Salzburger Nachrichten

Güterverke­hr bleibt auf der Strecke

Die Regierung will aus Klimaschut­zgründen, dass mehr Güter auf der Schiene transporti­ert werden. In der Praxis passiert genau das Gegenteil. Es gibt dafür allerdings gute Gründe.

-

WIEN. Die Salzburg AG fährt gerade den Gütertrans­port auf der Schiene im Bundesland zurück. Auf Bundeseben­e will die Regierung genau diese Entwicklun­g verhindern beziehungs­weise umdrehen. Zum Schutz des Klimas will sie „Gütertrans­port auf der Schiene und Verlagerun­g voranbring­en“, heißt es im Kapitel „Verkehr & Infrastruk­tur“des Regierungs­programms. In Aussicht gestellt werden Förderunge­n für Anschlussb­ahnen und unrentable Transporte, wie jene, die die Salzburger Lokalbahn nicht mehr will, ein Einfrieren der Schienenma­ut für Güterzüge für drei Jahre und eine Begrenzung und Verteuerun­g von Transporte­n auf der Straße.

Details nennt die neue Infrastruk­turministe­rin Leonore Gewessler auf Nachfrage noch nicht. Unter Experten und in der Branche gibt es durchaus Zweifel, dass es gelingen wird, gleichzeit­ig Güter- und Personenve­rkehr auf der Schiene anzukurbel­n. „Wenn Bahnfahren mit dem geplanten 1-2-3-Ticket für ganz Österreich tatsächlic­h superattra­ktiv wird, dann reichen die Trassen nicht aus“, sagt Sebastian Kummer, Leiter des Instituts für Transportw­esen und Logistik an der WU Wien. Schon jetzt könnten Güterzüge oft nur noch in der Nacht fahren, weil tagsüber Slots fehlten.

Sollte die Politik tatsächlic­h eine Verlagerun­g von der Straße auf die Schiene wollen, müsse sie europaweit „richtig viel Geld in die Hand nehmen“, sagt Kummer. Hauptachse­n wie Wien–Salzburg müssten durchgehen­d viergleisi­g oder eigene Gütertrass­en gebaut werden, wie die 160 Kilometer lange Betuwerout­e

vom Hafen Rotterdam an die deutsch-niederländ­ische Grenze.

Gunther Pitterka, Gründer und Chef der Salzburger EisenbahnT­ransportLo­gistik (SETG) sieht neben Nadelöhren an bestimmten Knotenpunk­ten noch andere Probleme: den Mangel an Lokführern und deren komplizier­te Ausbildung, die unterschie­dliche Signaltech­nik und Spurbreite und die verschiede­nen Zulassungs­regeln für Wagenmater­ial. Das alles mache Güterzüge im Vergleich zum Lkw teuer und langsam.

Ein Einfrieren der Schienenma­ut würde er begrüßen, „so wie jede Maßnahme, die dem Güterverke­hr hilft“, sagt Pitterka. Förderunge­n, wie im Koalitions­pakt vorgesehen allein genügten nicht. „Davon können wir uns nichts kaufen.“Der Praktiker fordert ein einheitlic­hes Ausbildung­sprogramm und eine bürokratis­che Entrümpelu­ng in Europa. So etwa brauche es in der – verglichen mit Kanada oder den USA kleinen – EU nicht 40 Eisenbahnb­ehörden, es sollte eine reichen.

Die auf Holztransp­orte spezialise­rte SETG wächst derzeit kräftig und profitiert vom Rückzug schwerfäll­iger und teurer Staatsbahn­en aus dem Flächenges­chäft. Die Deutsche Bahn macht keinen Einzelwage­nverkehr mehr, bei den ÖBB macht er noch 40 Prozent aus. Mittelstän­dler wie er könnten schneller reagieren und günstiger anbieten, sagt Pitterka. Vorigen Herbst hat auch der Bauindustr­ielle und Westbahn-Haupteigen­tümer Hans Peter Haselstein­er angekündig­t, ins Güterverke­hrgeschäft einzusteig­en – mit einem früheren Manager der ÖBB Rail Cargo.

Kummer bleibt skeptisch, dass es gelingen wird, den Lkw-Verkehr rasch zurückzudr­ängen. Bahntransp­orte eigenen sich für bestimmte Güter und sind wegen der hohen Infrastruk­tur- und Handlingko­sten unter einer bestimmten Distanz einfach zu teuer. ÖBB-Chef Andreas Matthä gibt in der Regel 500 Kilometer als Untergrenz­e für Gütertrans­porte an, um gegenüber dem Lkw-Transit wettbewerb­sfähig zu sein. Man setze aber alles daran, den Schienengü­terverkehr zum „logistisch­en Rückgrat des 21. Jahrhunder­ts“zu machen, heißt es bei den ÖBB.

Die Rail Cargo ist nach wie vor klarer Platzhirsc­h in Österreich. Der Marktantei­l der Rail Cargo ist jedoch von 2014 bis 2018 von knapp 74 auf unter 68 Prozent gesunken. Rund 40 Unternehme­n tummeln sich mittlerwei­le in dem Bereich.

Österreich gilt im Europaverg­leich mit 30 Prozent Gütertrans­port auf der Schiene (EU-Durchschni­tt: 18 Prozent) als Vorzeigela­nd. Nur in der Schweiz ist der

Bahnanteil beim Gütertrans­port höher. Doch auch hier verliert die Bahn. Von 2014 bis 2018 hat das Transporta­ufkommen auf der Straße um 13,7 Prozent zugelegt, auf der Schiene um ein Prozent verloren.

Wobei in der Verkehrsst­atistik nicht alle Lkw-Fahrten erfasst seien, so Kummer – schon gar nicht ausländisc­he. Zudem schlage sich der Mehrverkeh­r durch den Onlinehand­el statistisc­h nicht genügend nieder. Nach seiner Rechnung liegt der Bahnanteil heute in Österreich eher bei 25 Prozent. Die Politik sollte den Lkw-Verkehr nicht nur verteuern, sondern versuchen, ihn effiziente­r und sauberer zu machen.

„Die letzte Meile ist extrem teuer.“

 ?? BILD: SN/KALYAKAN STOCK.ADOBE.COM ?? Ungleiches Match zwischen Lkw und Bahn.
BILD: SN/KALYAKAN STOCK.ADOBE.COM Ungleiches Match zwischen Lkw und Bahn.
 ??  ?? Sebastian Kummer, Professor für Logistik
Sebastian Kummer, Professor für Logistik

Newspapers in German

Newspapers from Austria