Kultur Eine digitale Schatztruhe der Frauen
Schub für digitale Bibliotheken. Mit „Ariadne“leistet die Österreichische Nationalbibliothek doppelte Pionierarbeit: Sammeln und Vernetzen.
Man staunt über das viele Vorhandene und zugleich über das viele Fehlende. So endet die Biografie von Paula Hons, einer mutigen österreichischen Journalistin, mit dem Satz: Nach dem Zweiten Weltkrieg „sind keine weiteren Lebensdaten bekannt“. Ihre Lebenszeit wird bloß mit 1890–? angegeben.
Beim Flanieren durch das, was sich hinter dem neuen Portal „Frauen in Bewegung“auftut, staunt man über die vielen Österreicherinnen wie Paula Hons, die in jahrzehntelanger Kleinarbeit gegen die Dominanz der Männer protestiert, agitiert, agiert und solidarische Hilfe geleistet haben: Sie haben Vorträge gehalten und Vereine gegründet – sei es für Gartenarbeit, Heimarbeit, Politik, Kunst oder Bildung. So setzte der 1888 gegründete Verein für erweiterte Frauenbildung unter seiner Präsidentin Marianne Hainisch das erste Mädchengymnasium in Österreich durch: 1892 wurde es eröffnet.
Viele Frauen haben Unrecht angeprangert und Hilfen organisiert. Sie haben Zeitungen und Zeitschriften gegründet, redigiert und abonniert – etwa „Die Unzufriedene“. Diese „unabhängige Wochenschrift für alle Frauen“hat Paula Hons ab 1927 fast zehn Jahre redaktionell gestaltet und darin 1932 zum Thema „Frau und Kirche“gar „Priester und Priesterinnen“gefordert.
Man staunt über Mut und Konsequenz so vieler Frauen – bisher sind es etwa 600 – aller politischen Couleurs. Deren Einsatz gegen Frauennöte und für Frauenrechte würdigt die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) im soeben freigeschalteten Webportal „Frauen in Bewegung 1848–1938“.
Nach dem Einstieg erscheint diese Datensammlung spröde: mit Listen von Namen von Frauen wie Vereinen und Kategorien wie „Online-Zugriff“, „Relationen“und „Erschienen in“. Wer sich davon nicht abhalten lässt, kann durch eine Welt von Mut, Verzweiflung und Idealismus tauchen und dabei in einer Zeitschrift wie „Die Unzufriedene“im Original-Layout lesen oder auf Fotos erkennen, dass Damen mit Hochsteckfrisuren, dekorierten Hüten und knöchellangen Glockenröcken zähe, revolutionsbereite Verfechterinnen von Gleichberechtigung waren.
Es gab vielfältige Vereine – wie der 1866 von Helene Hornbostel gegründete Wiener Frauen-Erwerb-Verein samt Weißnähschule oder der Bund Österreichischer Frauenvereine, dem Marianne Hainisch lange präsidierte und dessen Friedenskommission Bertha von Suttner leitete, oder der am 15. November 1900 von Margarete Jodl als Präsidentin eröffnete „Erste Wiener Frauenklub“(im Bild oben). All diese Vereine offenbaren, wie anders vor 100 oder 150 Jahren das Verständnis von politischer Bürgerpflicht gewesen ist: nicht nörgeln, fordern – aus Eigennutz oder zur Beseitigung der Probleme anderer – und alle paar Jahre einen Stimmzettel ankreuzen, sondern zupacken: Gleichgesinnte suchen, sich vereinen und gemeinsam eine Aufgabe angehen.
Auch der parteipolitische Einsatz von Frauen beeindruckt, noch dazu – wie Lydia Jammernegg von der ÖNB hervorhebt – war es Frauen ja bis 1918 verboten, sich politisch zu betätigen. Trotzdem haben sich in allen politischen Lagern Frauen engagiert. Nur die Sozialdemokratinnen seien bei Gründung der Republik in die Partei aufgenommen worden, berichtet Lydia Jammernegg. Also zogen sieben Sozialdemokratinnen 1920 in den Nationalrat, darunter Adelheid Popp. „Sie war die allererste Frau, die eine Rede im Hohen Haus hielt“, heißt es in ihrer Biografie in „Frauen in Bewegung“.
