Zugedröhnt
Der Mensch sucht den Rausch. Vor hundert Jahren verboten die USA ihren Bürgern, Alkohol zu trinken. Heute wackelt vielerorts das Verbot von Marihuana. Dafür wird Tabakrauchen zum Stigma. Der Wunsch, sich zu berauschen, ist wohl so alt wie der Sexualtrieb
Die Fronten waren verhärtet: Hier die bierfreudigen „Schurken und Raufbolde“, dort die enthaltsamen „Wassersäufer“.
Zwischen den Freunden des Alkohols und dessen Gegnern tobte in den Vereinigten Staaten das ganze 19. Jahrhundert hindurch ein heftiger Streit um die Frage, ob Alkohol nun ein Segen sei oder ein Fluch.
Es sei der Alkohol, der Streit in den Familien auslöse und „unsere Gefängnisse mit irischen Missetätern füllt und die Galgen mit katholischen Mördern bestückt“, schrieb die einflussreiche „New York Tribune“. Vor allem die Iren und die Deutschen galten als Säufer. Und deren Zahl stieg mit der Massenzuwanderung aus Europa von Jahr zu Jahr. Und die Einwanderer brachten das Bier mit, das in den Augen konservativer, evangelikaler Amerikaner Teufelszeug war. Denn Alkohol galt als die Hauptursache von Gewalt, Misshandlung von Frauen, Prostitution und Verbrechen.
Die Zuwanderer wehrten sich. In ihren Zeitungen wetterten Deutschamerikaner gegen Alkoholverbote. Es existiere nun einmal das Bedürfnis nach „Stärkung und Anregung durch geistige Getränke“, schrieb eine Zeitung aus La Crosse in Wisconsin. Und ein deutsches Blatt aus Milwaukee warf den Anhängern der alkoholfeindlichen Temperenzbewegung vor, mit ihnen sei „kein vernünftiges Auskommen“zu finden. „Die deutsche Sonntagsfeier war und ist heute noch ein Verbrechen in ihren Augen und gehenkt sollten, nach ihrer Satzung, jeder Mann, jedes Weib und jedes Kind werden, die es wagen, am Sonntag in den schönen Gauen der Natur unter Gesinnungsgenossen und Freunden nach frischer Luft schnappen zu wollen.“
Seit den 1820er-Jahren hatten die „Temperenzler“Stimmung gegen den Alkohol gemacht und totale Abstinenz gepredigt. Aber erst vor hundert Jahren, nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem sich der ganze Zorn der Amerikaner gegen Deutschland und damit auch gegen die Deutschamerikaner gerichtet hatte, trat die Prohibition in Kraft: Ab 1920 waren Produktion und Verkauf von Alkohol untersagt. Bier und Hochprozentiges wurden jedoch weiter heimlich in den „Flüsterkneipen“getrunken. Das Geschäft machte von nun an die Mafia.
Das Bemühen, den Alkohol aus der Gesellschaft zu verbannen, war letztlich ein vergebliches. Nach 13 Jahren wurde die Prohibition im Jahr 1933 wieder aufgegeben.
Es war nicht das erste Mal, dass die Obrigkeit Maßnahmen gegen den Alkoholkonsum setzte – und damit scheiterte. Denn das Bedürfnis, die Sinne zu trüben und sich zu berauschen, emotionale Höhenflüge zu erleben und seelische wie körperliche Schmerzen zu stillen, ist so alt wie die Menschheit und anscheinend unstillbar. Wobei auf jeden Höhenflug im Rausch die Ernüchterung folgt, die Euphorie weicht der Niedergeschlagenheit, dem Kater, wenn nicht gar eine Sucht daraus wird.
