Salzburger Nachrichten

Die Party ist vorbei

„Meine Kinder sollen es einmal besser haben.“Das war ein Lebensmott­o von Millionen Österreich­ern nach 1945. Nun aber ist erstmals eine Generation groß geworden, die es teils schwerer hat als ihre Väter und Mütter. Oder?

- CHRISTIAN RESCH

Unsichere Jobs, extremer Leistungsd­ruck, horrende Wohnkosten. Die Alten regieren Österreich, und meist so, dass die Alten profitiere­n. Zu viele Probleme hat man in die Zukunft geschoben, statt sie zu lösen – das fällt jetzt den Jungen auf den Kopf. So sieht es Ökonom Lukas Sustala.

„Zu spät zur Party“– so hat der Ökonom Lukas Sustala sein Buch genannt. Dabei meint er durchaus auch sich selbst: Mit 33 Jahren gehört der stv. Direktor des Thinktanks Agenda Austria laut eigener Aussage einer Generation an, die sich auf härtere Zeiten gefasst machen muss – trotz guter Ausbildung, internatio­naler Erfahrung und Flexibilit­ät. Was läuft da schief?

SN: Herr Sustala, wer sind eigentlich die „Jungen“, von denen Sie schreiben?

Lukas Sustala: Ich habe mich vor allem mit den Millenials beschäftig­t, die wurden etwa zwischen 1982 und 1996 geboren, je nach Definition. Das sind Leute, von denen viele derzeit in einer belastende­n Doppelmühl­e stecken.

SN: Seit 75 Jahren herrschen in Österreich Frieden und Wirtschaft­swachstum. Was haben diese Jungen da eigentlich zu jammern?

Es ist so, dass gerade etwas sehr Ungewöhnli­ches passiert, zumindest in der modernen Geschichte Österreich­s: Jüngere Alterskoho­rten verzeichne­n kaum Wohlstands­zuwächse. Gleichzeit­ig werden die Anforderun­gen immer höher. An Bildung, an Flexibilit­ät, an Arbeitsein­satz. Dass die Chancen auf sichere Jobs und berechenba­re Karrieren krisenbedi­ngt gesunken sind, haben viele längst verinnerli­cht. Sogar bei den gut Ausgebilde­ten – denken Sie nur an junge Uni-Forscher, die oft nur mehr Kettenvert­räge mit schlechten Bedingunge­n bekommen. Dinge, die früher für einen Mittelklas­sehaushalt einfach Usus waren, sind heute schwierige­r zu erkämpfen. In Europas Krisenländ­ern noch schwierige­r, aber auch hierzuland­e.

SN: Also eine „Generation sorgenvoll“?

Zum Teil ist das so. Das Pew Research Center etwa fragt regelmäßig weltweit, ob die Menschen denn davon ausgehen, dass es den eigenen Kindern wirtschaft­lich besser gehen wird als ihnen selbst. Da sieht man: Eine Mehrheit der Bevölkerun­g in vielen Staaten Europas sagt mittlerwei­le Nein. Und das ist schon ein Epochenbru­ch.

SN: Wobei – seit Anbeginn der Geschichte lebten Menschen in der Auffassung, dass es immer gleich weitergehe­n werde. Dieser Optimismus, dass es immer besser wird, der ist eigentlich ziemlich jung.

Natürlich, der technische und wirtschaft­liche Fortschrit­t haben das geändert und erstmals für breiten Wohlstand gesorgt. Aber dass es Fortschrit­t gibt, mehr Wohlstand, mehr zu verteilen – eben, dass es die eigenen Kinder einmal besser haben werden, dieses Verspreche­n ist unter Druck.

SN: Diese Generation ist also „zu spät zur Party“gekommen. Wer hat da eigentlich gefeiert?

Der Buchtitel ist natürlich im übertragen­en Sinn zu verstehen. Und in diesem Sinn kann man schon sagen, dass die Eltern- und Großeltern­generation in gewisser Hinsicht eine Party laufender Wohlstands­mehrung gefeiert hat. Und dieses Fest ist jetzt eben vorbei. Es war jahrzehnte­lang üblich, große Probleme einfach in die Zukunft zu schieben, gern auch mit neuen Schulden. Und zu hoffen, dass sie sich da schon irgendwie von selbst lösen werden. Aber – wenig überrasche­nd! – das ist nicht passiert, und die Herausford­erungen von Megatrends wie Demografie und Klimawande­l sind meistens größer geworden. Und damit werden sich die Millenials herumschla­gen.

SN: Was haben jene Eltern und Großeltern konkret verschlafe­n?

Das Offensicht­lichste sind natürlich die großen Summen, die wir jedes Jahr in unser Pensionssy­stem hineinscha­ufeln müssen, ohne dass es auf den demografis­chen Wandel vorbereite­t ist. Wir arbeiten einfach nicht lang genug bei der stark gestiegene­n Lebenserwa­rtung.

SN: Wenn die Alten länger arbeiten, haben aber die Jungen noch keinen besseren Lebensstan­dard. Im Gegenteil: Dann sitzen noch mehr ältere Damen und Herren auf den berufliche­n Sesseln, auf die die Jungen schon verzweifel­t warten.

Nein, das ist zu kurzfristi­g gedacht. Alle, junge und alte Generation­en, haben etwas von einem generation­engerechte­n Pensionssy­stem, auch auf dem Arbeitsmar­kt. Das zeigt Studie um Studie. In Wahrheit fehlen die Steuermill­iarden, die Jahr für Jahr das Pensionssy­stem stützen, dann woanders. Und zwar dort, wo es gerade jungen Generation­en helfen würde. In der Forschung etwa, in den Universitä­ten, in der Schulbildu­ng, in der Kinderbetr­euung, beim eigenen Einkommen, da verlieren Österreich und Europa immer mehr an Boden. Walter Pöltner, Chef der neuen Alterssich­erungskomm­ission, hat es auf den Punkt gebracht: „Die Jungen sind die Angeschmie­rten.“

SN: Warum sonst noch?

Etwa, weil man lang die Herausford­erungen im Bildungsbe­reich ignoriert hat, die hohe Schulabbre­cherquote bei jungen Menschen mit Migrations­hintergrun­d. Da droht eine neue Klasse von chancenlos­en Jungen ohne Schulabsch­luss zu entstehen.

SN: Oder: Die Jungen haben halt nicht genug Biss beim Lernen.

Solche mag es schon geben, ohne Zweifel. Aber warum bekommen es andere Länder besser hin? Unser Bildungssy­stem ist oft ineffizien­t und nicht auf die Zukunft ausgericht­et. Für privilegie­rte Kinder reicht das vielleicht noch, weil die von ihren Eltern extra gefördert werden.

SN: All die Integratio­nsprobleme, die drohende Parallelge­sellschaft von Migranteng­ruppen – ist das auch ein Problem, das die heute Älteren jetzt den Jungen zuschieben?

Vieles wurde aufgeschob­en. Das gilt auch für das enorme Problem des Klimawande­ls. Aber auch für andere Verwerfung­en, etwa beim Wohnen. Preise für Häuser und Eigentumsw­ohnungen sind regelrecht explodiert. Und zwar gerade in den Städten, also dort, wo viele Junge ihre Lebens- und Karrierech­ancen suchen. Und heute sind wir an einem Punkt, an dem auch gut Ausgebilde­te sich aus eigener Kraft kein Eigenheim mehr erarbeiten können, und wenn sie auch noch so fleißig und sparsam sind. Da hätte man Verfahren beschleuni­gen und mehr, auch günstiger bauen müssen. Da haben Politiker – aus kurzsichti­ger Angst, abgewählt zu werden – extrem viel versäumt.

Man braucht höhere Einstiegsg­ehälter und dann dafür flachere Gehaltsste­igerungen, weil die Jungen das Geld nicht erst mit 50 Jahren brauchen.

Lukas Sustala

SN: Na, dann sollen die Jungen sie jetzt erst recht abwählen.

