Salzburger Nachrichten

Beim Liberalisi­eren der Eisenbahn kann man leicht entgleisen

Zwei Jahrzehnte nach der Privatisie­rung von British Rail zeigt sich: Der Schwenk von Staat zu Privat führt nicht zwingend zum Erfolg.

- MARKT PLATZ Richard Wiens WWW.SN.AT/WIENS

Es war ein Vorhaben, vor dem sogar die „Eiserne Lady“zurückschr­eckte – die Privatisie­rung von British Rail. Erst unter Margaret Thatchers Nachfolger John Major machten sich die Tories an das umstritten­e Projekt, bei dem von Anfang an viele Weichen falsch gestellt wurden.

Um den Erlös zu maximieren, wurden nicht nur 25 Konzession­en für den Betrieb der auf Regionen aufgeteilt­en Strecken an private Anbieter vergeben. Darüber hinaus wurde die gesamte Infrastruk­tur an die private Gesellscha­ft Railtrack übertragen. Aus der daraus erhofften Modernisie­rung des Bahnwesens auf der Insel wurde nichts, denn Railtrack ließ Netz und Bahnhöfe verlottern – Unfälle häuften sich. Die Politik musste reagieren. Seit 2002 verwaltet Network Rail im Auftrag des Staats das Bahnnetz und die 20 größten Bahnhöfe des Landes, mit der Auflage, die Einnahmen in die Instandhal­tung zu investiere­n. Die Schulden von mehr als 50 Mrd. Pfund finden sich im Staatsbudg­et.

Nun macht sich ausgerechn­et eine konservati­ve Regierung daran, das Rad der Zeit wieder ein Stück zurückzudr­ehen. Eine besonders schlecht laufende Linie im Norden des Landes, die von der Deutsche-Bahn-Tochter Arriva betrieben wird, will der Staat wieder unter seine Fittiche nehmen. Es ist nicht das erste Mal, schon vor zwei Jahren wurde die East Coast Rail wieder verstaatli­cht, die South Western Railway könnte bald ein ähnliches Schicksal erfahren. Dass gerade die Tories zum Mittel der Re-Verstaatli­chung greifen, mag marktliber­ale Puristen enttäusche­n. Sie ist aber das Resultat der kapitalen Fehler, die bei der Öffnung des britischen Eisenbahnm­arkts gemacht wurden. Sie taugt daher nicht wirklich als Vorbild.

Dass unter Boris Johnson die Notbremse gezogen wird, ist nicht so ungewöhnli­ch, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn dass der britische Premier ideologisc­h äußerst beweglich ist, wenn es um die Wirtschaft geht, hat er beim Brexit mehrfach bewiesen. Ursprüngli­ch ein Verfechter des Verbleibs in der EU, schlug er sich ins Lager der Gegner, weil er dort mehr Chance sah, aufseiten der Gewinner zu sein. Sein politische­r Instinkt lässt Johnson spüren, dass die Briten es nicht länger dulden, dass die Bahn herunterge­wirtschaft­et wird. Jetzt sollen sogar alte Trassen wieder reaktivier­t werden.

Wie man es anders macht, zeigt die Schweiz, die unangefoch­ten als Bahnland Nummer eins gilt. Bei den Freigeiste­rn in der Eidgenosse­nschaft, die in vielen Bereichen als Vorbild gelten, ist die Bahn fest in staatliche­r Hand. Zwar ging der Verstaatli­chung ein harter Kampf voraus, aber der fand Ende des 19. Jahrhunder­ts statt, und die Befürworte­r entschiede­n ihn per Volksabsti­mmung für sich. Seit 1902 stehen die SBB im Eigentum des Bundes, das seither nie infrage gestellt wurde.

Warum? Weil der öffentlich­e Verkehr einer der Bereiche ist, der ohne Kooperatio­n von Privatwirt­schaft und Staat nicht gut funktionie­rt. Das zeigt sogar Japan, das Anhänger der Privatisie­rung gern als gelungenen Showcase anführen. Dort ging man einen radikalen Weg, indem man Züge, Gleise und Bahnhöfe im Paket an Private übergab. Allerdings setzt dort das Transportm­inisterium Obergrenze­n für die Fahrpreise fest. Es scheint, als funktionie­rte es nie ohne öffentlich­e Eingriffe. Fazit: Wer gut privatisie­ren will, muss auch gut regulieren.

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