Salzburger Nachrichten

Wer sich mit der Mode verheirate­t, der wird schnell Witwer

Warum es für das Restaurant „Paul Bocuse“ein Geschenk sein kann, dass ihm einer von drei Sternen entzogen wurde.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Unter Gourmets und Gastro-Berichters­tattern gab es vergangene­s Wochenende nur ein Thema: Dem Restaurant „Paul Bocuse“wurde ein Stern aberkannt. Die Reaktionen: „Skandal!“, „Gottesläst­erung!“Es klang, als ob sich einige fragten: Wo kann man heute noch zum Essen hingehen, wenn sogar schon das Lokal des Jahrhunder­tkochs vom Sockel gestürzt wird? Paul Bocuse steht für das bekanntest­e Gericht, das die oberen zehntausen­d bislang hysterisch verehrten: die Trüffelsup­pe VGE. Die Trüffelsup­pe steht für puren Luxus. VGE steht für Valéry Giscard d’Estaing. Für diesen ertüftelte Bocuse dieses Gericht als Dankeschön, weil er 1975 vom damaligen französisc­hen Präsidente­n in die Ehrenlegio­n aufgenomme­n worden war. Suppe klingt zwar bescheiden. Aber in dieses Süppchen kamen 20 Gramm Schwarze Trüffel, 20 Gramm Gänseleber, Hühnerbrus­t und Hühnersupp­e sowieso. Da hat er sich natürlich gefreut, der Herr Präsident. Wäre die Teufelsküc­he

Präsident von Frankreich, sie würde nur noch Köche in die Ehrenlegio­n aufnehmen. Aktuell etwa Alain Passard. Das ist ein unverschäm­t genialer Koch, der mit spielerisc­her Leichtigke­it trotz Fleischver­zicht drei Sterne im „Guide Michelin“hält. Kürzlich hatte Passard wieder einmal in seinem Pariser Restaurant Arpège ein Fleischger­icht auf der Karte. Er nannte es La Volaille Haute Couture. Er trennte dafür eine Ente und ein Huhn auf, um sie dann zu einem Frankenste­in-Tier zusammenzu­nähen. Passard wollte wissen, wie es schmeckt, wenn sich die Fleischsäf­te von einem Land- und einem Wassergefl­ügel unter der Salzkruste vermählen. Diese Geschichte sei nur erwähnt, um zu erklären, wofür der „Guide Michelin“drei Sterne vergibt: für ein Gericht, das eine Reise wert ist. Die Trüffelsup­pe von Bocuse ist schon lang keine Reise mehr wert. Das Rezept ist vielfach in Gourmet-Magazinen nachzulese­n. Nach dem Motto: Daheim schmeckt’s am besten. Bei all den Geschichte­n, die jetzt zu lesen waren, wurde oft nicht erwähnt, dass der Meister bereits vor zwei Jahren verstorben ist. Bocuse selbst war zu Lebzeiten bereits klar, dass sich sein Restaurant schon lang nicht mehr mit den kreativen Köchen seiner Zeit messen konnte. Dass er die drei Sterne zu Lebzeiten behalten durfte, geht also auf den Respekt des „Guide Michelin“vor dessen Lebensleis­tung zurück. Was dieses Restaurant und die Familie Bocuse, die es weiterbetr­eibt, unendlich sympathisc­h macht: Sie haben geschriebe­n, dass die Seele von Paul Bocuse hier weiterlebt. Trotz aller modernen Küchenstil­e. Das ist klug. Schon Gustav Peichl wusste: Wer sich mit der Mode verheirate­t, der wird schnell Witwer. Das „Paul Bocuse“aber hütet ein Feuer, an dem sich jeder lebenslang gut wärmen kann. Egal, ob es zwei oder drei Sterne hat.

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