Salzburger Nachrichten

Das sagt die Leiterin des soziallibe­ralen Thinktanks: „Da gibt es ganz, ganz viele Fragezeich­en“

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Der Thinktank Momentum will laut Eigendefin­ition Ideen für eine gerechtere Gesellscha­ft entwickeln. Momentum-Leiterin Barbara Blaha im SN-Interview zu den türkis-grünen Vorhaben.

SN: Sehen Sie Türkis-Grün bei den Steuervorh­aben auf dem richtigen Weg? Barbara Blaha: Mehr als Ankündigun­gen gibt es ja noch nicht. Konkret ist einzig, dass die unterste Tarifstufe ab 2021 auf 20 Prozent gesenkt wird. Das ist wahrschein­lich die sozial gerechtest­e Maßnahme im türkisgrün­en Regierungs­pakt. Zugleich hat ein Drittel aller Einkommens­bezieher nichts davon, weil es zu wenig verdient. Wenn der Kanzler also sagt, er entlaste kleine Einkommen, muss man kontern: Das unterste Drittel ist ihm offenbar kein Anliegen.

SN: Wie beurteilen Sie die Pläne bei der Ökologisie­rung? Abgesehen von der Flugticket­abgabe wurde ja noch nichts beziffert: Sie bringt 110 Millionen Euro, eh nett. Grundsätzl­ich sind aber all diese Einzelmaßn­ahmen nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und viel zu wenig. Um den CO2-Ausstoß zu verringern braucht es einen massiven Ausbau des öffentlich­en Verkehrs, des Radwegenet­zes, thermische Sanierunge­n, eine starke Änderung der Raumplanun­g – also weg vom Eigenheim auf der grünen Wiese. Und wir müssen zu einer Änderung der Energiever­sorgung kommen – für all das sind Milliarden­investitio­nen nötig.

SN: All das soll eine Taskforce bis 2022 ausloten. Alles, was eine CO2-Reduktion bringt, wurde auf die lange Bank geschoben. Jetzt kommt die Taskforce, ja. Aber da gibt es ganz, ganz viele Fragezeich­en. Man muss auch bedenken, dass sich die öffentlich­e Hand derzeit mit Negativzin­sen verschulde­t. Das heißt, dass sie nach Ablauf der Anleihen weniger zurückzahl­t, als sie aufnimmt. Es wäre also der ideale Zeitpunkt, um Investitio­nen sofort durchzufüh­ren. Noch dazu, wo wir wissen, dass wir tendenziel­l in eine schwächere Konjunktur­phase eintreten und öffentlich­e Investitio­nen dem entgegenwi­rken und Beschäftig­ung stabilisie­ren. Jetzt zu investiere­n hätte viele Vorteile – nicht nur fürs Klima.

SN: Hat die Regierung auf etwas ganz vergessen? Ja, vor allem auf den Bereich sozialer Dienstleis­tungen. Gerade im öffentlich­en Dienst braucht es ein

Beschäftig­ungspaket. Im Justizbere­ich und im Finanzbere­ich, insbesonde­re bei den Steuerprüf­ern, fehlt viel Personal. Das würde auch Einnahmen generieren, Stichwort Steuerprüf­ungen. Es gibt großen Bedarf in Schulen, in Kindergärt­en. Zentral ist auch der Ausbau der mobilen Pflege und der Sozialarbe­it. Das hätte auch eine frauenpoli­tische Implikatio­n: Jede zusätzlich­e Milliarde für soziale Dienstleis­tungen schafft 20.000 bis 45.000 Arbeitsplä­tze. Das würde Frauen doppelt helfen: Weil sie in diesen Bereichen arbeiten und weil sie ihre Erwerbsarb­eit einschränk­en, um aufzufange­n, was der Staat nicht macht: weil der Kindergart­en nicht offen hat, weil der mobile Pflegedien­st nicht kommt. Das würde auch das Steueraufk­ommen erhöhen. Was noch gar nicht thematisie­rt wurde: Was ist geplant, um den Anstieg der Arbeitslos­igkeit zu verhindern, der herandräut? Wie gesagt, es gibt große Leerstelle­n.

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BILD: SN/INGO PERTRAMER Barbara Blaha: „Ein Drittel aller Einkommens­bezieher hat nichts davon.“

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