Wirtschaft Ein Karterl, das die Welt eroberte
Dinieren auf Pump. Vor 70 Jahren wurde die erste Kreditkarte der Welt präsentiert. Die Folge war eine Revolution.
NNach dem Geschäftsessen im noblen Steakhouse Major’s Cabin Grill in Manhattan muss Frank X. McNamara feststellen, dass er seine Brieftasche vergessen hat. Nach kurzer Rücksprache mit dem Restaurantmanager hinterlässt er als Garantie auf einem Stück Karton eine Art signierten Schuldschein. Zu Hause angekommen, schwört sich McNamara, nie wieder in eine derartig peinliche Situation kommen zu wollen und erfindet – die Kreditkarte.
Ob sich die bis heute in der offiziellen Diners-Firmenhistorie als Gründungsmythos „First Supper“gepflegte Geschichte tatsächlich so zugetragen hat, bleibt fraglich. Tatsächlich soll McNamara der Geistesblitz ganz unspektakulär am Schreibtisch gekommen sein. Jedenfalls: Gemeinsam mit seinem Rechtsanwalt Ralph Schneider und einem Kapital von 1,5 Millionen Dollar gründete er die erste Kreditkartengesellschaft, den „Diners Club International“.
Weil McNamaras PR-Mann Matty Simmons gute Kontakte zur New Yorker Gastronomieszene pflegte, holten sie ihn mit ins Boot. Später stieg er bis zum Vizepräsidenten auf. „Die Idee ist ideal für Geschäftsleute, die häufig essen gehen“, sagte McNamara, „sie bezahlen nur ein Mal im Monat mit einem Scheck und müssen nicht viel Bargeld bei sich haben.“Die ersten Karten bestanden noch aus einem Stück brauner Pappe. Zum Start konnten 200 Mitglieder in 27 Restaurants ihre Rechnungen bargeldlos begleichen. Ende 1950 gab es bereits rund 20.000 Nutzer und im März 1951 hatte der „Diners Club“42.000 Mitglieder.
Der Jahresbeitrag für den elitären Speisezirkel betrug fünf Dollar. Haupteinnahmequelle war allerdings die siebenprozentige Gebühr, die den Händlern bei jeder Transaktion in Rechnung gestellt wurde. Den Durchbruch brachte dann 1952 der öffentlichkeitswirksame Firmeneinstieg des Millionärs Alfred Bloomingdale (Enkel des Kaufhausgründers von „Bloomingdale’s“), der mit seiner Reputation viele neue Mitglieder und Akzeptanzstellen anlockte. Bald konnte überall in den USA neben Restaurants auch in Bars, Hotels und vielen Geschäften mit Karte bezahlt werden.
Der Diners Club verbuchte Ende 1952 satte sechs Millionen Dollar Jahresumsatz.
Dennoch glaubte McNamara nicht an einen langfristigen Erfolg und verkaufte seine Geschäftsanteile für 200.000 Dollar an Bloomingdale. Der Kaufhauserbe wurde Firmenpräsident und stand für die neue Geschäftsidee: Statt individueller Kredite der einzelnen Geschäfte bot Diners seinen Kunden Kredit in verschiedenen Geschäften und übernahm monatlich die Zahlungsabwicklung. 1955 erstreckte sich Diners’ FranchiseNetz nicht nur über ganz Amerika, sondern es verfügte auch in mehreren europäischen und asiatischen Ländern über Akzeptanzstellen. In Österreich gab es die Diners Club Karte ab 1962.
Andere Kartenanbieter wie American Express, die Bank of America (Americard) und die Chase Manhattan Bank (Bank Charge Card) kopierten Ende der 1950er-Jahre McNamaras Erfolgsidee. Dabei eroberten Americard – 1977 in Visa Card umbenannt – und Bank Charge Card den Markt mit einem noch breiter angelegten Konzept. Während die Karten von Diners Club und American Express Abbuchungskarten waren, die ein Mal monatlich vollständig bezahlt werden mussten, bot die Americard die Rückzahlung auch flexibel über einen längeren Zeitraum an – eine bis heute vor allem in den USA gängige Praxis. Das war die Geburtsstunde der im Wortsinn „echten“Kreditkarte.
