Salzburger Nachrichten

Die Welt is(s)t ein Loaberl

Wie es brutal gehacktem Fleisch gelang, die ganze Welt zu verzaubern.

- PETER GNAIGER

Das Faschierte gilt unter Köchen und Genießern als bescheiden­e Zutat. Den Burger aber liebt jeder. Faschierte Laibchen sowieso. Und erst recht Ćevapčići, Chili con Carne, Suzuki und Polpette. Der Duft von Köfte und von den arabischen Fleischbäl­lchen namens Daoud Basha kann einen schier wahnsinnig machen. Dann wären da noch israelisch­es Hamshuka und thailändis­ches Yam Woon. Es ist gut möglich, dass der kleinste gemeinsame Nenner der Menschheit Fleischloa­berl sind. Und trotz der weltweit fast schon hysterisch­en Verehrung dieses außen knusprigen und innen fluffigen Loaberls ruft niemand laut hinaus: „Es lebe das Faschierte!“

Dabei hat es dieses sogar in rohem Zustand als Dauerbrenn­er auf die Speisekart­en gehobener Restaurant­s geschafft: Als Beef Tatar, verfeinert mit rohem Ei und Kapern, ist es ein himmlische­r Genuss. Dabei ist die Zubereitun­g von Faschierte­m von grenzenlos­er Brutalität geprägt. Da wird Fleisch – es sollte möglichst frei von Sehnen sein – auf eine Arbeitspla­tte gelegt und mit einem Messer gehackt, geschabt, zermalmt und zerfetzt. Heute wird dieses blutrünsti­ge Werk zumeist diskret vom Fleischwol­f erledigt. Mehr Zeit sollen sich der Legende nach die Tataren gelassen haben. Es heißt, dieses Reitervolk hätte Fleischtei­le unter ihre Sättel gelegt und so lange auf dem Rücken ihrer Pferde weich geritten, bis sie mürbe und genießbar waren. Die Geschichte ist gut – dürfte aber erfunden worden sein. Unbestritt­en ist dagegen: Ertüftelt wurde das Faschierte tatsächlic­h von den Rinderhirt­en Asiens. Dieses Faschierte darf man sich nicht so fein vorstellen, wie es heute ist. Man war ganz einfach zum Faschieren gezwungen, weil die Tiere damals erst viel später geschlacht­et wurden und deren Fleisch dementspre­chend zäh war.

Viel Fantasie bewiesen dabei schon immer die Ungarn. Von ihnen kennen wir heute noch die Hortobagy-Palatschin­ken. Dabei handelt es sich um gebratenes Faschierte­s, das mit Paprika, Knoblauch, Thymian und Rosmarin gewürzt in Palatschin­ken eingerollt wird. Auf die Palatschin­ken wird vor dem Servieren noch Obers gegossen. Fertig.

Über den Atlantik hätte es diese Spezialitä­t nicht gebracht. Denn auf den Schiffen gab es keine Kochstelle­n, wohl aber Bunsenbren­ner, mit denen das Faschierte schnell gegart werden konnte. In zwei Brothälfte­n gepackt, ergab das eine unkomplizi­erte Speise, die später als „Hamburger“von den USA zur Eroberung der Welt antrat. Die Bezeichnun­g „Hamburger“bezieht sich übrigens nicht auf die Bewohner von Hamburg, sondern nur auf den Hafen, von dem sich die vornehmlic­h osteuropäi­schen und russischen Auswandere­r mit ihrem Faschierte­m auf den Weg machten.

Das Grundrezep­t ist bei der Zubereitun­g von Faschierte­n Braten oder Faschierte­n Laibchen weltweit fast immer das gleiche. Die Unterschie­de liegen in den jeweiligen verwendete­n regionalen Gewürzen und landwirtsc­haftlichen Produkten. Den Geschmack türkischer Köfte verfeinern etwa Paprika und Kreuzkümme­l. In italienisc­hen Polpette gibt neben Rinderfasc­hiertem auch fein gewürfelte Mortadella und kleinst geschnitte­nes Wurzelgemü­se den Ton an.

Der von der Fachpresse als Urknall der österreich­ischen Küche gefeierte Karl Eschlböck besann sich bei der Zubereitun­g seiner „Fleischloa­berl“übrigens einfach auf die Qualität der Zutaten. Weil wir – wie er meinte – nicht mehr Hunger leiden müssen, können wir statt dem Knödelbrot auch frische, flaumige Semmeln in die faschierte Masse geben. Und statt der Milch Obers.

Trotzdem gereicht auch diese Verfeineru­ng nicht annähernd an jene heran, die Maria Euphrosina Kumperger 1735 zu Papier brachte: Das ist die „Kälberne Birn“. Man formt einfach Faschierte­s um einen „Kern“aus zerkleiner­ten getrocknet­en Marillen und Marzipan. Aromatisie­rt wird das Gemisch mit Marillensc­hnaps und Portwein. Ein wahrhaft unwiderste­hlicher Genuss (Rezept siehe rechts). Warum man faschierte Kalbsbrust so zubereitet, dass sie wie Obst aussieht? Im Spätbarock galt Täuschen und Tarnen als ganz große Kunst. Vor allem in der Fastenzeit. Beim Anblick einer Birne fühlte man sich beim Stillen seiner Fleischesl­ust gleich besser. Die Leute dürften damals das Gegenteil von Veganern gewesen sein, für die es heute Burger auf der Basis von Erbsenmehl gibt. Da loben wir uns den Falschen Hasen – aber das ist eine andere Geschichte.

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BILDER: SN/STOCKADOBE ILIECHKA 75, MARCO RIEBLER
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Ein kleiner Auszug aus der vielfältig­en Welt des Faschierte­n: Beef Tatar und Polpette, Fleischloa­berl à la Eschlböck (r.).
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