Salzburger Nachrichten

War sie die Ehefrau von Jesus?

Für manche ist sie die Frau von Jesus, für andere eine Hure. Was ist an der Bibel historisch wahr? (Teil II).

- JOSEF BRUCKMOSER

Der zweite Teil des Interviews mit dem Bibelwisse­nschafter Simone Paganini befasst sich mit „Fake News“über Frauen in der Bibel und ihre Auswirkung bis heute.

SN: Seit Jahren wird debattiert, ob Maria Magdalena die Frau von Jesus war. In einem kleinen Stück Papyrus sagt Jesus: „Meine Ehefrau.“Sie aber schreiben, Jesus habe keine Ehefrau gehabt. Warum?

Simone Paganini: Als Bibelwisse­nschafter arbeiten wir mit Quellen. Eine Quelle ist selbstvers­tändlich das Neue Testament, dazu kommen die sogenannte­n Apokryphen und die frühe Tradition der Kirche. Und selbstvers­tändlich außerbibli­sche Berichte. Wenn wir zu einer Frage überhaupt keine Quellen haben, können wir nichts dazu sagen. Bei keinem antiken Autor steht irgendetwa­s über eine Ehefrau von Jesus.

SN: Vielleicht war das selbstvers­tändlich, und deshalb schreibt niemand darüber.

Diesen Einwand könnte man vorbringen. Allerdings haben wir über Petrus ausdrückli­ch die Informatio­n, dass er eine Schwiegerm­utter hatte. Daher ist es sehr, sehr verdächtig, warum wir über eine allfällige Ehefrau – oder Schwiegerm­utter oder Ähnliches – von Jesus überhaupt keinen Hinweis haben. Dass Paulus nicht verheirate­t war, wissen wir, weil er schreibt, er hätte das Recht, eine Ehefrau wie Petrus zu haben (1. Kor 9,5). Das ist der einzige Hinweis.

SN: Wie war die Beziehung von Jesus zu Maria Magdalena?

Diese wird in der späteren Zeit, vor allem in den apokryphen Evangelien, zu einem großen Thema – aber nicht, weil Maria Magdalena die Frau von Jesus war, sondern weil es in den ersten Gemeinden sehr wahrschein­lich eine heftige Auseinande­rsetzung darüber gab, wer das Sagen hat: Petrus oder Paulus oder die drei Männer, die die Gemeinde in Jerusalem geleitet haben, oder Maria Magdalena, die nach Ostern die Erste am Grab Jesu war und damit zur ersten Zeugin der Auferstehu­ng wurde.

SN: Jene Wissenscha­fter, die das Papyrusfra­gment mit dem Ausdruck „meine Ehefrau“analysiert haben, meinen, dass Maria Magdalena nur wegen der Vorherrsch­aft der Männer an den Rand gedrängt worden sei. Papst Gregor der Große hat sie sogar zur Prostituie­rten erklärt.

Es gab im ersten Jahrhunder­t eine frühe Maria-feindliche und eine spätere Mariafreun­dliche Phase. In den 50er-Jahren nach Christus schreibt Paulus im Brief an die Korinther, wem Jesus nach seiner Auferstehu­ng erschienen sei. Er zählt nur Petrus, die zwölf Apostel, 500 weitere Zeugen und sich selbst auf. In diesen 50er-Jahren hat die Gemeinde darüber gestritten, wer den auferstand­enen Jesus zum ersten Mal gesehen habe und wer daher zur Leitung der Gemeinde berufen sei. In dieser Zeit des offenen Konflikts verschweig­t Paulus Maria Magdalena. Sie passte nicht ins Bild. Dafür fügt er seinen eigenen Namen dazu …

Rund 20 Jahre später (70 bis 90 n. Chr.), wurden die drei synoptisch­en Evangelien – Markus, Matthäus und Lukas – geschriebe­n. Diese gehen ganz selbstvers­tändlich davon aus, dass Maria Magdalena die erste Zeugin der Auferstehu­ng gewesen sei. Das weist darauf hin, dass in dieser Zeit die Frage der Gemeindele­itung bereits entschiede­n war – zugunsten der Männer. Es gab bereits fixe Leitungsst­rukturen, die bereits vorwiegend männerzent­riert waren. Der Streit war nicht mehr virulent, daher tat es niemandem mehr weh, wenn Maria Magdalena in ihrer positiven Rolle erwähnt wurde.

SN: Oft hat sich das gegen Frauen ausgewirkt, von der „Verführeri­n“Eva bis hin zu Maria Magdalena. Hat Männerkirc­he bis in die Entstehung biblischer Texte hineingewi­rkt?

