Beim Liberalisieren der Eisenbahn kann man leicht entgleisen
Zwei Jahrzehnte nach der Privatisierung von British Rail zeigt sich: Der Schwenk von Staat zu Privat führt nicht zwingend zum Erfolg.
Es war ein Vorhaben, vor dem sogar die „Eiserne Lady“zurückschreckte – die Privatisierung von British Rail. Erst unter Margaret Thatchers Nachfolger John Major machten sich die Tories an das umstrittene Projekt, bei dem von Anfang an viele Weichen falsch gestellt wurden.
Um den Erlös zu maximieren, wurden nicht nur 25 Konzessionen für den Betrieb der auf Regionen aufgeteilten Strecken an private Anbieter vergeben. Darüber hinaus wurde die gesamte Infrastruktur an die private Gesellschaft Railtrack übertragen. Aus der daraus erhofften Modernisierung des Bahnwesens auf der Insel wurde nichts, denn Railtrack ließ Netz und Bahnhöfe verlottern – Unfälle häuften sich. Die Politik musste reagieren. Seit 2002 verwaltet Network Rail im Auftrag des Staats das Bahnnetz und die 20 größten Bahnhöfe des Landes, mit der Auflage, die Einnahmen in die Instandhaltung zu investieren. Die Schulden von mehr als 50 Mrd. Pfund finden sich im Staatsbudget.
Nun macht sich ausgerechnet eine konservative Regierung daran, das Rad der Zeit wieder ein Stück zurückzudrehen. Eine besonders schlecht laufende Linie im Norden des Landes, die von der Deutsche-Bahn-Tochter Arriva betrieben wird, will der Staat wieder unter seine Fittiche nehmen. Es ist nicht das erste Mal, schon vor zwei Jahren wurde die East Coast Rail wieder verstaatlicht, die South Western Railway könnte bald ein ähnliches Schicksal erfahren. Dass gerade die Tories zum Mittel der Re-Verstaatlichung greifen, mag marktliberale Puristen enttäuschen. Sie ist aber das Resultat der kapitalen Fehler, die bei der Öffnung des britischen Eisenbahnmarkts gemacht wurden. Sie taugt daher nicht wirklich als Vorbild.
Dass unter Boris Johnson die Notbremse gezogen wird, ist nicht so ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn dass der britische Premier ideologisch äußerst beweglich ist, wenn es um die Wirtschaft geht, hat er beim Brexit mehrfach bewiesen. Ursprünglich ein Verfechter des Verbleibs in der EU, schlug er sich ins Lager der Gegner, weil er dort mehr Chance sah, aufseiten der Gewinner zu sein. Sein politischer Instinkt lässt Johnson spüren, dass die Briten es nicht länger dulden, dass die Bahn heruntergewirtschaftet wird. Jetzt sollen sogar alte Trassen wieder reaktiviert werden.
Wie man es anders macht, zeigt die Schweiz, die unangefochten als Bahnland Nummer eins gilt. Bei den Freigeistern in der Eidgenossenschaft, die in vielen Bereichen als Vorbild gelten, ist die Bahn fest in staatlicher Hand. Zwar ging der Verstaatlichung ein harter Kampf voraus, aber der fand Ende des 19. Jahrhunderts statt, und die Befürworter entschieden ihn per Volksabstimmung für sich. Seit 1902 stehen die SBB im Eigentum des Bundes, das seither nie infrage gestellt wurde.
Warum? Weil der öffentliche Verkehr einer der Bereiche ist, der ohne Kooperation von Privatwirtschaft und Staat nicht gut funktioniert. Das zeigt sogar Japan, das Anhänger der Privatisierung gern als gelungenen Showcase anführen. Dort ging man einen radikalen Weg, indem man Züge, Gleise und Bahnhöfe im Paket an Private übergab. Allerdings setzt dort das Transportministerium Obergrenzen für die Fahrpreise fest. Es scheint, als funktionierte es nie ohne öffentliche Eingriffe. Fazit: Wer gut privatisieren will, muss auch gut regulieren.