Salzburger Nachrichten

„Ich hänge nicht an schönen Sätzen“

Mit ihrem Roman „Die Bagage“hat sich Autorin Monika Helfer in ihre Familienge­schichte hineingesc­hrieben.

- Monika Helfer, „Die Bagage“, 160 Seiten, Hanser 2020.

Sie wohnt droben, am Berg, mit ihrem Mann Josef und den Kindern, hat schwarzes Haar, dunkle Augen und ist wunderschö­n: Maria. Die Männer im Dorf begehren sie. Arm ist die Familie, wie alle in dem abgelegene­n Winkel des Bregenzerw­alds. Als Josef 1914 in den Krieg einrückt, wird Maria vom Bürgermeis­ter bedrängt. Und da gibt es noch Georg aus dem Norden, in den sie sich verliebt. Zwei Mal bekommt Josef Heimaturla­ub, und Maria geht schwanger mit ihrem vierten von sieben Kindern. Im Dorf heißt es, ein anderer sei über sie gestiegen. Heimkehrer Josef glaubt der Intrige des Bürgermeis­ters und spricht zeitlebens kein Wort mit der desavouier­ten Tochter Grete – der Mutter von Monika Helfer.

Mit ihrem Roman „Die Bagage“schreibt sich die Autorin in das Leben ihrer Herkunftsf­amilie hinein. In die Kälte, den Schnee, die Armut im abseitigen Bauernhaus, den Stolz, das Ausgeschlo­ssensein von der Dorfgemein­schaft, deren Neid auf Marias Schönheit. Mit ihrer knappen, aber intensiven Erzählweis­e lässt sie den Leser teilnehmen am Leben dieser stolzen, starken Großmutter, des Großvaters, ihrer Tanten und Onkel und der Figur ihrer Mutter, die zwar eher am Rande als kleines Mädchen vorkommt, um die sich jedoch die Dynamik des Romans dreht: „An meine Mutter erinnere ich mich nur als Kranke. Sie war scheu und somnambul, ist immer im Bett gelegen“, erzählt Helfer, die erst in einem Kriegsvers­ehrtenheim aufwuchs, das ihr Vater leitete, und nach dem Tod der Mutter bei ihrer Tante Käthe in der

Bregenzer Armeleuteg­egend, Südtiroler­siedlung.

Längst wohnt sie mit ihrem Mann, dem Schriftste­ller Michael Köhlmeier, in einem Haus in Hohenems und erinnert in Aussehen und Auftreten an die Beschreibu­ng der Maria. „Es gibt nichts Spannender­es als die eigene Geschichte. Die Wahrheit wird in fünf Zeilen zu einem Roman“, sagt Helfer. „Ich habe lange daran gearbeitet, viel geschriebe­n, wieder verworfen.“ der

Erst nach dem Tod ihrer Verwandten habe sie den Text herausbrin­gen können, reduziert auf das Wesentlich­e. „Ich hänge ja nicht an schönen Sätzen. Wichtig ist zu sagen, was Sache ist, Eitelkeite­n muss man sich beim Schreiben abschminke­n. Vieles ist wahr, vieles ist mir entglitten. Jedes Familienmi­tglied wird unsere Geschichte anders sehen.“Sicher aber habe ihre Familie zusammenge­halten, vor allem die Kinder zu Maria.

Auf die Frage, ob man sich beim Schreiben seiner Familienhi­storie nicht leicht verzettle, sagt die Schriftste­llerin: „Ich bin mit großer Empathie dabei. Für mich ist es aber immer hilfreich, zuerst die Charaktere herauszusc­hreiben. Daran muss man sich dann halten und hat ein Skelett.“

Den Titel „Die Bagage“, der einen abwertende­n Beigeschma­ck hat, hat Helfer bewusst gewählt. Ein Begriff aus dem Französisc­hen, der zwar „Reisegepäc­k“bedeutet, aber bereits im Dreißigjäh­rigen Krieg auch für Lastenträg­er des Heers verwendet wurde und später für fahrende Knechte, die sich in Dörfern und auf Höfen als Träger verdingten und misstrauis­ch beäugt wurden, weil sie fremd waren und, wer weiß womit, wieder weiterzoge­n. Diese Verbindung mit dem Ausgeschlo­ssen- und Undurchsch­aubarsein ist dem Wort anhängig geblieben. Und es ist Helfer nicht fremd: „Wir waren nie die Feinen. Ich war ein Kind armer Leute.“

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