Jedoch wollte oder konnte jeder vierte Karteninhaber sein Konto nicht ausgleichen und die Bank machte Millionenverluste. Trotzdem war die Entwicklung nicht mehr aufzuhalten, schnell gehörten die nun aus Plastik hergestellten Kreditkarten zum modernen Lebensstil. Im August 1966 brachte das Bankenkonsortium Interbank Card Association (ICA) ebenfalls eine Kreditkarte heraus, die 1979 in MasterCard umbenannt wurde. Pannen bei der Erstausgabe (wie der Kartenversand an Verstorbene oder sogar an Hunde) bescherten der Bankengruppe rund 25 Millionen Dollar Schaden.
1968 wurde durch ein Kooperationsabkommen mit Eurocard International, einer Gesellschaft europäischer Banken, die Kartenausgabe und -akzeptanz in Europa sichergestellt. 1987 gelangten die Karten bis nach China, im Jahr darauf in die Sowjetunion. Die von der Konkurrenz längst überholte Urkarte von Diners wurde 1970 vom Finanzkonzern Continental aufgekauft, seit 2008 gehört sie dem Zahlungsdienstleister Discover Financial Services. Bekannt sind bis heute die exklusiven Airport-Lounges auf der ganzen Welt. Karl Kainzner, CEO von Diners Club Österreich, setzt auf zahlungskräftige Kundschaft: „Diners Club steht für Reisen, Exklusivität und Individualität. Optimaler Service und innovative Angebote machen den feinen Unterschied.“
In Österreich ist die Anzahl aller Kreditkarten von 2,17 Millionen im Jahr 2005 auf 3,57 Millionen Stück im Jahr 2018 angestiegen (siehe Grafik). Der durchschnittliche
Betrag pro Transaktion nahm in den letzten Jahren jedoch immer weiter ab. Die meisten nutzen die Kreditkarte im Ausland, ansonsten bezahlen sie weiterhin gerne bar oder nehmen eine Debitkarte, bei uns meist Bankomatkarte genannt. Sie belastet das Konto des Inhabers nach Bezahlung sofort. Weil dabei kaum Gebühren anfallen, freuen sich Händler über das für sie günstige Zahlungsmittel. In Österreich waren Ende 2018 rund zehn Millionen Debitkarten im Umlauf.
Doch die Österreicher lieben vor allem ihr Bargeld. In kaum einem anderen Land wird so gerne mit Münzen und Scheinen bezahlt wie bei uns. Laut einer internationalen Studie der ING-Bank in 13 Ländern aus dem vergangenen Jahr könnte nur jeder zehnte Österreicher einer bargeldlosen Zukunft etwas abgewinnen.
Für den Einsatz von Bargeld spricht, dass durch die Anonymität die Privatsphäre gewahrt bleibt, es ist zinslos und ein Grund, warum die Notenbanken mit ihren Leitzinsen nicht beliebig weit in den negativen Bereich gehen können. Anders als Buchgeld bei Banken bietet es außerdem einen Insolvenzschutz. Argumente gegen Scheine und Münzen sind höhere Kosten für Geschäfte wegen des Wechselgeldes und der Einzahlung bei Banken – sowie keine Sicherheit bei Verlust oder Diebstahl. Und die Anonymität können Kriminelle zur Steuerhinterziehung und für illegale Geschäfte nutzen.
Und wie sieht die Zukunft aus? Seit einigen Jahren sind bekanntlich neue Bezahlformen auf dem Vormarsch. In Skandinavien, den angelsächsischen Staaten oder den Schwellenländern wächst das bargeldlose Zahlen rasant. Selbst kleine Beträge werden dort mit Karte oder mobil per Smartphone bezahlt. Mit dem Nahfunkverfahren NFC (Near Field Communication) ausgerüstet, ermöglichen sie das kontaktlose Zahlen „im Vorbeigehen“.
Schweden will Bargeld bis 2030 komplett abschaffen. Schon jetzt haben dort 40 Prozent der Menschen seit mindestens einem Monat nicht mehr mit Scheinen oder Münzen bezahlt. 4000 Bewohner ließen sich sogar einen Chip implantieren, um ihre Geschäfte bargeldlos zu erledigen. Von einer solchen Abschaffung ist Österreich weit entfernt. Allerdings scheiterte im vergangenen September auch der Versuch der FPÖ, das „Recht auf Bargeld“in der österreichischen Verfassung zu verankern. Der Antrag erreichte im Nationalrat nicht die nötige Zweidrittelmehrheit.