„Es ist Platz für alle Arten von Landwirtschaft“
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski sieht Platz für große und kleine Landwirtschaft in der EU. Kleine Bauern bräuchten aber mehr Hilfe.
Anlässlich seines Auftritts bei der Wintertagung des Ökosozialen Forums in Wien bekam der neue EU-Agrarkommissar Einblick in die Besonderheiten der österreichischen Landwirtschaft. Er will sich für die Biobauern einsetzen, deren Zukunft durch schärfere EU-Regeln gefährdet ist. Wie, ist noch unklar.
SN: Sie haben am Montag einen Biobauernhof im Burgenland besucht. Was nehmen Sie von dort mit?
Janusz Wojciechowski: Erstens, dass die Ökolandwirtschaft in Österreich sich fantastisch entwickelt hat. Mehr als 23 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird für Biolandwirtschaft genutzt und es gibt ein gutes Verhältnis zwischen biologischem Anbau und Viehzucht. Österreich kann als gutes Beispiel für andere EU-Staaten dienen, wie man biologische Landwirtschaft weiterentwickeln kann. Das ist eine interessante Erfahrung, weil es eine meiner Aufgaben ist, dafür in der EU einen Langfristplan zu erstellen. In Österreich ist nicht nur die biologische Landwirtschaft gut entwickelt, sondern auch der Markt für biologische Lebensmittel. Hier werden Bioprodukte im Wert von 200 Euro pro Kopf und Jahr konsumiert. In meinem Heimatland Polen sind es vier Euro.
SN: Zugleich laufen 2000 Biobauern in Österreich derzeit Gefahr, ihren Status zu verlieren, weil die EU die Regeln zur Weidehaltung verschärft. Auch der Hof, den Sie besucht haben. Ist das in Ordnung?
Das betrifft nicht nur Österreich, in anderen EU-Staaten ist die Situation ähnlich. Ich werde das sehr sorgfältig prüfen. Ich kann jetzt keine Antwort geben, aber ich werde alles Mögliche tun, um das Problem mit Rücksicht auf die spezielle Situation dieser Bauern zu lösen. Die Gefahr ist sehr groß, dass sie ohne die Biozertifizierung nicht weitermachen können. Wir sollten verhindern, dass es so weit kommt. Daher werde ich das sehr ernsthaft berücksichtigen und hoffe, dass wir eine Lösung finden, die rechtskonform und gut für die Bauern ist.
SN: Was ist mit der konventionellen Landwirtschaft? Sehen Sie da einen Widerspruch?
Nein. Ökologische Landwirtschaft ist eine spezielle Form der Landwirtschaft, bekommt spezielle Unterstützung.
Wir wollen aber alle Formen von Landwirtschaft unterstützen, weil in der EU große landwirtschaftliche Betriebe nötig sind, mittlere und kleine – nicht nur Biobauern. Was wir brauchen, ist nachhaltige Landwirtschaft, die beispielsweise gut für den ländlichen Raum ist. Denn wir erleben in vielen Regionen Entvölkerung, und das sollte unsere Politik verhindern.
SN: Bisher haben sich die Ankündigungen für nachhaltige und umweltfreundliche Landwirtschaft in der EU oft als Lippenbekenntnisse entpuppt. In der nächsten Reform der gemeinsamen Agrarpolitik verspricht die EU-Kommission wieder „großen Ehrgeiz“bei Umwelt- und Klimathemen. Wie wollen Sie sicherstellen, dass es diesmal klappt?
Ich glaube, dass nicht die Landwirtschaft Umwelt oder Klima schädigt, sondern die Auswüchse, die es manchmal gibt – zu viel industrielle Landwirtschaft, zu intensive Landwirtschaft.
Das kann sich negativ auf die Umwelt auswirken. Wir sollten Alternativen anbieten, kleine Bauernhöfe unterstützen, die keine Gefahr für die Umwelt sind und sich besser auf Klimaveränderungen einstellen, damit nicht noch mehr aufhören müssen. Wir haben in einem Jahrzehnt vier Millionen Bauern verloren. Wenn dieser Prozess weitergeht, bleibt am Ende nur industrielle Landwirtschaft. Das ginge in die völlig falsche Richtung. Es gibt eine historische Chance, die EU-Agrarpolitik zu verändern.
SN: Es laufen bereits heftige Proteste von Landwirten, etwa in den Niederlanden oder Deutschland, gegen eine Änderung der Spielregeln in der EU-Agrarpolitik. Berechtigt?
Unsere Politik darf sich nicht gegen die großen Betriebe richten. Es gibt Platz in der EU für alle Formen von Landwirtschaft. Aber das vorrangige Problem ist jetzt, das Sterben der kleinen Betriebe aufzuhalten und sie stärker zu unterstützen. Der europäische Green Deal bietet diese Möglichkeit und ist ein guter Grund, erneut über das EU-Budget zu diskutieren.
SN: Bis wann wollen Sie die Verhandlungen über die EUAgrarpolitik und die Finanzierung abgeschlossen haben? Heuer?
Ja, natürlich sollten wir dieses Jahr fertig werden. Wir brauchen den neuen mehrjährigen Finanzrahmen und die neuen Regeln.
SN: Im ersten Halbjahr?
Es wäre gut, wenn sich das ausginge, aber in der Realität wird es wahrscheinlich die zweite Jahreshälfte.
Janusz Wojciechowski (*1954):
Der frühere Chef des polnische Rechnungshofs war zuletzt am EU-Rechnungshof tätig. Von 2004 bis 2016 Mitglied des EU-Parlaments, zuletzt für die polnischen Regierungspartei PiS.