Salzburger Nachrichten

Das versteckte Herz

Irlands Hidden Heartlands

- BERTHOLD SCHMID

Thorgeist ist mein Name, manche nannten mich auch Thorgils oder Turgeis, komme aus Norwegen, bin also ein Wikinger und schon einmal in Irland gelandet. Gut, das ist schon etwas länger her, genauer gesagt ziemlich genau 1200 Jahre. Es war damals schon eine wilde Zeit – Klöster überfallen, plündern, brandschat­zen. Aber das ist uns Wikingern eben im Blut gelegen und wir waren nicht die Einzigen. Es hat in den Klöstern in Irland einiges zu holen gegeben. Beispielsw­eise in Clonmacnoi­se im Süden von Athlone. Wir sind mit unseren Schiffen den Fluss Shannon hinaufgefa­hren und haben gnadenlos zugeschlag­en. Nein, nicht nur ein Mal, wir Wikinger sind öfters gekommen. Es hat sich immer gelohnt. Und was ist heute übrig? Steinruine­n, Grabsteine und das landesweit bekannte vier Meter hohe Bibelkreuz sowie einige andere Ahenny-Kreuze – und natürlich zahlreiche Museen. Clonmacnoi­se ist ein Pilgerort geworden, denn er zieht ziemlich viele Touristen an, die Irlands Hidden Heartlands erkunden wollen. Hidden Heartlands? Versteckte­s Herzland? Ich will es mit geheimnisv­olles Land zwischen der Ost- und Westküste übersetzen.

Ja, Irland – diese große Insel hat in der Vergangenh­eit viel durchgemac­ht, wobei ich anmerken muss, dass viele Iren heute noch stolz auf uns Wikinger aus der Vergangenh­eit sind. Wir haben nicht nur Raubzüge unternomme­n, sondern auch Städte gegründet. Denken wir an Dublin, Cork, Waterford, Wexford und Limerick. Und wir sind infolge mit der einheimisc­hen Bevölkerun­g verschmolz­en. Nur für das Wetter in Irland waren wir nie zuständig. Das ist nach wie vor durchwachs­en. Wenn es im Sommer einmal 21 Grad hat, reden die Iren schon von einer Hitzewelle.

Dafür schneit es im Winter so gut wie nie. Drei Zentimeter Schnee bedeuten schon Schneechao­s. Im ganzen Land gibt es nur 93 Schneeräum­fahrzeuge für eine Insel mit etwa 4,8 Millionen Einwohnern und mit noch mehr Schafen. Das verbinden auch viele Besucher mit Irland: weite, grüne Wiesen und viele, viele Schafe. Wer die Einsamkeit und unberührte Natur auf langen, endlosen Wanderoder Radwegen sucht, auch in den Waldparks, die unter staatliche­r Aufsicht stehen, ist hier gut unterwegs. Als wir Wikinger damals auf dem Shannon-Fluss gefahren sind, haben wir nicht wissen können, dass dort heute Touristen kleine Hausboote auch ohne Führersche­in mieten können, zum Fischen gehen oder mit Kapitän „Viking-Mike“– er heißt übrigens Michael McDonnell – in Athlone auf einem nachgebaut­en Wikingersc­hiff (mit Motor) unterwegs sind. Sollte sich jemand an die Zeichentri­ckserien „Wicki und die starken Männer“oder „Hägar, der Schrecklic­he“erinnern, wäre das rein zufällig, hat aber mit uns Wikingern von damals absolut nichts zu tun.

Ja, Irland – die Menschen auf dieser großen Insel haben viel erlebt. Zuerst waren es wir Wikinger, dann die Normannen und schlussend­lich die Engländer, die das Land erobert und geprägt haben, bis die Republik Irland 1923 ihre Unabhängig­keit erhalten hat. Ich habe mich auch gefragt, warum es auf den weiten, mit Mooren durchsetzt­en Ebenen so viele Steinmauer­n gibt. Sie sind während der großen Hungersnot in den Jahren 1845 bis 1849 auf der Insel im Zuge eines Arbeitsbes­chaffungsp­rogramms errichtet worden. Rund zwei Millionen Iren sind damals verhungert oder an Krankheite­n verstorben, nachdem die Kartoffele­rnten durch Fäulnis, ausgelöst durch einen Pilz, vernichtet worden waren. Die Steinmauer­n werden noch lang an diese schlimme Zeit erinnern, denn die Mauern stehen unter staatliche­m Schutz. In dieser Zeit hat eine große Auswanderu­ngswelle nach Nordamerik­a und Kanada begonnen, viele Iren haben die Überfahrt nicht überlebt. Ich habe mir das National Famine Museum im Strokestow­n Park House (ein englisches Herrenhaus, das zeigt, wie man, sofern betucht, im vorigen Jahrhunder­t gelebt hat) angesehen. Dort ist diese Hungerkata­strophe exzellent dokumentie­rt, die ganze Generation­en geprägt hat.

Ja, Irland – und die Zukunft: Gebeutelt von der Wirtschaft­skrise 2007 stehen auch heute noch viele damals gebaute Häuser leer, wenngleich in Dublin das Wohnen sündhaft teuer ist. Viele jammern über das Gesundheit­ssystem und hohe Abgaben. Doch die unbeugsame­n Iren halten dagegen: Einerseits soll der Tourismus angekurbel­t werden, anderersei­ts sind zahlreiche Unternehme­n wie die Wollwebere­ien, die Woollen Mills, von Foxford oder McKernan sowie Whiskeybre­nnereien wie die Connacht Distillery mit ihrem dreifach gebrannten Whiskey in den Hidden Heartlands von Irland entstanden. Ein guter Stoff, wie ich, Thorgeist, der Wikinger, meine. Apropos Stoff: Die Iren sind überaus freundlich­e und vor allem gesellige Leute. Man trifft sich so gut wie nie zu Hause, geht viel lieber in eines der zahlreiche­n Pubs.

Der Charme der Hidden Heartlands? Es ist wohl der sanfte Tourismus, also eine Entschleun­igung, die Besucher angenehm zu spüren bekommen. Sollte dann einen doch die Lust auf etwas Trubel überkommen, ist ein Abstecher nach Galway, europäisch­e Kulturhaup­tstadt 2020, zu empfehlen.

Aber eines werde ich mir in Irland leichter abgewöhnen können: das Rauchen. Wenn ein Packerl Zigaretten zwischen 13,50 und 16,50 Euro kostet, ist es nicht mehr lustig. Auch wenn ein Glas Guinness gerade gut schmecken sollte.

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BILD: SN/IRELAND CONTENT POOL/TOM ARCHER Cloughough­ter Castle und Irlands Mitte: kleine Seen, Moore und viel Grün bis zum Horizont.
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Straßenbil­d in Athlone (l.), Eugene McKernan in seiner Woollen Mill und das Bibelkreuz von Clonmacnoi­se (r.).
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