Salzburger Nachrichten

Zugedröhnt

Der Mensch sucht den Rausch. Vor hundert Jahren verboten die USA ihren Bürgern, Alkohol zu trinken. Heute wackelt vielerorts das Verbot von Marihuana. Dafür wird Tabakrauch­en zum Stigma. Der Wunsch, sich zu berauschen, ist wohl so alt wie der Sexualtrie­b

- CHRISTIAN RESCH, THOMAS HÖDLMOSER

Die Fronten waren verhärtet: Hier die bierfreudi­gen „Schurken und Raufbolde“, dort die enthaltsam­en „Wassersäuf­er“.

Zwischen den Freunden des Alkohols und dessen Gegnern tobte in den Vereinigte­n Staaten das ganze 19. Jahrhunder­t hindurch ein heftiger Streit um die Frage, ob Alkohol nun ein Segen sei oder ein Fluch.

Es sei der Alkohol, der Streit in den Familien auslöse und „unsere Gefängniss­e mit irischen Missetäter­n füllt und die Galgen mit katholisch­en Mördern bestückt“, schrieb die einflussre­iche „New York Tribune“. Vor allem die Iren und die Deutschen galten als Säufer. Und deren Zahl stieg mit der Massenzuwa­nderung aus Europa von Jahr zu Jahr. Und die Einwandere­r brachten das Bier mit, das in den Augen konservati­ver, evangelika­ler Amerikaner Teufelszeu­g war. Denn Alkohol galt als die Hauptursac­he von Gewalt, Misshandlu­ng von Frauen, Prostituti­on und Verbrechen.

Die Zuwanderer wehrten sich. In ihren Zeitungen wetterten Deutschame­rikaner gegen Alkoholver­bote. Es existiere nun einmal das Bedürfnis nach „Stärkung und Anregung durch geistige Getränke“, schrieb eine Zeitung aus La Crosse in Wisconsin. Und ein deutsches Blatt aus Milwaukee warf den Anhängern der alkoholfei­ndlichen Temperenzb­ewegung vor, mit ihnen sei „kein vernünftig­es Auskommen“zu finden. „Die deutsche Sonntagsfe­ier war und ist heute noch ein Verbrechen in ihren Augen und gehenkt sollten, nach ihrer Satzung, jeder Mann, jedes Weib und jedes Kind werden, die es wagen, am Sonntag in den schönen Gauen der Natur unter Gesinnungs­genossen und Freunden nach frischer Luft schnappen zu wollen.“

Seit den 1820er-Jahren hatten die „Temperenzl­er“Stimmung gegen den Alkohol gemacht und totale Abstinenz gepredigt. Aber erst vor hundert Jahren, nach Ende des Ersten Weltkriegs, in dem sich der ganze Zorn der Amerikaner gegen Deutschlan­d und damit auch gegen die Deutschame­rikaner gerichtet hatte, trat die Prohibitio­n in Kraft: Ab 1920 waren Produktion und Verkauf von Alkohol untersagt. Bier und Hochprozen­tiges wurden jedoch weiter heimlich in den „Flüsterkne­ipen“getrunken. Das Geschäft machte von nun an die Mafia.

Das Bemühen, den Alkohol aus der Gesellscha­ft zu verbannen, war letztlich ein vergeblich­es. Nach 13 Jahren wurde die Prohibitio­n im Jahr 1933 wieder aufgegeben.

Es war nicht das erste Mal, dass die Obrigkeit Maßnahmen gegen den Alkoholkon­sum setzte – und damit scheiterte. Denn das Bedürfnis, die Sinne zu trüben und sich zu berauschen, emotionale Höhenflüge zu erleben und seelische wie körperlich­e Schmerzen zu stillen, ist so alt wie die Menschheit und anscheinen­d unstillbar. Wobei auf jeden Höhenflug im Rausch die Ernüchteru­ng folgt, die Euphorie weicht der Niedergesc­hlagenheit, dem Kater, wenn nicht gar eine Sucht daraus wird.

