Tausche Musik, bekomme drei Minuten Glück
Über das grenzenlose Glück beim Austausch von Musik und die Düsternis über London.
Glück will man festhalten. Also speichere ich den Song, der grad übers Handy kommt, bei Spotify, diesem Glücklichmacher. „Glücklich sein“geht sich leichter und öfter aus als das ganze, große Glück. Oft reichen die drei Minuten eines Popsongs. Einer der Jobs eines Songwriters, so schrieb das kürzlich Nick Cave, sei es, eine Strategie zu finden, die den Menschen hilft, ihre Sorgen zu überwinden. „Die Dualität eines großen Songs besteht darin, dass er das Ausmaß der Schmerzen der Hörer spiegelt und gleichzeitig darüber hinaushebt.“So was ist selten, schwer zu erwischen und noch schwerer festzuhalten. Ich erinnere mich, als ich einst immer wieder tage-, wenn nicht wochenlang auf ein Glück warten musste. Zum Beispiel wartete ich auf The Clash (die nun, Jahrzehnte später, durchaus ein feiner Soundtrack zum Brexit sind). Um „London Calling“von The Clash hören zu können, musste ich in der Kleinstadt jenseits jeder Popwelt tagelang in den Plattenladen gehen und dachte: „In London müsst’ man sein.“Im Provinzladen hatten sie ein Exemplar der Single bekommen. Eines! Das wurde vom Ladenbesitzer gehütet und nicht verkauft, bis die Nachbestellungen eingetroffen waren. Bis dahin aber teilte der Ladenbesitzer den Song. Tagelang lief, immer wenn man den Laden betrat, der Song, quasi als Methadon-Dosis für uns Junkies, die warteten, um den Stoff endlich selbst besitzen zu dürfen.
So wie ich einst mit Gleichgesinnten in den Plattenladen rannte fürs geteilte Glück, sitze ich nun oft allein mit dem Handy da. Das Glück kommt da als tiefgründige Erkenntnis beim musikalischen Austausch dank Spotify und WhatsApp-Brieffreundschaft. Da mag ich das Internet sehr, weil es Ferne ganz eng heranholt. Ich bin kein Junkie, aber knapp davor. Spotify nämlich ist eine Verführungsmaschine. Freilich hat Verführung keinen Sinn, wenn sie einseitig verläuft. Wie damals im Plattenladen ist es der Austausch von Geschmack, Erinnerung und Aufregung, der einen glücklich macht. Man schickt einen Song der Go-Betweens. Nach angemessener Zuhörzeit kommt als befriedigende Antwort: „Ich bin denen schon jetzt hörig. Zum Anbeten.“Das Musiktauschen geht rasant. Song suchen, teilen, schicken. Der Weg zwischen Welten ist grenzenlos, das Glück leicht gemacht in Einheiten von drei Minuten. Solches Glück bleibt selten, ist aber einfacher festzuhalten als früher. Ein Klick, schon wieder was Neues in der Playlist, von der es sich dann immer und immer wieder abspielen lässt. Das füllt den Glückserinnerungsspeicher. Ach ja, vorher war von der Erinnerung an „London Calling“die Rede, diese düsteren Beschwörung bitterer Umstände im Kalten-Krieg-Großbritannien der 1970er: Beim Tauschen des Glücks kann einem der Brexit auch wurscht sein. Es gibt keine Grenze, nur die des Geschmacks. Schwupp macht es im Handy. Schon wieder ist ein Song da – „I’m Tired“von Gitarrist Bernard Butler von Suede, einer der großen Bands des Britpop. Glücksvolle Erinnerung an goldene Zeiten auf der Insel.