Salzburger Nachrichten

In gläserner Gluthitze

Die Gravitatio­n ist ihr Freund und Helfer. Glasbläser sind kreative Schwerarbe­iter. Timing und Teamwork sind alles. Wer abschweift, hat schon verloren.

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Drehen, drehen, drehen. Und zentrieren. Weiter rauf, nicht so weit, Stückerl runter. Ziehen, noch ein bisserl fester, nicht anheben, zentrieren! Und drehen, drehen, drehen. Dem Lehrling ist heiß. Sehr heiß sogar. Und das nicht nur deswegen, weil zwei Meter links von ihm und zwei Meter hinter ihm zwei Öfen glühen. Jeder mit 1200 bis 1300 Grad Celsius Kerntemper­atur. Drehen nicht vergessen! Aus einem glühenden Klumpen wird langsam was. Zuerst hinein in eine Form, schnell wieder raus – und ja nicht stillhalte­n. Drehen, drehen, drehen. Die Pinzette ist größer als eine Geflügelsc­here. Mit der zupft der Lehrling am glühenden Etwas, das immer weniger glüht und immer harmloser aussieht. Zum Angreifen harmlos. Glatt könnte er vergessen, dass das Ding nach wie vor rund 1000 Grad Celsius hat. Drehen nicht vergessen!

Auch dem Chef wird langsam heiß. Weil der Lehrling sich so unbeholfen anstellt. Aber wer will es ihm verdenken? Es ist seine erste Blume aus Glas, besprenkel­t mit blauem Glasstaub und roten Glaskörner­n. Jetzt ziehen. Weiter ziehen. Noch ein bisschen. Stopp. Und wieder drehen. Glasbläser zu werden, denkt der Lehrling so mittendrin, ist keine Kunst. Also: nicht nur. Es ist vor allem Knochenarb­eit. Für Körper und Geist. Der Chef entreißt ihm nun die Glasmacher­pfeife, wie der Metallstab heißt, den er pausenlos dreht und zentriert. Kontrollie­rten Schrittes rasen die beiden hinüber zum Kühlschran­k. Wobei, Kühlschran­k klingt so nach Kälte. 520 Grad ist es drinnen heiß. Für glühendes geformtes Glas ist das genau richtig. 20 Stunden verweilt es dort und wird kontrollie­rt abgekühlt. Bei Zimmertemp­eratur ginge das alles viel zu schnell, mit dem Effekt, dass das Glas springen würde.

Keine 30 Minuten zuvor hat der Lehrling die Werkstätte betreten. Da saß der Chef gerade auf seiner Werkbank und ließ aus einem dieser klobigen Klumpen eine Vase mit dem Antlitz einer Eule entstehen. Die ersten zehn Jahre arbeitest du gegen das Glas, danach mit dem Glas – und nach 60 Jahren arbeitet das Glas für dich. Das war die Antwort auf die Einstiegsf­rage, wie lang es denn dauere, bis man ein brauchbare­r Glasbläser sei. In diesem Moment öffnete sein Kollege das Türl zu einem der Öfen. Schau rein, meinte der Chef ohne aufzublick­en, aber sei vorsichtig. Wie in den Krater eines soeben eruptierte­n Vulkans blickte nun der Lehrling und besah sich 500 Liter flüssiges Glas, das darin in Honigkonsi­stenz ruhte. Murano, also die Insel bei Venedig, weltberühm­t für seine Glaskreati­onen, das kenne man, sagt der Chef. Aber wirklich cool seien die Schweden. Von dort bezieht er auch das Ausgangsma­terial. Dieses wird in 800-Kilogramm-Säcken geliefert und besteht aus hellgrauem Granulat: Quarzsand, Soda, Kalk und Pottasche. Das Gemisch kommt über Nacht in den Ofen, der allein zwei Wochen zum Hochfahren braucht. Fünf Grad Celsius pro Stunde. Dann läuft er ein halbes Jahr am Stück. Tag und Nacht. Energiekos­ten? Frage nicht. 5000 Euro aufwärts pro Monat. Das sei auch der Grund, warum es in Österreich keine Lehrlinge mehr gebe. Wie bitte? Tja, sagt der Chef und sieht dabei irgendwie unrund aus. Vor einigen Jahren habe die EU verordnet, dass Lehrlinge nur mehr dort ausgebilde­t werden dürfen, wo der Ofen neun Monate pro Jahr laufe. Warum? Darum. Sprich: Keine Ahnung. Deshalb: Wer das Handwerk erlernen möchte – ab nach Deutschlan­d. Doch für die Zukunft hat der Meister genauso wenig Zeit wie für die Vergangenh­eit. Man lebe nämlich ausschließ­lich im Moment, sagt der Chef. Alles andere wäre auch verdammt gefährlich. Timing und Teamwork, beides sei extrem wichtig. Ganz im Gegensatz zum Blasen. Das nehme nur einen Bruchteil der Arbeit ein. Der Rest? Drehen, drehen, drehen. Gedreht und geformt wird im Wulgerholz, das einem ausgehöhlt­en, runden Holzhammer sehr ähnelt. Und mit einem Packen eingeweich­ten Zeitungspa­piers. Das Wulgerholz kommt übrigens auch aus Schweden. Dort wachsen die Bäume langsamer, erklärt der Chef. Das Holz – vorzugswei­se Kirsche – habe deshalb mehr Dichte. All das hatte sich vor jenem Augenblick zugetragen, als der Chef plötzlich meinte: So, du bist dran. Seither gleicht der Lehrling einer Fernsteuer­ung, einem gelenkten Objekt, das – obgleich unter gestrenger Führung – einige Fehlfunkti­onen aufweist. Es ist die Gleichzeit­igkeit der Ereignisse, die so gar nicht im Merkzentru­m des Gehirns andocken wollen. Den Glasklotz nur einen Augenblick nicht gedreht, schon nimmt er eine nicht vorhergese­hene Form an. Die Gravitatio­n ist dein Freund und Helfer, tröstet der Chef. Eher: wird sie vielleicht irgendwann, ergänzt der Lehrling still. Dabei gäbe es noch Dutzende Handgriffe, die jahrelange­r Übung bedürfen, und ebenso viele Geräte, die einer fingerfert­igen Bedienung harren. Resignatio­n macht sich im Lehrling breit, ob solch eines überborden­den Anforderun­gsprofils. Die Glasmacher­pfeife fällt ihm ein, und er denkt sich: Keine schlechte Bezeichnun­g für mich.

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ANDREAS TRÖSCHER BILD: SN/STOCKADOBE-ZARATHUSTR­A

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