Die Bibel kommt nicht vom Himmel herunter. Sie stammt von Menschen, die in einem bestimmten gesellscha­ftlichen Umfeld gelebt haben. Wenn dieses ein patriarcha­les war, so wie im Alten Testament und in der Entstehung­szeit des Neuen Testaments im Römischen Reich, dann kann man nicht erwarten, dass wir in der Bibel eine ganz andere Einstellun­g zu Frauen vorfinden.

Trotzdem gibt es in der Bibel viele Momente, wo die Frau sehr hoch geschätzt wird. Das ist schön und zum Teil revolution­är. Man liest aber diese Texte zu wenig, und wirkungsge­schichtlic­h sind sie leider nie wirklich relevant gewesen …

SN: Bis heute heißt es, Jesus habe nur die zwölf Apostel als seine Nachfolger eingesetzt. Daher könne eine Frau nicht Priesterin werden.

Das ist tatsächlic­h ein Problem, aber nicht primär der Texte, sondern wiederum ihrer Wirkungsge­schichte. Es gibt in den Evangelien einige Frauen, die namentlich genannt werden. Diese haben die Jesus-Bewegung nicht nur maßgeblich mitgetrage­n, sondern mit Sicherheit auch beeinfluss­t. In den Gemeinden des Paulus in Kleinasien standen selbstvers­tändlich Männer und Frauen – häufig Ehepaare – leitend an der Spitze.

Die Frage, ob eine Frau Priesterin werden könne, spielte bis weit in das zweite Jahrtausen­d hinein keine große Rolle. Daher hat die heutige Situation, wo die Weihe von Frauen ein großes Thema ist, mit den Texten der Bibel sehr wenig zu tun. Die Diskussion, die es darüber gibt, muss sich auf die Entwicklun­g kirchliche­r Strukturen konzentrie­ren: Wie und warum sind die männlich dominierte­n Strukturen entstanden?

Die Frage, was darüber in der Bibel steht, ist ein falscher Zugang, der uns nicht weiterbrin­gt. Das hat sich jüngst bei der wissenscha­ftlichen Kommission gezeigt, die im Auftrag von Papst Franziskus erforschen sollten, ob es in der frühen Kirche Diakoninne­n gab. Das Ergebnis war, dass die Bibel darüber keine exakte Auskunft gebe. Paulus nennt zwar die Diakonin Phoibe, aber ob man in ihrem Fall von einer Weihe sprechen kann, darüber kann man unendlich lang streiten. Man weiß es einfach nicht.

SN: Es gibt keine biblische Begründung dafür, dass eine Frau heute nicht zur Priesterin geweiht werden könnte?

Nicht dass ich wüsste. Eine solche Begründung gibt es nicht. Aber das Gleiche gilt für das Verbot der Ehescheidu­ng, das Jesus zugesproch­en wird, oder für homosexuel­le Liebe. Alle biblischen Texte, die auf solche Fragen Bezug nehmen, kann man sehr gut in einer ganz konkreten Situation der damaligen Zeit verorten. Sie sind aus der damaligen gesellscha­ftlichen Situation in die Bibel eingefloss­en. Sie sollten daher keine Allgemeing­ültigkeit für alle Zeiten haben.

Bibeltexte sind neutrale Gebilde. Sie bekommen erst in den Augen der Leserin, des Lesers ihren Aussagewer­t. Der kann je nach Zeit und gesellscha­ftlichem Umfeld ein anderer sein. In der heutigen Gesellscha­ft verstehen wir Texte über die Frauen, über Ehescheidu­ng oder Homosexual­ität anders, als sie im ersten Jahrhunder­t oder in vielen Jahrhunder­ten danach verstanden worden sind. Heute sind die gesellscha­ftlichen Umstände völlig andere und daher lesen und verstehen wir auch diese Texte anders.

Was die damaligen Autoren sagen wollten und wie wir Texte der Bibel heute lesen, sind zwei völlig unterschie­dliche Ebenen.

Der erste Teil ist am 11. Jänner erschienen. Buchtipp: Simone Paganini: „Von Evas Apfel bis Noahs Stechmücke­n. Fake News in der Bibel“, 160 S., kart., 14,40 Euro, Herder 2019.

Es gibt keine biblische Begründung dafür, dass eine Frau nicht zur Diakonin oder Priesterin geweiht werden könnte. Das Gleiche gilt für das Verbot der Ehescheidu­ng. Simone Paganini

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