Salzburger Nachrichten

PETZEN IM DIENSTE DER GESELLSCHA­FT

- Stephan Kliemstein ist Rechtsanwa­lt in Salzburg (König & Kliemstein Rechtsanwä­lte OG). STEPHAN KLIEMSTEIN

Wer wie der wohl berühmtest­e Whistleblo­wer „Deep Throat“, der einst den Watergate-Skandal ins Rollen brachte, geheime Informatio­nen an die Öffentlich­keit weitergibt, lebt nicht nur gefährlich, sondern bewegt sich auch juristisch auf dünnem Eis. Der VWSkandal, die Dopingaffä­re bei russischen Leichtathl­eten, Ibiza, der FPÖSpesens­kandal, der ÖVP-Spendenska­ndal, das blaue Gold. Wie weit darf investigat­iver Journalism­us gehen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen? In Deutschlan­d haben vor allem die Recherchen von Günter Wallraff maßgeblich zur Rechtsfort­bildung beigetrage­n: 1977 hatte sich Wallraff undercover bei der „Bild“-Zeitung eingeschle­ust und über schwere journalist­ische Missstände und unsaubere Recherchen berichtet. Im sogenannte­n Wallraff-Beschluss wertete das deutsche Bundesverf­assungsger­icht damals, die Veröffentl­ichung rechtswidr­ig erlangter Informatio­nen sei vom Schutz der Meinungsfr­eiheit umfasst – es bedürfe aber einer fallbezoge­nen Zweck-Mittel-Relation, also einer Abwägung der Interessen. Nur wenn die Bedeutung für die Öffentlich­keit die Nachteile, etwa die Verletzung von Persönlich­keitsrecht­en, überwiegt, darf illegal beschaffte­s Material veröffentl­icht werden.

In Österreich ist die Rechtslage ähnlich: Aufdecker-Storys sind ein rechtliche­s Minenfeld, sowohl für die Hinweisgeb­er als auch für Journalist­en. In vielen Gesetzen finden sich Vorschrift­en, welche die Privatsphä­re, Geschäfts- und Betriebsge­heimnisse, personenbe­zogene Daten, aber auch das Recht am eigenen Bild und das gesprochen­e Wort schützen. Verdeckte Recherchen und ein Einsatz von Abhörgerät­en sind nur dann erlaubt und folglich nicht strafbar, wenn die Informatio­nen von besonderem Wert sind und auf andere Weise nicht beschafft werden können – wenn also durch die Berichters­tattung grobe Missstände aufgedeckt werden und dies sonst nicht möglich ist.

Auch im Ehrenkodex der österreich­ischen Presse steht: Journalist­en dürfen bei der Informatio­nsbeschaff­ung grundsätzl­ich keine unlauteren Methoden anwenden – und auch keine Abhörgerät­e einsetzen. Es sei denn, die Informatio­nen sind von „besonderem öffentlich­en Interesse“, oder es droht eine „Irreführun­g der Öffentlich­keit“. Auch der Gesetzgebe­r scheint sich der Relevanz von Whistleblo­wern inzwischen bewusst zu sein. Schutzvors­chriften für Tippgeber finden sich beispielsw­eise im Börsegeset­z, im Bankweseng­esetz und im Wettbewerb­sund Kartellrec­ht. Nach der EUGeheimni­sschutzric­htlinie von 2016 ist die Offenlegun­g illegaler Aktivitäte­n nicht strafbar, wenn dies dem öffentlich­en Interesse dient. Erst am 23. Oktober 2019 beschlosse­n das Europäisch­e Parlament und der Rat die Richtlinie „zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrech­t melden“. Die Mitgliedst­aaten haben bis zum 17. Dezember 2021 Zeit, die Vorschrift­en national umzusetzen.

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