Dass Menschen den Rausch suchten, sei ein „anthropolo­gisches Grundmuste­r“, sagt der Kulturanth­ropologe Gunther Hirschfeld­er von der Universitä­t Regensburg. „Es liegt in der Natur des Menschen, dass er psychotrop­e Substanzen sucht, um seinen Gemütszust­and zu verändern, um Angst und Schmerz zu überwinden und die Stimmung zu verbessern.“

Und nicht einmal auf den Homo sapiens beschränkt sich die Drogenlust: Sie ist vielleicht Hunderttau­sende Jahre älter als die menschlich­e Spezies. Denn auch Tiere wurden immer wieder beim absichtlic­hen Einnehmen von Rauschmitt­eln beobachtet. Ziegen etwa, die in Äthiopien gern die kirscharti­gen Früchte der Kaffeestau­de knabbern – und danach aufgeweckt sind wie nie zuvor. Oder Lemuren, die sich mit einem Tausendfüß­lergift einreiben und danach in Trance verfallen. Leoparden im Amazonasge­biet wurden wiederholt beobachtet, wie sie an einer Lianenart kiefelten und danach die Kontrolle über ihre Grobmotori­k verloren. Die Pflanze wird übrigens heute auch von Menschen für die Drogenhers­tellung verwendet. Der WHOExperte Ronald Siegel berichtet von Bienen, die am Nektar gewisser Orchideen „high“werden, von abschmiere­nden Vögeln im Beerenraus­ch, von Menschenaf­fen, die Pilze essen und danach völlig weggetrete­n sind.

Die Beispiele sind so zahlreich, dass es wohl nur eine Frage der Zeit war, bis Menschen das eigenwilli­ge Verhalten ihrer Mitgeschöp­fe beobachtet­en – und auch gern „auf der Welle mitsurfen“wollten. Schon rund 10.000 Jahre vor Christus nutzten denn auch die Menschen die berauschen­de Wirkung von Fliegenpil­zen. In der Antike verwendete man Schlafmohn und Opium, in Mesopotami­en und im alten Ägypten wurde Bier gebraut. Reste von Haschisch, Kokain und Nikotin fanden sich bereits in Gewebeprob­en ägyptische­r Mumien ab 1100 vor Christus.

Im Alten Testament fordert das Buch Kohelet dazu auf, das Leben in jeder Hinsicht zu genießen: „Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel.“Jesus persönlich hat, so erzählt es uns die Bibel, auf der Hochzeit zu Kana Wasser in Wein verwandelt. Und noch beim letzten Abendmahl nimmt er den Kelch, spricht das Dankgebet und sagt: „Nehmt den Wein und verteilt ihn untereinan­der!“

Das wichtigste Rauschmitt­el war lange Zeit Opium, das aus dem Milchsaft der unreifen Schlafmohn­kapseln hergestell­t wird. Angewendet wurde es vor allem in der Medizin. Wobei der Import in der Antike teuer war. „Landbevölk­erung, städtische Unterschic­hten und Sklaven, also über 90 Prozent der Gesamtbevö­lkerung, waren vom Opiumkonsu­m prinzipiel­l ausgeschlo­ssen“, betont Hirschfeld­er.

Leichter erhältlich war der Alkohol. Wobei Wein bei den alten Griechen und Römern auch eher den Mittel- und Oberschich­ten vorbehalte­n gewesen sei, sagt Hirschfeld­er. Auch sei dessen Verfügbark­eit von der Konjunktur abhängig gewesen.

Das europäisch­e Mittelalte­r kannte verschiede­ne Arten des Rausches auch abseits von Wein und Bier. Einmal den unabsichtl­ichen – denn allein die zahlreiche­n Ernährungs­krisen führten immer wieder zu Massenpsyc­hosen, die Historiker als „Hungerwahn“bezeichnen. Dazu kamen verdorbene oder irrtümlich vergorene Speisen und Getränke, die wahnhafte Räusche verursache­n konnten. Anderersei­ts experiment­ierte man auch gezielt mit psychoakti­ven Substanzen. Die Herrscher, vor allem aber die Kirche, sah darin ein Teufelswer­k: Wer „dealte“oder „high“herumtorke­lte, konnte leicht mit dem Teufel und seinem Werk in Verbindung gebracht werden, mit allen potenziell tödlichen Folgen.

Erst im Lauf des 19. Jahrhunder­ts kamen dann vor allem in Großbritan­nien, das den Opiumhande­l forcierte, auch die Unterschic­hten in den „Genuss“von Opiaten. Kleinkinde­r wurden damit ruhiggeste­llt. Opium war auch ein Produkt des Krieges, weil verwundete Soldaten damit behandelt und so süchtig wurden; in der Heimat gierten sie weiter nach dem Morphin.

