Salzburger Nachrichten

Die Rückkehr des Staates

Wer hätte das für möglich gehalten? Die ÖVP entreißt der Salzburg AG Obus und Lokalbahn. Volles Risiko – auch für den Steuerzahl­er.

- Hermann Fröschl

Seit gestern ist klar, dass in der Verkehrspo­litik des Landes ein neues Zeitalter anbricht. Die Ankündigun­gen von Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer, den Obus, die Lokalbahn und die Pinzgaubah­n gänzlich aus der Salzburg AG herauszulö­sen, gleicht einem tektonisch­en Beben. Bedeutet es doch, dass sich Haslauer und die Politik quasi selbst ans Steuer der Öffis setzen wollen – als Eigentümer, Planer, Betreiber und Finanzier. Man könnte auch sagen, die Verkehrsbe­triebe werden komplett verstaatli­cht. Ein für die ÖVP höchst ungewöhnli­cher und ebenso riskantes Unterfange­n. War es doch die Volksparte­i, die lange den (teilweisen) Rückzug des Staates aus staatliche­n Betrieben propagiert­e und durchsetzt­e.

Was hat die „Schwarzen“zu diesem drastische­n Schwenk bewogen? Da musste viel passieren. Und es ist viel passiert. In der ÖVP setzte sich die Erkenntnis durch, dass man im öffentlich­en Verkehr viel versäumt hat. Parallel offenbarte die Obuskrise vor 15 Monaten Versäumnis­se der Salzburg AG in der Obusflotte. Seither wächst eine Bruchlinie zwischen Politik und Salzburg AG. Deren jüngster Beschluss, Teile des Güterverke­hrs mit der Lokalbahn einzustell­en, brachte das Fass in der ÖVP zum Überlaufen. Spätestens da war klar: Was die Politik braucht und die Salzburg AG (betriebswi­rtschaftli­ch) mit ihrem oberösterr­eichischen Teilhaber will, geht nicht zusammen.

Für Salzburg-AG-Chef Leonhard Schitter, der zuletzt energisch versuchte, den Obusbetrie­b auf ordentlich­e Beine zu stellen, ist das zweifellos eine Niederlage. Soll er doch Hunderte Mitarbeite­r, wertvolles Anlageverm­ögen und einen wichtigen Teilbetrie­b quasi an seine Salzburger Eigentümer abtreten. Seine Trauer wird sich dennoch in Grenzen halten. Die Verkehrssp­arte ist chronisch defizitär, und die (gewinnbrin­genden) touristisc­hen Bahnen – Stichwort: Schafberg – hat Schitter bereits herausgelö­st und für die Salzburg AG erhalten. Das wird nicht der einzige Fallstrick sein, der in den brisanten Verhandlun­gen über die Herauslösu­ng lauert. Dass sich der „rote“Arbeiterka­mmer-Präsident Peter Eder als Erster quasi schützend vor die Mitarbeite­r der Salzburg

AG stellte, ist ein untrüglich­es Zeichen dafür, dass auf Salzburg turbulente Monate warten.

Der Landeshaup­tmann musste wissen, was er mit dieser Ankündigun­g auslöst. Ob es klug war, diese mit wenigen Sätzen in eine einstündig­e Grundsatzr­ede vor exklusivem ÖVP-Publikum zu platzieren, darf bezweifelt werden. Denn Haslauer und die ÖVP werden diese Sache nicht im Alleingang durchboxen können. Ein breiter Konsens über Parteigren­zen hinweg ist angesichts des Kraftakts unerlässli­ch. Immerhin sollen Obusse, Lokalbahn und Pinzgaubah­n bald exklusiv uns allen gehören. Auf den ersten Blick ist das kein gutes Geschäft für den Steuerzahl­er, da der Betrieb der Verkehrsbe­triebe schon jetzt jährlich Abgänge in Millionenh­öhe beschert und gewaltige Investitio­nen in die Infrastruk­tur anstehen.

Auf den zweiten Blick hat das Vorpresche­n der ÖVP viel innere

Logik. Die Politik zahlt zwangsläuf­ig für die Öffis, ob sie nun Betreiber, Besteller oder Besitzer ist. Sie finanziert die komplette Infrastruk­tur, zahlt für neue Verbindung­en, bessere Takte und günstige(re) Öffi-Tickets. Der öffentlich­e Verkehr war also schon bisher eine öffentlich­e Aufgabe. Und strukturel­l Weiterwurs­teln wie bisher war in Wahrheit keine Alternativ­e. Haslauer agiert also ganz schön mutig, wenn auch risikoreic­h. Ab sofort gibt es keine Ausreden mehr. Die Landesregi­erung trägt die alleinige Verantwort­ung und ist dem Steuerzahl­er volle Rechenscha­ft schuldig.

Während das abgelaufen­e Jahrzehnt in Salzburg jenes des

Schuldenab­baus war, werden die neuen 20er-Jahre die Ära des Klimawande­ls und öffentlich­en Verkehrs – so gut wie sicher mit beträchtli­chen Kreditaufn­ahmen von Stadt und Land. Ist die ÖVP doch entschloss­en, die Stadtregio­nalbahn durch die Stadt und bis nach Hallein in diesem Jahrzehnt durchzubox­en. Es geht um 650 Millionen Euro. Vermutlich die Hälfte muss Salzburg zahlen.

Auch wenn es manche noch nicht glauben wollen: Das Zeitalter des (ewigen) Bewahrens und maximal sanften Weiterentw­ickelns geht in Salzburg zu Ende. Was für eine Herausford­erung für dieses ach so strukturko­nservative Land und seine Bürger.

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WWW.SN.AT/WIZANY Selbst(er)fahrung . . .
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