Die Kochrezepte der alten Römer
Entgegen den Klischees von Orgien haben die antiken Römer gutbürgerliche Küche bevorzugt.
Geschichte kann man essen, selbst wenn sie so lang zurückliegt wie die Zeit der Römer und ihres das Mittelmeer umspannenden Reichs. Marcus Junkelmann, Historiker und Experimentalarchäologe, ist weithin bekannt dafür, dass er in aufwendigen wissenschaftlichen Experimenten der Antike Geheimnisse entlocken kann. Der kulinarische Selbstversuch mit Rezepten und Gerätschaften der altrömischen Küche gehört dazu. Wer Lust hat, kann diese Speisen nachkochen und mit Genuss verkosten.
SN: Herr Dr. Junkelmann, welche gängigen Vorstellungen haben wir von den Tischsitten der Römer?
Marcus Junkelmann: Die durch das „Satyrikon“des Titus Petronius Arbiter über das Gastmahl beim neureichen Aufsteiger Trimalchio und über Historienfilme weitverbreitete Vorstellung ist, dass die Römer unausgesetzt wilde Orgien gefeiert haben, dass sie so ausgefallene Leckerbissen wie Taubenzungen gegessen haben und ihre Mahlzeiten extrem aufwendig waren. Mit einem Wort, dass sie dekadent waren.
SN: Was ist die Wahrheit, die die Forschung erarbeitet hat?
Natürlich hat es Gesellschaften gegeben, in denen so etwas vorgekommen ist, aber es ist nicht die Regel gewesen. Das Ideal der Römer war in vielen Bereichen Natürlichkeit und Einfachheit, so war es auch in der Küche. Die erhaltenen Kochbücher zeigen das. Man muss natürlich unterscheiden, wie die Oberschicht gespeist hat und wie die Mehrheit der Leute aß. Gut sehen wir das aus Essensabfällen des Militärs, aus Offiziersund Mannschaftsunterkünften. Im römischen Lager gab es keine Großküchen. Lebensmittel wurden ausgegeben, die Soldaten
bereiteten ihre Mahlzeiten in ihrem jeweiligen Wohnabschnitt zu. Die Oberschicht aß Geflügel und Fisch. Das normale Volk aß Rindfleisch, weil das am billigsten war, und außerdem Brot, Getreide und „Puls“, einen Brei aus Getreide, Wasser und Gewürzen.
Wer in den Mietskasernen in Rom lebte, verköstigte sich in Garküchen, denn in den engen Wohnungen war kein Platz für eine Küche. Doch die große Mehrheit der Leute lebte auf dem Land, wo es nicht so beengt war. Dort verfügte man über Küchen.
SN: Die Oberschicht speiste also das, was man heute bürgerliche Küche nennen würde. Was kam auf den Tisch?
Das Römische Reich erstreckte sich während seiner größten Ausdehnung von Britannien bis Ägypten und von Mauretanien bis Armenien. Dementsprechend groß waren die Unterschiede zwischen den Provinzen. Eine Basis bildeten Olivenöl, Weizen und Wein. Diejenigen, die es sich leisten konnten, mochten Salate und Kräuter, beides wurde oft im eigenen Garten angebaut wie auch das Gemüse. So zum Beispiel Linsen, Erbsen, Bohnen, Kohl, Rüben, Zwiebeln und Knoblauch, Ackersalat, Spargel und Lauch. Die Römer waren zudem eifrige Obstesser. Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Marillen, Feigen, Datteln, Brombeeren, Holunder,
Zwetschken, all das war im Angebot und wurde oft in Darren getrocknet. Schweinefleisch war gefragt, auch Meerestiere und Austern liebten sie. In der Oberschicht wurde zudem ab und zu die Jagd gepflegt. So kam Wildbret auf den Tisch. Milchprodukte, vor allem Käse, gehörten ebenfalls zu den Lebensmitteln. Dann gab es natürlich Würzmittel. Der Pfeffer war allgegenwärtig, er muss in großen Mengen importiert worden sein.
Verwendet wurden außerdem Thymian, Oregano, Fenchel, Dill und Koriander. Einen schlechten Ruf hat heute noch – aber das sehr zu Unrecht – das sogenannte Garum oder Liquamen. Das sind klare Gewürzsaucen, die sehr diskret nach Fisch riechen und im Geschmack an eingesalzene Sardellen erinnern, wie sie heute noch in der stadtrömischen Küche verwendet werden. Sie waren vor allem in der Kaiserzeit ab Augustus, also ab etwa 27 vor Christus, immer dabei. Ich habe die korrekte Produktionsweise des Liquamen nachvollzogen. Die Saucen sind gut. Reines Salz verwendete man vor allem zum Konservieren von Lebensmitteln. Wer heute altrömisch kochen will, sollte in grobem Meersalz eingelegte Sardellen nehmen.
SN: Welche schriftlichen Quellen sind für die römische Küche überliefert?
Die Ernährung more maiorum – nach alter Väter Sitte – ist in den landwirtschaftlichen
Traktaten zweier römischer Aristokraten nachzulesen: Terentius Varro und Lucius Iunius Moderatus Columella. Auch in der Naturgeschichte von Plinius dem Älteren finden wir Hinweise. Die größte Fülle an Rezepten finden wir jedoch in dem berühmten, unter dem Namen des Apicius überlieferten Kochbuch. Er war ein bekannter Feinschmecker. Die Rezepte entsprechen gutbürgerlicher Kochkunst. Besonders gut sind die Spanferkelrezepte, auch der Fisch hat uns vorzüglich geschmeckt. Apart ist Birnenauflauf mit Pfeffer. Gefüllter Tintenfisch ist mir beim ersten Mal misslungen. Die Römer liebten süß-saure und süßscharfe Geschmacksrichtungen.
SN: Haben Sie auch die Tischkultur erprobt?
Ja. Wir haben die Tischkultur nachgelebt und Gastmähler abgehalten. Im Liegen zu speisen ist recht angenehm. Man stützt sich auf die linke Armbeuge und liegt schräg auf der Kline, der Ruheliege mit aufgebogenem Kopfende. Man hat mit einer Hand gegessen. Wenn alles gut zubereitet und klein geschnitten ist, ist das kein Problem. Während des Essens gingen bei den Römern Diener mit Handtüchern und Wasserbecken umher. Man hat sich häufig die Hände gewaschen und Servietten benutzt. Disziplin, gute Manieren und angenehme Tischgespräche waren wichtig. Üblich war ein Mahl mit neun Gästen. Essen sollte ein soziales Erlebnis sein.
Marcus Junkelmann wurde durch die 1985 erfolgte Alpenüberquerung in rekonstruierter römischer Legionärsausrüstung international bekannt. Seit 1997 bildet das römische Gladiatorenwesen einen weiteren Schwerpunkt seiner Forschungen und Experimente. Sein Buch „Römische Naschkatzen – Praktische Anleitung für die altrömische Küche“ist im Verlag Nünnerich-Asmus, Oppenheim, 2019 erschienen.