Dass Menschen den Rausch suchten, sei ein „anthropologisches Grundmuster“, sagt der Kulturanthropologe Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. „Es liegt in der Natur des Menschen, dass er psychotrope Substanzen sucht, um seinen Gemütszustand zu verändern, um Angst und Schmerz zu überwinden und die Stimmung zu verbessern.“
Und nicht einmal auf den Homo sapiens beschränkt sich die Drogenlust: Sie ist vielleicht Hunderttausende Jahre älter als die menschliche Spezies. Denn auch Tiere wurden immer wieder beim absichtlichen Einnehmen von Rauschmitteln beobachtet. Ziegen etwa, die in Äthiopien gern die kirschartigen Früchte der Kaffeestaude knabbern – und danach aufgeweckt sind wie nie zuvor. Oder Lemuren, die sich mit einem Tausendfüßlergift einreiben und danach in Trance verfallen. Leoparden im Amazonasgebiet wurden wiederholt beobachtet, wie sie an einer Lianenart kiefelten und danach die Kontrolle über ihre Grobmotorik verloren. Die Pflanze wird übrigens heute auch von Menschen für die Drogenherstellung verwendet. Der WHOExperte Ronald Siegel berichtet von Bienen, die am Nektar gewisser Orchideen „high“werden, von abschmierenden Vögeln im Beerenrausch, von Menschenaffen, die Pilze essen und danach völlig weggetreten sind.
Die Beispiele sind so zahlreich, dass es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis Menschen das eigenwillige Verhalten ihrer Mitgeschöpfe beobachteten – und auch gern „auf der Welle mitsurfen“wollten. Schon rund 10.000 Jahre vor Christus nutzten denn auch die Menschen die berauschende Wirkung von Fliegenpilzen. In der Antike verwendete man Schlafmohn und Opium, in Mesopotamien und im alten Ägypten wurde Bier gebraut. Reste von Haschisch, Kokain und Nikotin fanden sich bereits in Gewebeproben ägyptischer Mumien ab 1100 vor Christus.
Im Alten Testament fordert das Buch Kohelet dazu auf, das Leben in jeder Hinsicht zu genießen: „Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel.“Jesus persönlich hat, so erzählt es uns die Bibel, auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt. Und noch beim letzten Abendmahl nimmt er den Kelch, spricht das Dankgebet und sagt: „Nehmt den Wein und verteilt ihn untereinander!“
Das wichtigste Rauschmittel war lange Zeit Opium, das aus dem Milchsaft der unreifen Schlafmohnkapseln hergestellt wird. Angewendet wurde es vor allem in der Medizin. Wobei der Import in der Antike teuer war. „Landbevölkerung, städtische Unterschichten und Sklaven, also über 90 Prozent der Gesamtbevölkerung, waren vom Opiumkonsum prinzipiell ausgeschlossen“, betont Hirschfelder.
Leichter erhältlich war der Alkohol. Wobei Wein bei den alten Griechen und Römern auch eher den Mittel- und Oberschichten vorbehalten gewesen sei, sagt Hirschfelder. Auch sei dessen Verfügbarkeit von der Konjunktur abhängig gewesen.
Das europäische Mittelalter kannte verschiedene Arten des Rausches auch abseits von Wein und Bier. Einmal den unabsichtlichen – denn allein die zahlreichen Ernährungskrisen führten immer wieder zu Massenpsychosen, die Historiker als „Hungerwahn“bezeichnen. Dazu kamen verdorbene oder irrtümlich vergorene Speisen und Getränke, die wahnhafte Räusche verursachen konnten. Andererseits experimentierte man auch gezielt mit psychoaktiven Substanzen. Die Herrscher, vor allem aber die Kirche, sah darin ein Teufelswerk: Wer „dealte“oder „high“herumtorkelte, konnte leicht mit dem Teufel und seinem Werk in Verbindung gebracht werden, mit allen potenziell tödlichen Folgen.
Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts kamen dann vor allem in Großbritannien, das den Opiumhandel forcierte, auch die Unterschichten in den „Genuss“von Opiaten. Kleinkinder wurden damit ruhiggestellt. Opium war auch ein Produkt des Krieges, weil verwundete Soldaten damit behandelt und so süchtig wurden; in der Heimat gierten sie weiter nach dem Morphin.
