Wer sich mit der Mode verheiratet, der wird schnell Witwer
Warum es für das Restaurant „Paul Bocuse“ein Geschenk sein kann, dass ihm einer von drei Sternen entzogen wurde.
Unter Gourmets und Gastro-Berichterstattern gab es vergangenes Wochenende nur ein Thema: Dem Restaurant „Paul Bocuse“wurde ein Stern aberkannt. Die Reaktionen: „Skandal!“, „Gotteslästerung!“Es klang, als ob sich einige fragten: Wo kann man heute noch zum Essen hingehen, wenn sogar schon das Lokal des Jahrhundertkochs vom Sockel gestürzt wird? Paul Bocuse steht für das bekannteste Gericht, das die oberen zehntausend bislang hysterisch verehrten: die Trüffelsuppe VGE. Die Trüffelsuppe steht für puren Luxus. VGE steht für Valéry Giscard d’Estaing. Für diesen ertüftelte Bocuse dieses Gericht als Dankeschön, weil er 1975 vom damaligen französischen Präsidenten in die Ehrenlegion aufgenommen worden war. Suppe klingt zwar bescheiden. Aber in dieses Süppchen kamen 20 Gramm Schwarze Trüffel, 20 Gramm Gänseleber, Hühnerbrust und Hühnersuppe sowieso. Da hat er sich natürlich gefreut, der Herr Präsident. Wäre die Teufelsküche
Präsident von Frankreich, sie würde nur noch Köche in die Ehrenlegion aufnehmen. Aktuell etwa Alain Passard. Das ist ein unverschämt genialer Koch, der mit spielerischer Leichtigkeit trotz Fleischverzicht drei Sterne im „Guide Michelin“hält. Kürzlich hatte Passard wieder einmal in seinem Pariser Restaurant Arpège ein Fleischgericht auf der Karte. Er nannte es La Volaille Haute Couture. Er trennte dafür eine Ente und ein Huhn auf, um sie dann zu einem Frankenstein-Tier zusammenzunähen. Passard wollte wissen, wie es schmeckt, wenn sich die Fleischsäfte von einem Land- und einem Wassergeflügel unter der Salzkruste vermählen. Diese Geschichte sei nur erwähnt, um zu erklären, wofür der „Guide Michelin“drei Sterne vergibt: für ein Gericht, das eine Reise wert ist. Die Trüffelsuppe von Bocuse ist schon lang keine Reise mehr wert. Das Rezept ist vielfach in Gourmet-Magazinen nachzulesen. Nach dem Motto: Daheim schmeckt’s am besten. Bei all den Geschichten, die jetzt zu lesen waren, wurde oft nicht erwähnt, dass der Meister bereits vor zwei Jahren verstorben ist. Bocuse selbst war zu Lebzeiten bereits klar, dass sich sein Restaurant schon lang nicht mehr mit den kreativen Köchen seiner Zeit messen konnte. Dass er die drei Sterne zu Lebzeiten behalten durfte, geht also auf den Respekt des „Guide Michelin“vor dessen Lebensleistung zurück. Was dieses Restaurant und die Familie Bocuse, die es weiterbetreibt, unendlich sympathisch macht: Sie haben geschrieben, dass die Seele von Paul Bocuse hier weiterlebt. Trotz aller modernen Küchenstile. Das ist klug. Schon Gustav Peichl wusste: Wer sich mit der Mode verheiratet, der wird schnell Witwer. Das „Paul Bocuse“aber hütet ein Feuer, an dem sich jeder lebenslang gut wärmen kann. Egal, ob es zwei oder drei Sterne hat.