Die Christlichsozialen ließen nur eine Frau, nämlich Hildegard Burjan, in die Nationalversammlung, und das nur kurz. Die Bürgerlich-Liberalen haben Lydia Jammernegg zufolge die Frauen draußen gehalten; doch diese agitierten außerhalb des Parlaments weiter und gründeten 1929 sogar die Österreichische Frauenpartei.
Dass diese Bewegungen von Frauen für Frauen nun so reichhaltig dokumentiert sind, hat eine absichtliche und eine zufällige Ursache. Die Absicht war eine Folge der
Zweiten Frauenbewegung ab den 60er- und 70er-Jahren. So wie in der Bundesregierung 1979 ein Staatssekretariat und 1990 ein Frauenministerium mit Johanna Dohnal als erster Exponentin installiert wurden, wie Universitäten mit Frauenforschung begannen, so bekam die ÖNB die Abteilung „Ariadne“, die Christa Bittermann-Wille und Helga Hofmann-Weinberger aufbauten.
Erstes Anliegen von „Ariadne“sei gewesen, Frauen im Bibliothekswesen sichtbar zu machen und eine Frauendokumentationsstelle einzurichten, erläutert Lydia Jammernegg, nun für „Ariadne“zuständig. Damals sei begonnen worden, eine frauenund genderspezifische Sammlung zu legen, Nachlässe zu sammeln und den Bestand der ÖNB in Bezug auf Frauen aufzubereiten.
Dass die Digitalisierung für „Ariadne“einen epochalen Schub brachte, war eigentlich ein Zufall. Während ab 2011 Seite für Seite von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern
auf Scanner gelegt wurde, sodass seither rund 600.000 urheberrechtsfreie Werke mit 200 Millionen Seiten digitalisiert wurden, verlagerten die drei Mitarbeiter von „Ariadne“still und konsequent ihre Arbeit ins Digitale, verknüpften, verlinkten, gaben diese oder jene Spezialliteratur zum Einscannen und leisteten damit eine Pionierarbeit in einer digitalisierten Bibliothek. Mittlerweile ist klar geworden, dass eine unbearbeitete digitale Sammlung so wenig nützt wie eine unsortiert deponierte Bildersammlung. So wie ein gutes Museum aus seiner Sammlung stets neue Ausstellungen zu jeweils neuen Themen kuratiert, so brauchen Millionen von digitalen Dokumenten das, wofür „Ariadne“die Grundlage aufbereitet hat: sinnhafte Vernetzungen.
Diese nach Themen zusammengefassten Vernetzungen ergeben Plattformen – zu finden auf der Website der Nationalbibliothek unter „Forschung/Ariadne“. Die unlängst freigeschaltene Plattform „Frauen in Bewegung“ist die zweite – nach „Frauen wählet!“über 100 Jahre Frauenwahlrecht. Während „Frauen wählet!“noch so etwas wie eine mit Text angereicherte digitale Ausstellung ist, führt „Frauen in Bewegung“erstmals ins Herz der Nationalbibliothek: in den Volltext alter Bücher, Zeitungen und Zeitschriften sowie zu alten Fotos – der Monarchie ebenso wie der Ersten Republik. Damit verbindet „Ariadne“verschiedene Sammlungen der ÖNB wie ein One-Stop-Shop.
So ist der Weg frei zum Schmökern, zum Herumklicken und zum Surfen. Dies ermöglicht neues wissenschaftliches Arbeiten. Typische Nutzer eines solchen Portals seien Schüler, Studenten und Forscher, berichtet Lydia Jammernegg. Und zu erforschen gebe es viel: So sei von Olga Misař, Gründerin des österreichischen Zweigs der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, kaum mehr bekannt als eine Biografie.
Das Portal „Frauen in Bewegung“sei erst der Anfang, sagt Lydia Jammernegg. „Die ÖNB hat unheimliche Schätze.“Allerdings sei es wegen des Urheberrechts zu schwierig, sich der Gegenwart anzunähern. Dafür gebe es Ideen für ein „Digitales Frauenlesezimmer“mit Texten von Frauen seit 1500.
Die Rechte haben die Frau zu einer verantwortungsvollen Staatsbürgerin gemacht. Marianne Hainisch Begründerin der Frauenbewegung in Österreich