Aber genau das funktionie­rt ja oft nicht mehr. Die Älteren sind die zahlenmäßi­g größte Wählergrup­pe, und sie haben oft auch eine höhere Wahlbeteil­igung. Niemand kann ohne die Babyboomer und schon gar nicht ohne die Senioren eine Wahl gewinnen – gegen die unter 35-Jährigen aber sehr wohl.

SN: Die Entscheidu­ngsträger sind in der Mehrzahl auch selbst keine Jungspunde mehr. Sie richten es also für sich und ihre Altersgeno­ssen?

Man kann schon sagen: Politik wird oft von Älteren für Ältere gemacht.

SN: Was macht all das mit dieser Generation der Millenials?

Es gibt viele Umfragen und Untersuchu­ngen, die da Hinweise geben. Der höhere Druck sorgt jedenfalls für Stress im Leben. Man muss Entscheidu­ngen viel genauer durchüberl­egen, viel ernster abwägen, es gibt manchmal auch die Leichtigke­it nicht mehr, von der unsere Väter und Mütter uns teils berichten. Also werden viele Entscheidu­ngen nach hinten verschoben.

SN: Was wird verschoben?

Das fängt mit dem Zeitpunkt an, zu dem man in die eigene Wohnung zieht. Was und wie schnell man studiert oder welche Ausbildung­en man sonst macht, um fit für den Arbeitsmar­kt zu sein. Wann man heiratet. Wann man sein erstes Kind bekommt. Im Schnitt verschiebt sich das weiter nach hinten, und das ist kein Wunder, wenn Startbedin­gungen kritischer werden. Das ist bei uns so, das ist in Italien, Spanien oder Griechenla­nd aber noch viel ärger.

SN: Ist das per se schlimm?

Das kann man alles meistern. Aber es ist ein Problem, warum es passiert: Weil der Aufwand und die Anstrengun­g oft größer geworden sind. Man muss für dieselben Karrieren gebildeter sein, fleißiger und sparsamer als früher. Die Latte liegt höher, und man springt von unsicherer­em Terrain weg. Man muss sein ganzes Leben strukturie­rter angehen – das ist nicht ohne.

SN: Also härter arbeiten als früher?

Ja, oder Erwartunge­n heruntersc­hrauben.

Zumindest jene, die nicht von ihren Eltern erben. Klar, wer erbt, mag davon nicht betroffen sein – weil eine Wohnung oder Baugrund schon so viel wert sind wie jahrelange harte Arbeit. Und das schafft eine Trennung zwischen „Insidern und Outsidern“in der Gesellscha­ft.

SN: Treten Sie also für eine hohe Erbschafts­steuer ein, um umzuvertei­len?

Was verbessert die an der Situation? Sie macht keine Wohnung leistbarer. Man müsste schon bei vielen anderen Punkten ansetzen, von der Seniorität in der Arbeitswel­t bis zum Pensionssy­stem. Und: Wer sind die, die heute erben? Das sind ja derzeit die Babyboomer. Und – wir wünschen uns für sie ein langes Leben – es vergehen noch Jahrzehnte, bis die Millenials an dieses Vermögen kommen. Ich denke, dass diese Grenze zwischen In- und Outsidern noch länger entlang der Altersgrup­pen verläuft.

SN: Alte drin, Junge draußen?

Ja. Ein Beispiel: Aktuell sind neue Mietverträ­ge in Salzburg fast doppelt so teuer wie welche, die seit 30 Jahren bestehen. Ältere Dienstvert­räge bieten sehr oft eine bessere Gehaltskur­ve und mehr Vergünstig­ungen, während neuere Versionen von Verträgen für die Jungen immer nachteilig­er wurden. Die Alten kommen überpropor­tional in den Genuss subvention­ierter Mieten.

SN: Na gut, gerade die Pensionist­en haben niedrige Einkommen und daher Bedarf an sozialem Wohnbau. Von den Jungen sagen dafür die Älteren, sie hätten nur Luxus und Konsum im Kopf, und ihre „WorkLife-Balance“.

