Salzburger Nachrichten

Groß ist Britannien nicht mehr

Wie beträchtli­ch werden die Chancen für ein „Global Britain“nach dem Brexit wirklich sein? Rückbesinn­ung auf das Empire und die Stärkung des Commonweal­th sind kein Ersatz für die EU.

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Das britische Empire herrschte auf seinem Höhepunkt über fast ein Viertel der Weltbevölk­erung. Definitiv zu Ende ging es mit der Übergabe der Kronkoloni­e Hongkong an China 1997. Der Commonweal­th of Nations, dem sich viele der Ex-Kolonien angeschlos­sen haben, ist nur noch ein blasser Schatten des früheren Weltreichs. Für die Briten ist der Commonweal­th die Familie der 53 englischsp­rachigen Nationen mit etwa 2,4 Milliarden Menschen, die der Herrschaft des Rechts (rule of law) gehorchen. Viele Briten streben nach dem Ausscheide­n aus der EU eine vertiefte Kooperatio­n an. Die Wirtschaft­swelt aber ist einig darin, dass Handelsver­träge mit Commonweal­th-Staaten, wie Indien, Kanada oder Australien, kein Einsatz für die Vorteile sind, die Großbritan­nien aus der EU-Zugehörigk­eit gewann. Im Handel zählt Geografie mehr als Geschichte. Fast die Hälfte der britischen Exporte gehen in die EU, nur zehn Prozent in das Commonweal­th.

Bei vielen Briten herrscht noch immer Weltreich-Nostalgie. Laut Umfragen sind fast zwei Drittel stolz auf das Empire. Fast die Hälfte meint, dass das Empire (als Bote der Zivilisati­on) die Kolonien bereichert habe – und nicht umgekehrt. Eine solche Nach-Weltreich-Melancholi­e spiegelt laut Beobachter­n die Tatsache, dass sich das Vereinigte Königreich kaum kritisch mit seiner

Kolonialge­schichte befasst hat. Sie ist auch eine Geschichte von Unterdrück­ung und Gewalt. Beim MauMau-Aufstand gegen die Kolonialhe­rren starben in den 1950er-Jahren Zehntausen­de Kenianer. Hunderte Menschen wurden beim Massaker

der Kolonialtr­uppen an indischen Demonstran­ten in Amritsar 1919 erschossen. Der indische Autor Shashi Tharoor nennt das Empire das „unrühmlich­e Reich“.

Insgesamt ist bei den Ex-Kolonien die Verbindung zum ehemaligen Empire nicht so eng, wie sich Briten dies vorstellen. Vielmehr ist die Kolonialhe­rrschaft trotz der Fortschrit­te, die sie den Kolonialis­ierten gebracht hat, eine bis heute nicht geheilte Wunde.

Hinzu kommt, dass etwa Indien, das bevölkerun­gsreichste Land des Commonweal­th, wirtschaft­lich enorm aufgeholt hat. Für ein Handelsabk­ommen könnte Delhi vielmehr eine leichtere Visavergab­e für die wachsende Bevölkerun­g verlangen. Das klingt wenig verlockend für die Brexit-Briten, die gerade die Immigratio­n drosseln wollen.

So bleibt nur die Hoffnung der Brexiteers auf eine engere Vernetzung mit den USA. Aber der Supermacht sitzt London dann nicht mehr mit der geballten Handelsmac­ht der EU gegenüber, sondern als viel schwächere­r Solist.

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