„Ich hänge nicht an schönen Sätzen“
Mit ihrem Roman „Die Bagage“hat sich Autorin Monika Helfer in ihre Familiengeschichte hineingeschrieben.
Sie wohnt droben, am Berg, mit ihrem Mann Josef und den Kindern, hat schwarzes Haar, dunkle Augen und ist wunderschön: Maria. Die Männer im Dorf begehren sie. Arm ist die Familie, wie alle in dem abgelegenen Winkel des Bregenzerwalds. Als Josef 1914 in den Krieg einrückt, wird Maria vom Bürgermeister bedrängt. Und da gibt es noch Georg aus dem Norden, in den sie sich verliebt. Zwei Mal bekommt Josef Heimaturlaub, und Maria geht schwanger mit ihrem vierten von sieben Kindern. Im Dorf heißt es, ein anderer sei über sie gestiegen. Heimkehrer Josef glaubt der Intrige des Bürgermeisters und spricht zeitlebens kein Wort mit der desavouierten Tochter Grete – der Mutter von Monika Helfer.
Mit ihrem Roman „Die Bagage“schreibt sich die Autorin in das Leben ihrer Herkunftsfamilie hinein. In die Kälte, den Schnee, die Armut im abseitigen Bauernhaus, den Stolz, das Ausgeschlossensein von der Dorfgemeinschaft, deren Neid auf Marias Schönheit. Mit ihrer knappen, aber intensiven Erzählweise lässt sie den Leser teilnehmen am Leben dieser stolzen, starken Großmutter, des Großvaters, ihrer Tanten und Onkel und der Figur ihrer Mutter, die zwar eher am Rande als kleines Mädchen vorkommt, um die sich jedoch die Dynamik des Romans dreht: „An meine Mutter erinnere ich mich nur als Kranke. Sie war scheu und somnambul, ist immer im Bett gelegen“, erzählt Helfer, die erst in einem Kriegsversehrtenheim aufwuchs, das ihr Vater leitete, und nach dem Tod der Mutter bei ihrer Tante Käthe in der
Bregenzer Armeleutegegend, Südtirolersiedlung.
Längst wohnt sie mit ihrem Mann, dem Schriftsteller Michael Köhlmeier, in einem Haus in Hohenems und erinnert in Aussehen und Auftreten an die Beschreibung der Maria. „Es gibt nichts Spannenderes als die eigene Geschichte. Die Wahrheit wird in fünf Zeilen zu einem Roman“, sagt Helfer. „Ich habe lange daran gearbeitet, viel geschrieben, wieder verworfen.“ der
Erst nach dem Tod ihrer Verwandten habe sie den Text herausbringen können, reduziert auf das Wesentliche. „Ich hänge ja nicht an schönen Sätzen. Wichtig ist zu sagen, was Sache ist, Eitelkeiten muss man sich beim Schreiben abschminken. Vieles ist wahr, vieles ist mir entglitten. Jedes Familienmitglied wird unsere Geschichte anders sehen.“Sicher aber habe ihre Familie zusammengehalten, vor allem die Kinder zu Maria.
Auf die Frage, ob man sich beim Schreiben seiner Familienhistorie nicht leicht verzettle, sagt die Schriftstellerin: „Ich bin mit großer Empathie dabei. Für mich ist es aber immer hilfreich, zuerst die Charaktere herauszuschreiben. Daran muss man sich dann halten und hat ein Skelett.“
Den Titel „Die Bagage“, der einen abwertenden Beigeschmack hat, hat Helfer bewusst gewählt. Ein Begriff aus dem Französischen, der zwar „Reisegepäck“bedeutet, aber bereits im Dreißigjährigen Krieg auch für Lastenträger des Heers verwendet wurde und später für fahrende Knechte, die sich in Dörfern und auf Höfen als Träger verdingten und misstrauisch beäugt wurden, weil sie fremd waren und, wer weiß womit, wieder weiterzogen. Diese Verbindung mit dem Ausgeschlossen- und Undurchschaubarsein ist dem Wort anhängig geblieben. Und es ist Helfer nicht fremd: „Wir waren nie die Feinen. Ich war ein Kind armer Leute.“
Buch: