Die Wienlastigkeit des Journalismus braucht mehr Gegengewicht
Die Verjüngung der „Zeit im Bild 1“ist ein richtiger Schritt. Das Standbein der Landesstudios benötigt zugleich eine Stärkung.
Das Timing der Kundgabe war perfekt: Just zur Auszeichnung der „Journalisten des Jahres“teilte der ORF mit, dass ab Ostern die „Zeit im Bild 1“ein neues Gewand tragen und mit Tobias Pötzelsberger ein weiteres Gesicht haben werde. Nicht ganz zufällig ist „der Tobi“der „Journalist des Jahres“.
Nun entpuppen sich Ankündigungen zwar oft als Schall und Rauch, doch Namen sind Nachrichten. Pötzelsberger, der jugendlicher erscheint, als er es 36-jährig ist, wirkt als Ansage der Verjüngung. Im Alter des Publikums – im Schnitt 60 plus – liegt der einzige Reformbedarf der „ZiB 1“. Abgesehen von „Bundesland heute“ist sie mit über einer Million Zuschauern täglich die meistgesehene Sendung.
Doch neben dieser Stabilität um 19.30 Uhr hat die „ZiB 2“enorm zugelegt. Das liegt auch an einer Entwicklung ähnlich der von Printmedien. Je weniger Tageszeitungen die Erstverkünder von Nachrichten sind, desto mehr Elemente
bieten sie, die einst Magazinen vorbehalten schienen. Von der opulenten Bebilderung über die umfangreiche Reportage bis zum großen Interview – ein Kernstück der „ZiB 2“. Es ist keine gewagte Prognose, auch der „ZiB 1“eine magazinartigere Zukunft vorherzusagen.
Dafür hat ORF-General Alexander Wrabetz Verkündungstag wie Galionsfigur gut und den Veränderungszeitraum bestmöglich gewählt. Das Regierungsprogramm ist zwar unkonkret, doch an einem neuen ORF-Gesetz führt kein Weg vorbei. Es wird ehestens im Herbst spruchreif. Auch der Stiftungsrat nach der türkis-blauen Koalition muss sich erst konstituieren. Er wird dann fast absolut von ÖVP-Entsandten dominiert. Wrabetz nutzt dieses medienpolitische Quasi-Interregnum, um Tatsachen zu schaffen. Eine publikumswirksame Reform der „ZiB 1“wäre sein stärkster Rückenwind.
Dadurch ist zu befürchten, dass der grundsätzlichere Reformauftrag in den Hintergrund gerät. Im Koalitionspapier steht, dass ein „besonderer Schwerpunkt auf regionale Vielfalt gelegt werden soll“. Diese Notwendigkeit unterstreicht soeben der „Journalismus-Report“aus dem Medienhaus Wien. Demnach leben 56 Prozent der Journalisten in der Hauptstadt. Dieses Übermaß zeichnet letztlich ein Zerrbild der Republik. Denn der Standpunkt entscheidet über den Blickwinkel. Das ist angesichts der wachsenden Entfremdung von Stadt und Land eine gesellschaftlich gefährliche Entwicklung. Nach den Bundesländer-Zeitungen ruht im ORF als größtem Medienhaus das schwerste Gegengewicht zu einer nationalen Schieflage. Dazu muss er aber das Verhältnis seiner Zentrale zu den Filialen neu austarieren. Die Landesstudios brauchen mehr Programmplatz, mehr Ressourcen und mehr Kompetenz.