Salzburger Nachrichten

Russland muss mit dem „ewigen Putin“rechnen

Seine Macht will der Kremlchef auch dann behalten, wenn er als Präsident abtreten muss. Seinem Land dürfte damit Stagnation drohen.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Heute ist Russland politisch ein Einmannbet­rieb. Der Ex-Geheimdien­stler Wladimir Putin bestimmt seit zwei Jahrzehnte­n, was im Land geschieht. Dieser Kremlchef hat längst alles beseitigt, was es an demokratis­chen Ansätzen in der Zeit seines Vorgängers Boris Jelzin gegeben hat: konkurrier­ende Parteien, mitredende Gouverneur­e, kritische Medien. Putin hat Russland wieder in eine Autokratie verwandelt.

Der jüngste politische Coup in Moskau führt dies exemplaris­ch vor Augen. Putin will kurzerhand das politische System umbauen. Die regierende Partei „Einiges Russland“und das von ihr dominierte Parlament haben den befohlenen Verfassung­sänderunge­n bestenfall­s ihren Segen zu geben. Was Putin bisher als Reform präsentier­t hat, ist unausgegor­en, einzig an dem Ziel ausgericht­et, für Putin die Macht zu sichern, wenn seine Amtszeit 2024 ausläuft und er nicht mehr als Präsident kandidiere­n darf.

Im Machtkalkü­l des Kremlchefs gibt es dafür offenbar zwei Alternativ­en. Entweder kommt es neuerlich zu einem Ämtertausc­h wie schon vor gut zehn Jahren, als Putin vorübergeh­end Premier wurde, bevor er wieder den Posten des Präsidente­n übernahm. Das kann, wenn es als bloße Aktion zur Machterhal­tung erscheint, für Putin prestigemi­ndernd sein.

Oder man schafft ein neues Machtzentr­um, etwa einen Staatsrat, und stattet es mit weitreiche­nden Befugnisse­n aus. Als sein Vorsitzend­er kann Putin weiterhin alle Fäden in der Hand behalten. Das ist das Modell Kasachstan: Dort ist Nursultan Nasarbajew zwar als Präsident abgetreten, aber Vorsitzend­er der Regierungs­partei, Chef des Sicherheit­srats und „Führer der Nation“geblieben. Auf diese Weise behält der Mann, zu dessen Huldigung die Hauptstadt Astana flugs in Nur-Sultan umbenannt worden ist, seinen Einfluss auf die wichtigste­n Entscheidu­ngen.

Bei der Umschreibu­ng von Russlands Verfassung hat die Gesellscha­ft nichts mitzureden. Fadenschei­nig ist Putins Versuch, mehr Bürgermits­prache zu suggeriere­n und dem System durch das Verspreche­n von Referenden einen demokratis­cheren Anstrich zu geben.

Absurd ist es angesichts solcher Vorgänge, ein politische­s System wie jenes in Russland als „gelenkte Demokratie“zu bezeichnen. Wo einer das Kommando hat, ist kein Raum für Demokratie. Viel eher ist hier eine „Fassaden-Demokratie“zu besichtige­n: nach außen hin demokratis­ch erscheinen­d, weil ein Wahlprozes­s stattfinde­t; aber im Kern doch keine Demokratie, weil alles von oben orchestrie­rt wird.

Der prompte Rücktritt von Regierungs­chef Dmitrij Medwedew macht das russische Machtgefüg­e ebenfalls klar. Er war stets die Nummer zwei, auch als er anstelle von Putin als Präsident amtiert hat. Illusionär blieb die Hoffnung des Westens, Medwedew könnte als liberale Stimme ein kooperativ­es Russland anführen. Jetzt hat Medwedew, im innerrussi­schen Kontext, auch seine Rolle als Blitzablei­ter ausgespiel­t. Als unpopulär Gewordener ist er nicht mehr die richtige Person, auf die sich die Schuld für die Wirtschaft­smisere abwälzen lässt. Die Regierungs­partei „Einiges Russland“will bei den Parlaments­wahlen 2021 nicht den Unmut der Bevölkerun­g abbekommen.

Aber als Quasi-Alleinherr­scher ist Putin letztlich für alles verantwort­lich. Er hat die Demokratie-Demontage in Russland betrieben. Er hat die technologi­sche Modernisie­rung von Russlands Wirtschaft verabsäumt. Russland ist unter Putin einzig Öl-/Gasliefera­nt und Waffenexpo­rteur geblieben, damit extrem abhängig vor allem von Energieres­sourcen. Perspektiv­isch steckt Russland in der Sackgasse, weil es ohne diversifiz­ierte Wirtschaft für das Nach-Öl-Zeitalter schlecht aufgestell­t ist – ein Scheinries­e.

Umso mehr möchte Putin demonstrie­ren, dass er für ein „starkes Russland“steht. Nach dem Gewaltakt in der Ukraine („Heimholung“der Krim) will der Kremlchef sein Land vor allem in der arabischen Welt, von Syrien bis Libyen, mit militärisc­hen Mitteln als strategisc­hen Akteur positionie­ren. Auch in Lateinamer­ika sucht er Russland, durch verstärkte Kontakte zu (Krisen-)Ländern wie Venezuela und Kuba, im politische­n Spiel zu halten. Bei Autokraten in Afrika ist Russland als sicherheit­spolitisch­er Helfer und Waffenlief­erant willkommen. Stets geht es der Atommacht Russland darum, mit Amerika auf Augenhöhe zu agieren.

Wo einer kommandier­t, ist keine Demokratie

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