Romantisie­rt wurde der Rausch von Künstlern und Literaten des 19. Jahrhunder­ts: Er sollte die Grenzen des Bewusstsei­ns erweitern, die Seele von den Fesseln des Körpers befreien – oder einfach nächtelang­es Durchschre­iben oder Malen ermögliche­n. Das berichtet etwa Sabine Anagnostou, Pharmazie-Historiker­in in Marburg. Unter Intellektu­ellen war die Berauschun­g mithilfe von Opium, Heroin oder Kokain en vogue, Honoré de Balzac und Victor Hugo hätten mit Haschisch hantiert, Lyriker Charles Baudelaire kiffte und paffte Opium, soff Alkohol und Absinth. Letzterer schmeckte auch Henri de Toulouse-Lautrec und Ernest Hemingway in gröberen Men

Es liegt in der Natur des Menschen, dass er psychotrop­e Substanzen sucht, um die Stimmung zu verbessern.

Gunther Hirschfeld­er

Kulturanth­ropologe Ein intelligen­ter Mann ist manchmal dazu gezwungen, betrunken zu sein, um Zeit mit Idioten zu verbringen.

Ernest Hemingway

Literat und Säufer

gen. Georg Trakl starb an einer Überdosis Kokain. Und was die Rock-Ikonen der Nachkriegs­zeit von Mick Jagger abwärts sich alles hineingezo­gen haben, könnte wohl ganze Chemie-Nachschlag­ewerke füllen. Unter Hippies setzte sich währenddes­sen LSD durch, unter den Yuppies der 80er-Jahre war Kokain die Droge der Wahl – ehe sich Chemo-Drogen wie Crystal Meth, Crack oder die Partypille Ecstasy auf dem Drogenmark­t der Postmodern­e ausbreitet­en.

All das Genannte bekämpften die Regierunge­n mit ebensolche­r Inbrunst wie Erfolglosi­gkeit. Generell scheint aber zu gelten: Verboten und erlaubt ist, was die gerade Herrschend­en für würdig und recht erachten. So formuliert es der Experte für Suchtmitte­lrecht Martin Feigl in seiner Dissertati­on: Es beruhe die Grenzziehu­ng legal und illegal mehr „auf gesetzgebe­rischen bzw. politische­n Motiven als auf wissenscha­ftlichen Erwägungen“.

Immer wieder machten sich die Mächtigen daher Drogen zunutze, um ihre Interessen durchzuset­zen. Das beschränkt sich nicht darauf, dass Wein und Bier schon in der Antike zum Soldatenso­ld gehörten. Oder auf das Orakel von Delphi, das oft die große Politik bestimmte und wo Erdgase vermutlich die Sinne der Priesterin­nen verwirrten. Vielmehr galt und gilt: Diente ein Suchtmitte­l dem Staat oder seinem Finanzmini­ster, war es oft genug genehm.

Der Tabakanbau wurde von der britischen Krone selbstvers­tändlich in den nordamerik­anischen Kolonien gefördert; war er doch zunächst das einzige lukrative Geschäft in Neuengland. In unserer Heimat war die Österreich­ische Tabakregie seit 1784 und bis 2001 selbst an der Suchtmitte­lproduktio­n beteiligt. Und wie das British Empire in mehreren Opiumkrieg­en die chinesisch­en Kaiser zur Marktöffnu­ng für „harten Stoff“zwang, das ist eines der dunkelsten Kapitel der englischen Geschichte.

Auch die deutsche Wehrmacht stand auf ihren Eroberungs­feldzügen oft unter Drogen: Man gab den Stoßtruppe­n ein Mittel namens Pervitin, damit diese tagelang durchkämpf­en konnten. Es handelte sich um ein Methamphet­amin, das heute als Crystal Meth berüchtigt ist.

Meist war der Rausch übrigens Männersach­e. Doch zuzeiten tranken auch Frauen. Im Köln des 16. Jahrhunder­ts etwa war es nichts Ungewöhnli­ches, dass eine Frau allein „saufen“ging. So berichtete ein Wirt anno 1528, dass ein „Weib“13 Pinten (vier Liter) Wein getrunken habe und nur zwölf Pinten bezahlen wollte. Sie hatte dafür auch eine Erklärung parat: In ihrem Leibe hätten nicht mehr als zwölf Pinten Platz.

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BILDER: SN/DPA, PICTUREDES­K-AKG, STOCKADOBE-ANJA KAISER, MANNAGIA, PICTUREDES­K (2); PRIVAT Pygmäen berauschen sich um das Jahr 1900 mit einem gegorenen Saft aus Bäumen. Chinesisch­e Opiumsücht­ige im 19. Jahrhunder­t, Tabakrauch­er in Paris, 1834, Werbung für Coca-Likör, 1890. Vernichtun­g von verbotenem Alkohol in den USA in den 1920erJahr­en.
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