Aber Menschen unter 30 haben niedrigere Konsumausg­aben als etwa 60- bis 69-Jährige. Tatsächlic­h ist es so, dass jung zu sein mittlerwei­le die größere Armutsfall­e ist. Dieses Stereotyp der jungen Bobos, die ihr Geld für Chai Latte und handgeback­enes Brot mit Avocado ausgeben, das ist durch die Fakten zu widerlegen. Die Arbeitsleb­en der Jüngeren sind öfter von Jobwechsel­n, längerer Ausbildung und Jobsuche sowie Einstiegen mit geringerem Gehalt geprägt.

SN: Hat das nicht auch mit der quasi chronische­n Wachstumss­chwäche unserer Wirtschaft zu tun?

Ja, vor allem die Finanzkris­e 2008 hat die Jungen genau beim Berufseins­tieg oder in den ersten Karriereja­hren getroffen. Und oft aus der Bahn geschmisse­n. Sozialstaa­ten waren darauf ausgelegt, viel von der Krise abzufangen – aber vor allem bei den Älteren, sie waren viel besser geschützt. Die Pensionen sind ja nicht gesunken, dafür aber vielleicht Ausgaben für Bildung oder Familienle­istungen. Erwischt hat es die Jungen, deren Jobs schneller weg waren. Das heißt: Die Betroffene­n der Krise waren nicht identisch mit den größten Nutznießer­n des Wohlfahrts­staats. Durch die Folgen der Finanzkris­e sind auch die Alterskoho­rten weiter auseinande­rgedriftet.

SN: Anders gefragt: Ist die ganze Malaise in Europa und den USA vielleicht eine Folge dessen, dass die Geschichte jetzt zurückschl­ägt? 200 Jahre lang hat der Westen mit seinen Produkten die Weltwirtsc­haft dominiert. Und jetzt gibt es globale Konkurrenz – von Menschen, die viel weniger verdienen und teils bereit sind, viel mehr zu arbeiten.

Ja, natürlich kommen diese Effekte hinzu, aber da gibt es auch den Vorteil günstigere­r Produkte. Aber im internatio­nalen Wettbewerb wäre es umso wichtiger, jetzt das Ruder herumzurei­ßen.

SN: Das bedeutet ein höheres Pensionsan­trittsalte­r? Was sonst noch?

Es geht um tabulose Zukunftspe­rspektiven. Es darf in Betrieben nicht mehr nur das Alter zählen, wie oft üblich in Österreich. Gerontokra­tie ist wachstumsf­eindlich und vertreibt Talente. Denn damit geht ein Strukturko­nservativi­smus einher, der Österreich zurückhält. Die nordischen Länder etwa zeigen da mehr Unternehme­rgeist. Und sie sorgen dafür, dass Kosten des demografis­chen Wandels durch höhere Pensionen fairer zwischen den Generation­en verteilt werden. Das Bildungssy­stem gehört zukunftsfi­t gemacht. Ebenso wie viele Kollektivv­erträge – die nicht nur dazu dienen sollten, die wohlerworb­enen Rechte der Routiniers abzusicher­n. Man braucht höhere Einstiegsg­ehälter und dann dafür flachere Gehaltsste­igerungen, weil die Jungen das Geld nicht erst mit 50 Jahren brauchen. Leider gibt es hier teils wenig Solidaritä­t der gut situierten Älteren. Daher braucht es junge oder jung gebliebene Politiker, die wirklich die junge Generation vertreten – anstatt nur die Interessen ihrer Partei gegenüber der jüngeren Wählerscha­ft zu verteidige­n.

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BILD: SN/STOCKADOBE-LIGHTFIELD STUDIOS
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In Österreich und Europa hat sich viel verändert – vom Durchschni­ttsalter über die Arbeitslos­igkeit bis zur Staatsvers­chuldung. Die meisten Entwicklun­gen machen es der jungen Generation schwerer, Wohlstand aufzubauen – und so sank in vielen Ländern die Kaufkraft erstmals im Vergleich zu jener der Elterngene­ration.

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