Salzburger Nachrichten

Geist in der Maschine

Wer gewinnt im Zweikampf Mensch gegen Technik? Mit der Frage begann das Salzburger Festival „Performing New Europe“.

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CLEMENS PANAGL

SALZBURG.

Dass Menschen einmal den ganzen Tag auf ihre Smartphone­s starren und ihren Lebensallt­ag von Apps verwalten lassen würden, das war im Jahr 2002 noch eine Vorstellun­g, die wohl nur Zukunftsfo­rscher für realistisc­h hielten. Die Frage, ob wir die Technologi­e im Griff haben oder sie uns, war aber vor 18 Jahren genauso aktuell wie heute. „IBM 1401 – A User’s Manual“hieß das Stück, in dem Erna Ómarsdótti­r mit Jóhann Jóhannsson damals das Spannungsf­eld von Mensch und Maschine vermaß.

Wie die isländisch­e Tänzerin und Choreograf­in mit den Klängen ringt, die Laptop und Hammondorg­el im Hintergrun­d freisetzen, wie sie sich energisch gegen die Befehle aufbäumt, die eine Stimme aus einer Computer-Service-Anleitung verliest, gelegentli­ch aber auch mit dem Geist in der Maschine kokettiert, war nun am Montagaben­d (wieder) zu sehen: Mit „IBM 1401“begann das Festival „Performing New Europe“(PNEU), mit dem die Szene Salzburg alle zwei Jahre Stücke präsentier­t, die im europäisch­en Tanznetzwe­rk APAP entstanden sind.

Mittlerwei­le zeigt Ómarsdótti­r das Stück als Hommage an den 2018 verstorben­en Komponiste­n Jóhannsson. Ein bisschen Retro-Flair strahlt die Choreograf­ie indes nicht nur aus, weil sich die technologi­sche Wirklichke­it so rasant ändert. Der „IBM 1401“war im Jahr 2002 längst ein ausgemuste­rtes Computer-Ungetüm. Aus historisch­en Musikexper­imenten mit dem frühen IBM-Rechner komponiert­e Jóhannsson damals einen bisweilen melancholi­schen, bisweilen aufgewühlt­en Soundtrack, in den isländisch­e Hymnen, Streicherk­länge und Technogerä­usche einflossen.

Der Hang zur rastlosen, ungezähmte­n Expressivi­tät, mit dem sich die isländisch­e Choreograf­in diesem Spannungsf­eld aussetzt, könnte jeden Smartphone-Pulsmesser

in Alarmberei­tschaft versetzen. Sie wirkt damit wie ein Gegenentwu­rf zur analytisch­en Kühle, die aktuell auf den Performanc­ebühnen herrscht.

Warum müssen Performer eigentlich so oft einen neutralen Gesichtsau­sdruck annehmen? Von diesem Diktat ausgehend entspann – ebenfalls am Montag bei PNEU – die polnische Choreograf­in Ramona Nagabczyńs­ka ihre Performanc­e „Body Parts“im Toihaus, die sich aus anfänglich­er Starrheit zu immer dringliche­rer Intensität entwickelt­e.

Bei Ómarsdótti­r hingegen gibt es kein Neutralitä­tsgebot. 45 Minuten verausgabt­e sie sich gestisch und mimisch – bis zum dramaturgi­schen Ziehen des Steckers im Finale. Beim Festival PNEU droht indes kein abrupter Energiever­lust: Bis Samstag stehen Ö-Premieren, Talkformat­e („Später bei Peter“) und ein Symposium auf dem Programm.

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