das Aufkommen von Straßenbeleuchtung in verschiedenen Kulturen belegt. Das hatte naheliegende praktische Gründe, zugleich waren es aber auch Prestigeprojekte des Herrschers, der mit hell erleuchteten Straßen zeigen wollte, dass seine Macht über den Tag hinausreicht und er selbst in der Nacht für Ordnung sorgen kann. Bei den alten Römern finden sich beleuchtete Straßen ebenso wie im antiken Syrien oder später im Mittelalter.
In Paris waren die Gassen seit 1667 beleuchtet, 20 Jahre später war es in Wien so weit. Die permanente Überwachung durch Videokameras in großen Städten wie London könnte man als moderne Fortsetzung
dieser Transparenz verstehen. Wie wichtig nächtliche Straßenbeleuchtung ist, zeigt sich dann, wenn sie ausfällt. Eindrücklich zu sehen war das am 13. Juli 1977, als um 21.36 Uhr ein massiver Stromausfall ganz New York lahmlegte. 25 Stunden Black-out genügten, um die vermeintlich zivilisierteste Stadt des Erdballs ins Chaos zu stürzen. Die
Folgen waren verheerend. Vor allem in Armenvierteln kam es zu Gewalttaten und Plünderungen. „Die Nacht des Terrors“titelte das „Time“-Magazine damals. Dass das nicht übertrieben war, zeigt die Bilanz jener Nacht: Marodierende Mobs plünderten mehr als 1600 Geschäfte, gut 1000 Brände wurden gelegt. Der Schaden reichte in die Milliarden, die psychologischen Folgen sind bis heute spürbar. Und die Angst vor ähnlichen Ereignissen steckt mehr oder weniger bewusst wohl auch all jenen Politikern und Energiebetreibern in den Knochen, die viel Hirnschmalz und Geld darauf verwenden, um solche Vorkommnisse zu verhindern.
Eine große Rolle spielt die Prävention. Es geht darum, durch intelligente Beleuchtungen schon die Idee zu einem möglichen Verbrechen im Keim zu ersticken und zugleich bei den Bürgern ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen. Auf Lichtlösungen im öffentlichen Raum hat sich der Vorarlberger Lichtkonzern Zumtobel mit seiner Tochter Thorn spezialisiert. Als Beispiel nennt der für Außenbeleuchtung zuständige Experte Wolfgang Stroj den Grazer Volksgarten.
Der Park hatte einen so schlechten Ruf, dass sich Anrainer im Dunkeln nicht mehr hineinwagten. Wiederholt fielen die 88 NatriumDampflampen im Park Vandalismus zum Opfer, jährlich musste die Hälfte davon ersetzt werden. Mehr Licht allein genügte nicht, die Herausforderung
an die Lichtdesigner war wesentlich größer, erzählt Stroj. Blendendes Licht etwa störe die Orientierung, es ging auch darum, das Licht insektenfreundlich zu gestalten. Die schließlich gefundene Lösung bestand aus sechs intelligenten und unzerstörbaren Leuchten, die im Normalbetrieb auf nur 20 Prozent ihrer Lichtstärke gedimmt sind. Nähert sich ein Passant, erhellt ein Bewegungssensor den geplanten Weg auf 50 Prozent Lichtstärke und dunkelt dahinter zeitverzögert wieder ab. Und als Innovation sind die – auf 4,50 Metern angebrachten – in Alu-Druckgusskörpern installierten Leuchten an einen Akustiksensor gekoppelt. Bei Lärmentwicklung fahren die Lampen auf 100 Prozent Leistung und strahlen den Park taghell aus. Das verschreckt mögliche Übeltäter, erleichtert Polizeieinsätze und vermittelt der Bevölkerung Sicherheit.
Auch die Lichtfarbe spielte eine Rolle, sagt Stroj. Im Normalbetrieb gibt es mildes, warmes Licht, das im Alarmfall kaltblau werden kann. Ähnliche Projekte hat Zumtobel bereits an anderen Orten realisiert. Erst im Sommer wurde ein Auftrag in der Mongolei an Land gezogen. 11.000 LED-Leuchten der Konzerntochter Thorn sollen den strukturschwachen Norden der Hauptstadt Ulan Bator erhellen, die Kriminalitätsrate senken und die Sicherheit nachhaltig verbessern.
Auch in Österreich zeigt die Kriminalstatistik einen klaren Zusammenhang zwischen Dunkelheit und bestimmten Verbrechen, allen voran bei Einbruchsdiebstählen. Die Monate Oktober bis März seien die klassische Zeit für sogenannte Dämmerungseinbrüche, warnt das Bundeskriminalamt (BKA). Dank rascher Ermittlungen, spezieller Analysemethoden und umfangreicher Prävention und Information sank die Zahl der Dämmerungseinbrüche, sagt BKA-Sprecher Vincenz Kriegs-Au. Unter anderem wegen gezielter Warnungen in gefährdeten Gebieten seien die Dämmerungseinbrüche in der Wintersaison 2018 um 22 Prozent zurückgegangen. Und dank besserer Prävention bleibe es immer öfter nur beim Versuch eines Einbruchs, im Vorjahr war dies in fast der Hälfte der angezeigten Fälle so. Dafür waren laut BKA außer mechanischen und elektronischen Sicherungsmaßnahmen „auch gute Nachbarschaft und gegenseitige Hilfe enorm wichtig“, etwa eine Vertrauensperson, die den Briefkasten entleert, wenn die Nachbarn auf Urlaub sind.