Russland muss mit dem „ewigen Putin“rechnen
Seine Macht will der Kremlchef auch dann behalten, wenn er als Präsident abtreten muss. Seinem Land dürfte damit Stagnation drohen.
Heute ist Russland politisch ein Einmannbetrieb. Der Ex-Geheimdienstler Wladimir Putin bestimmt seit zwei Jahrzehnten, was im Land geschieht. Dieser Kremlchef hat längst alles beseitigt, was es an demokratischen Ansätzen in der Zeit seines Vorgängers Boris Jelzin gegeben hat: konkurrierende Parteien, mitredende Gouverneure, kritische Medien. Putin hat Russland wieder in eine Autokratie verwandelt.
Der jüngste politische Coup in Moskau führt dies exemplarisch vor Augen. Putin will kurzerhand das politische System umbauen. Die regierende Partei „Einiges Russland“und das von ihr dominierte Parlament haben den befohlenen Verfassungsänderungen bestenfalls ihren Segen zu geben. Was Putin bisher als Reform präsentiert hat, ist unausgegoren, einzig an dem Ziel ausgerichtet, für Putin die Macht zu sichern, wenn seine Amtszeit 2024 ausläuft und er nicht mehr als Präsident kandidieren darf.
Im Machtkalkül des Kremlchefs gibt es dafür offenbar zwei Alternativen. Entweder kommt es neuerlich zu einem Ämtertausch wie schon vor gut zehn Jahren, als Putin vorübergehend Premier wurde, bevor er wieder den Posten des Präsidenten übernahm. Das kann, wenn es als bloße Aktion zur Machterhaltung erscheint, für Putin prestigemindernd sein.
Oder man schafft ein neues Machtzentrum, etwa einen Staatsrat, und stattet es mit weitreichenden Befugnissen aus. Als sein Vorsitzender kann Putin weiterhin alle Fäden in der Hand behalten. Das ist das Modell Kasachstan: Dort ist Nursultan Nasarbajew zwar als Präsident abgetreten, aber Vorsitzender der Regierungspartei, Chef des Sicherheitsrats und „Führer der Nation“geblieben. Auf diese Weise behält der Mann, zu dessen Huldigung die Hauptstadt Astana flugs in Nur-Sultan umbenannt worden ist, seinen Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen.
Bei der Umschreibung von Russlands Verfassung hat die Gesellschaft nichts mitzureden. Fadenscheinig ist Putins Versuch, mehr Bürgermitsprache zu suggerieren und dem System durch das Versprechen von Referenden einen demokratischeren Anstrich zu geben.
Absurd ist es angesichts solcher Vorgänge, ein politisches System wie jenes in Russland als „gelenkte Demokratie“zu bezeichnen. Wo einer das Kommando hat, ist kein Raum für Demokratie. Viel eher ist hier eine „Fassaden-Demokratie“zu besichtigen: nach außen hin demokratisch erscheinend, weil ein Wahlprozess stattfindet; aber im Kern doch keine Demokratie, weil alles von oben orchestriert wird.
Der prompte Rücktritt von Regierungschef Dmitrij Medwedew macht das russische Machtgefüge ebenfalls klar. Er war stets die Nummer zwei, auch als er anstelle von Putin als Präsident amtiert hat. Illusionär blieb die Hoffnung des Westens, Medwedew könnte als liberale Stimme ein kooperatives Russland anführen. Jetzt hat Medwedew, im innerrussischen Kontext, auch seine Rolle als Blitzableiter ausgespielt. Als unpopulär Gewordener ist er nicht mehr die richtige Person, auf die sich die Schuld für die Wirtschaftsmisere abwälzen lässt. Die Regierungspartei „Einiges Russland“will bei den Parlamentswahlen 2021 nicht den Unmut der Bevölkerung abbekommen.
Aber als Quasi-Alleinherrscher ist Putin letztlich für alles verantwortlich. Er hat die Demokratie-Demontage in Russland betrieben. Er hat die technologische Modernisierung von Russlands Wirtschaft verabsäumt. Russland ist unter Putin einzig Öl-/Gaslieferant und Waffenexporteur geblieben, damit extrem abhängig vor allem von Energieressourcen. Perspektivisch steckt Russland in der Sackgasse, weil es ohne diversifizierte Wirtschaft für das Nach-Öl-Zeitalter schlecht aufgestellt ist – ein Scheinriese.
Umso mehr möchte Putin demonstrieren, dass er für ein „starkes Russland“steht. Nach dem Gewaltakt in der Ukraine („Heimholung“der Krim) will der Kremlchef sein Land vor allem in der arabischen Welt, von Syrien bis Libyen, mit militärischen Mitteln als strategischen Akteur positionieren. Auch in Lateinamerika sucht er Russland, durch verstärkte Kontakte zu (Krisen-)Ländern wie Venezuela und Kuba, im politischen Spiel zu halten. Bei Autokraten in Afrika ist Russland als sicherheitspolitischer Helfer und Waffenlieferant willkommen. Stets geht es der Atommacht Russland darum, mit Amerika auf Augenhöhe zu agieren.
Wo einer kommandiert, ist keine Demokratie