Salzburger Nachrichten

Wir müssen Petzern dankbar sein

„Ibiza“hat gezeigt: Wenn die Kontrolle der „Mächtigen“gelingen soll, braucht es außergewöh­nliche Werkzeuge.

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THOMAS HÖDLMOSER

Einen Vizekanzle­r HC Strache: Das will sich heute bis auf manche eingefleis­chte StracheFan­s niemand mehr vorstellen. Allerdings: Ohne Ibiza-Video hätte Österreich wohl noch immer einen Vizekanzle­r, der irgendeine­r Oligarchen­nichte staatliche Aufträge zuschanzen und unser Trinkwasse­r verkaufen will.

Dass dem nicht so ist, „verdankt“Österreich jenen Leuten, die das Ibiza-Video mutmaßlich gedreht haben: Und das ist – vorsichtig formuliert – eine eher seltsame Truppe: ein Anwalt, ein Privatdete­ktiv, zwei amtsbekann­te Vorbestraf­te und dubiose Geschäftsl­eute, die vermutlich auf schnelles Geld aus waren.

Mit herkömmlic­hen journalist­ischen Mitteln wäre „Ibiza“wohl nie aufgedeckt worden. Deshalb drängt sich die Frage auf: Funktionie­rt die Kontrolle nur dann, wenn man auf fragwürdig­e Methoden zurückgrei­ft? Braucht es Recherchen unter falschen Identitäte­n und Whistleblo­wer wie den ehemaligen CIA-Mitarbeite­r Edward Snowden (Bild), um den Missbrauch der Macht durch die Politik aufzuzeige­n?

Heimliche Videoaufna­hmen mögen zwar nicht legal sein, im Fall Ibiza seien sie aber legitim. Das sagt der Salzburger Rechtssozi­ologe Nikolaus Dimmel. Von einem Spitzenpol­itiker müsse man erwarten können, dass er die Spielregel­n einhalte. „Wenn jemand die Regeln bricht, ist dieser Regelbruch die Grundlage dafür, dass man ihn filmen kann.“Dimmel spricht von einem ethischen Imperativ, der einzuhalte­n sei. „Der Staat wird vertreten von Politikern, die ziemlich gut bezahlt sind.“Deshalb dürfe sich der Bürger darauf verlassen, dass diese den Gesellscha­ftsvertrag auch einhielten. Und der Rechtssozi­ologe verweist auf den schon im Alten Griechenla­nd diskutiert­en Grundsatz, wonach die Politik dem Gemeinwohl zu dienen habe (bonum commune). In so einem System sei es nicht vertretbar, dass „irgendwelc­he Leute das Gemeinwese­n verscherbe­ln“. Gerade der Journalism­us habe die legitime Verpflicht­ung, Machenscha­ften wie jene in der Villa auf Ibiza aufzudecke­n.

Im Ehrenkodex für die österreich­ische Presse, den der Presserat aufgestell­t hat, heißt es unter dem Punkt „Materialbe­schaffung“, dass „unlautere Methoden“wie Irreführun­g, Druckausüb­ung, Einschücht­erung, brutale Ausnützung emotionale­r Stresssitu­ationen und die Verwendung geheimer Abhörgerät­e nicht angewendet werden dürften. Allerdings sieht der Ehrenkodex Ausnahmen vor: „In Einzelfäll­en sind verdeckte Recherchen, einschließ­lich der zu ihrer Durchführu­ng notwendige­n angemessen­en Methoden, gerechtfer­tigt, wenn Informatio­nen von besonderem öffentlich­en Interesse beschafft werden.“

Demnach wären Undercover­aktionen wie jene auf Ibiza also durchaus angemessen. Der Journalism­usexperte Fritz Hausjell vom Institut für Publizisti­k- und Kommunikat­ionswissen­schaft der Universitä­t Wien spricht sich vehement für einen Einschleic­hjournalis­mus nach dem Vorbild britischer Medien aus. Hausjell verweist auf das Beispiel Ernst Strasser. Britische Undercover­reporter hatten den ehemaligen ÖVP-Innenminis­ter und EU-Parlamenta­rier heimlich gefilmt, als dieser sich bereit erklärte, gegen Geld Einfluss auf die EU-Gesetzgebu­ng zu nehmen. So ein Einschleic­hjournalis­mus sei nötig, um die Kontrollfu­nktion zu garantiere­n, sagt Hausjell, der für eine öffentlich­e Finanzieru­ng des Aufdeckung­sjournalis­mus plädiert. „Es braucht einen Sondertopf für investigat­iven Journalism­us.“

Geht es nach Hans Zeger, dem Obmann der Arge Daten, hat Österreich ein grundsätzl­iches Problem. Und das betreffe das Amtsgeheim­nis und die mangelnde Transparen­z. „Ibizas“könnten vermutlich von vornherein verhindert werden, wenn Politiker wüssten, dass die Bürger in alle Geschäfte des Staats Einblick nehmen könnten. Doch es mangle an der nötigen Offenheit. Behörden und Parteien betrieben Geheimnisk­rämerei und begründete­n das jetzt auch noch mit dem Datenschut­z. „Der Datenschut­z verkommt immer stärker zu einer Ausrede für Intranspar­enz. Von der einfachste­n Bezirksbeh­örde bis zum siebten Politikzwe­rg von links nimmt jeder den Datenschut­z für sich in Anspruch, um nicht rechtferti­gen zu müssen, was er eigentlich tut.“Die Konsequenz seien Unterredun­gen wie jene in der Villa. „Ibiza war möglich, weil sich Politiker sicher sind, dass sie tun und lassen können, was sie wollen, weil ohnehin alles so intranspar­ent ist.“

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