Romantisiert wurde der Rausch von Künstlern und Literaten des 19. Jahrhunderts: Er sollte die Grenzen des Bewusstseins erweitern, die Seele von den Fesseln des Körpers befreien – oder einfach nächtelanges Durchschreiben oder Malen ermöglichen. Das berichtet etwa Sabine Anagnostou, Pharmazie-Historikerin in Marburg. Unter Intellektuellen war die Berauschung mithilfe von Opium, Heroin oder Kokain en vogue, Honoré de Balzac und Victor Hugo hätten mit Haschisch hantiert, Lyriker Charles Baudelaire kiffte und paffte Opium, soff Alkohol und Absinth. Letzterer schmeckte auch Henri de Toulouse-Lautrec und Ernest Hemingway in gröberen Men
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er psychotrope Substanzen sucht, um die Stimmung zu verbessern.
Gunther Hirschfelder
Kulturanthropologe Ein intelligenter Mann ist manchmal dazu gezwungen, betrunken zu sein, um Zeit mit Idioten zu verbringen.
Ernest Hemingway
Literat und Säufer
gen. Georg Trakl starb an einer Überdosis Kokain. Und was die Rock-Ikonen der Nachkriegszeit von Mick Jagger abwärts sich alles hineingezogen haben, könnte wohl ganze Chemie-Nachschlagewerke füllen. Unter Hippies setzte sich währenddessen LSD durch, unter den Yuppies der 80er-Jahre war Kokain die Droge der Wahl – ehe sich Chemo-Drogen wie Crystal Meth, Crack oder die Partypille Ecstasy auf dem Drogenmarkt der Postmoderne ausbreiteten.
All das Genannte bekämpften die Regierungen mit ebensolcher Inbrunst wie Erfolglosigkeit. Generell scheint aber zu gelten: Verboten und erlaubt ist, was die gerade Herrschenden für würdig und recht erachten. So formuliert es der Experte für Suchtmittelrecht Martin Feigl in seiner Dissertation: Es beruhe die Grenzziehung legal und illegal mehr „auf gesetzgeberischen bzw. politischen Motiven als auf wissenschaftlichen Erwägungen“.
Immer wieder machten sich die Mächtigen daher Drogen zunutze, um ihre Interessen durchzusetzen. Das beschränkt sich nicht darauf, dass Wein und Bier schon in der Antike zum Soldatensold gehörten. Oder auf das Orakel von Delphi, das oft die große Politik bestimmte und wo Erdgase vermutlich die Sinne der Priesterinnen verwirrten. Vielmehr galt und gilt: Diente ein Suchtmittel dem Staat oder seinem Finanzminister, war es oft genug genehm.
Der Tabakanbau wurde von der britischen Krone selbstverständlich in den nordamerikanischen Kolonien gefördert; war er doch zunächst das einzige lukrative Geschäft in Neuengland. In unserer Heimat war die Österreichische Tabakregie seit 1784 und bis 2001 selbst an der Suchtmittelproduktion beteiligt. Und wie das British Empire in mehreren Opiumkriegen die chinesischen Kaiser zur Marktöffnung für „harten Stoff“zwang, das ist eines der dunkelsten Kapitel der englischen Geschichte.
Auch die deutsche Wehrmacht stand auf ihren Eroberungsfeldzügen oft unter Drogen: Man gab den Stoßtruppen ein Mittel namens Pervitin, damit diese tagelang durchkämpfen konnten. Es handelte sich um ein Methamphetamin, das heute als Crystal Meth berüchtigt ist.
Meist war der Rausch übrigens Männersache. Doch zuzeiten tranken auch Frauen. Im Köln des 16. Jahrhunderts etwa war es nichts Ungewöhnliches, dass eine Frau allein „saufen“ging. So berichtete ein Wirt anno 1528, dass ein „Weib“13 Pinten (vier Liter) Wein getrunken habe und nur zwölf Pinten bezahlen wollte. Sie hatte dafür auch eine Erklärung parat: In ihrem Leibe hätten nicht mehr als zwölf Pinten Platz.