Er ist zu direkt und sie fährt mit Handbremse
Macron ist zu direkt, Merkel fährt mit angezogener Handbremse: Warum die deutsch-französische Beziehung in der Krise ist.
Woran es bei der deutsch-französischen Beziehung zwischen Emmanuel Macron und Angela Merkel hapert.
Seit am 22. Jänner 1963 Frankreichs Präsident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag für eine intensivierte Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland unterzeichneten, gilt das Datum als Tag der deutsch-französischen Freundschaft. Am 22. Jänner 2019 unterschrieben Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel einen ergänzenden „Aachener Vertrag“für eine weitere Vertiefung der Zusammenarbeit. Doch ein Jahr später sieht der Politikwissenschafter Hans Stark, Generalsekretär des Studienkomitees für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) in Paris, diese Kooperation in der Krise.
SN: Bei seiner Wahl zum Präsidenten im Mai 2017 galt Emmanuel Macron in Deutschland als Hoffnungsträger. Wie steht es heute um die Achse Paris–Berlin? Hans Stark: Die deutsch-französischen Beziehungen haben ein sehr schwieriges Jahr durchlebt. Der erhoffte Anschubeffekt durch den Aachener Vertrag ist leider ausgeblieben.
Im Europawahlkampf standen Macron und Merkel in Opposition zueinander: Macron bekämpfte die „Altparteien“, für deren Bestehen sich die deutschen Christdemokraten eingesetzt hatten, und führte seine junge Partei En Marche! in die Fraktion der Liberalen. Dann folgte der Streit um die Zukunft des konservativen Spitzenkandidaten Manfred Weber, den Macron als Kommissionspräsident
verhinderte. Seine Ablehnung bezog sich nicht darauf, dass es sich um einen deutschen Kandidaten handelte, sondern auf das Prinzip an sich. Der Zwist wurde gelöst, indem Ursula von der Leyen auf Betreiben Macrons als Kommissionspräsidentin bestimmt wurde.
SN: Im Aachener Vertrag von 2019 bekräftigten Deutschland und Frankreich das Ziel, ihre außenpolitischen Positionen aufeinander abzustimmen. Doch zeugen jüngere Konflikte – wie der Umgang mit Moskau und die Debatte um die Zukunft der NATO – nicht eher vom Gegenteil? Tatsächlich agieren beide Länder mit verschiedenen Strategien und Zielsetzungen. Gegenüber Russland verhalten sich die Deutschen widersprüchlich, indem sie seit der Annexion der Krim einerseits auf Sanktionen bestehen und auf dem Völkerrecht beharren, sich durch die Gaspipeline Nord Stream 2 aber zugleich an Moskau annähern. Die Franzosen machen sich nicht abhängig von russischem Gas, versuchen aber, Russland diplomatisch einzubinden.
Was die NATO betrifft, so hat die „Hirntod“-Diagnose Macrons in Berlin verstört, aber geschwächt wird die NATO dadurch, dass gerade die Deutschen bei den Rüstungsausgaben bremsen.
SN: Rühren solche Konflikte von mangelndem Verständnis her? Für das gegenseitige Verständnis hat man alles, was man braucht: Es gibt eine große Zahl von Auslandsbeamten in beiden Ländern, die einen permanenten engen Austausch aufrechterhalten. Aber es hapert bei der persönlichen Chemie zwischen der Kanzlerin und dem französischen Präsidenten. Er kann schnell agieren, hat eine klare Mehrheit im Parlament und verfassungspolitisch viel Macht, während die Kanzlerin Rücksicht auf die Koalition und auf viele Akteure nehmen muss.
Während sie stets mit angezogener Handbremse fährt und politische Ansätze nur vorsichtig formuliert, verhält sich Macron für einen Politiker untypisch: Er spricht frank und frei aus, was er denkt. Das sorgt allerdings auch für Irritationen.
SN: Macron zeigt nach außen hin zwar einen starken Führungsanspruch. Aber inwiefern ist er durch die Proteste im Land geschwächt? Frankreich ist ein Land, das schwer zu reformieren ist. So bleibt Macron nur seine Basis, seit er den Menschen mit unpopulären Reformen Opfer abverlangt. Geschwächt wäre er aber erst, wenn er mit dem Anspruch scheitert, Frankreich zu reformieren. Bis jetzt ist ihm das aber gelungen und wirtschaftlich, vor allem in Sachen Wachstum und Arbeitslosigkeit, steht das Land heute besser da, auch wenn es die Schallmauer der 100 Prozent Staatsverschuldung durchbrochen hat.