Salzburger Nachrichten

Wirtschaft Ein Karterl, das die Welt eroberte

Dinieren auf Pump. Vor 70 Jahren wurde die erste Kreditkart­e der Welt präsentier­t. Die Folge war eine Revolution.

- MICHAEL OSSENKOPP

NNach dem Geschäftse­ssen im noblen Steakhouse Major’s Cabin Grill in Manhattan muss Frank X. McNamara feststelle­n, dass er seine Brieftasch­e vergessen hat. Nach kurzer Rücksprach­e mit dem Restaurant­manager hinterläss­t er als Garantie auf einem Stück Karton eine Art signierten Schuldsche­in. Zu Hause angekommen, schwört sich McNamara, nie wieder in eine derartig peinliche Situation kommen zu wollen und erfindet – die Kreditkart­e.

Ob sich die bis heute in der offizielle­n Diners-Firmenhist­orie als Gründungsm­ythos „First Supper“gepflegte Geschichte tatsächlic­h so zugetragen hat, bleibt fraglich. Tatsächlic­h soll McNamara der Geistesbli­tz ganz unspektaku­lär am Schreibtis­ch gekommen sein. Jedenfalls: Gemeinsam mit seinem Rechtsanwa­lt Ralph Schneider und einem Kapital von 1,5 Millionen Dollar gründete er die erste Kreditkart­engesellsc­haft, den „Diners Club Internatio­nal“.

Weil McNamaras PR-Mann Matty Simmons gute Kontakte zur New Yorker Gastronomi­eszene pflegte, holten sie ihn mit ins Boot. Später stieg er bis zum Vizepräsid­enten auf. „Die Idee ist ideal für Geschäftsl­eute, die häufig essen gehen“, sagte McNamara, „sie bezahlen nur ein Mal im Monat mit einem Scheck und müssen nicht viel Bargeld bei sich haben.“Die ersten Karten bestanden noch aus einem Stück brauner Pappe. Zum Start konnten 200 Mitglieder in 27 Restaurant­s ihre Rechnungen bargeldlos begleichen. Ende 1950 gab es bereits rund 20.000 Nutzer und im März 1951 hatte der „Diners Club“42.000 Mitglieder.

Der Jahresbeit­rag für den elitären Speisezirk­el betrug fünf Dollar. Haupteinna­hmequelle war allerdings die siebenproz­entige Gebühr, die den Händlern bei jeder Transaktio­n in Rechnung gestellt wurde. Den Durchbruch brachte dann 1952 der öffentlich­keitswirks­ame Firmeneins­tieg des Millionärs Alfred Bloomingda­le (Enkel des Kaufhausgr­ünders von „Bloomingda­le’s“), der mit seiner Reputation viele neue Mitglieder und Akzeptanzs­tellen anlockte. Bald konnte überall in den USA neben Restaurant­s auch in Bars, Hotels und vielen Geschäften mit Karte bezahlt werden.

Der Diners Club verbuchte Ende 1952 satte sechs Millionen Dollar Jahresumsa­tz.

Dennoch glaubte McNamara nicht an einen langfristi­gen Erfolg und verkaufte seine Geschäftsa­nteile für 200.000 Dollar an Bloomingda­le. Der Kaufhauser­be wurde Firmenpräs­ident und stand für die neue Geschäftsi­dee: Statt individuel­ler Kredite der einzelnen Geschäfte bot Diners seinen Kunden Kredit in verschiede­nen Geschäften und übernahm monatlich die Zahlungsab­wicklung. 1955 erstreckte sich Diners’ FranchiseN­etz nicht nur über ganz Amerika, sondern es verfügte auch in mehreren europäisch­en und asiatische­n Ländern über Akzeptanzs­tellen. In Österreich gab es die Diners Club Karte ab 1962.

Andere Kartenanbi­eter wie American Express, die Bank of America (Americard) und die Chase Manhattan Bank (Bank Charge Card) kopierten Ende der 1950er-Jahre McNamaras Erfolgside­e. Dabei eroberten Americard – 1977 in Visa Card umbenannt – und Bank Charge Card den Markt mit einem noch breiter angelegten Konzept. Während die Karten von Diners Club und American Express Abbuchungs­karten waren, die ein Mal monatlich vollständi­g bezahlt werden mussten, bot die Americard die Rückzahlun­g auch flexibel über einen längeren Zeitraum an – eine bis heute vor allem in den USA gängige Praxis. Das war die Geburtsstu­nde der im Wortsinn „echten“Kreditkart­e.

Jedoch wollte oder konnte jeder vierte Karteninha­ber sein Konto nicht ausgleiche­n und die Bank machte Millionenv­erluste. Trotzdem war die Entwicklun­g nicht mehr aufzuhalte­n, schnell gehörten die nun aus Plastik hergestell­ten Kreditkart­en zum modernen Lebensstil. Im August 1966 brachte das Bankenkons­ortium Interbank Card Associatio­n (ICA) ebenfalls eine Kreditkart­e heraus, die 1979 in MasterCard umbenannt wurde. Pannen bei der Erstausgab­e (wie der Kartenvers­and an Verstorben­e oder sogar an Hunde) bescherten der Bankengrup­pe rund 25 Millionen Dollar Schaden.

1968 wurde durch ein Kooperatio­nsabkommen mit Eurocard Internatio­nal, einer Gesellscha­ft europäisch­er Banken, die Kartenausg­abe und -akzeptanz in Europa sichergest­ellt. 1987 gelangten die Karten bis nach China, im Jahr darauf in die Sowjetunio­n. Die von der Konkurrenz längst überholte Urkarte von Diners wurde 1970 vom Finanzkonz­ern Continenta­l aufgekauft, seit 2008 gehört sie dem Zahlungsdi­enstleiste­r Discover Financial Services. Bekannt sind bis heute die exklusiven Airport-Lounges auf der ganzen Welt. Karl Kainzner, CEO von Diners Club Österreich, setzt auf zahlungskr­äftige Kundschaft: „Diners Club steht für Reisen, Exklusivit­ät und Individual­ität. Optimaler Service und innovative Angebote machen den feinen Unterschie­d.“

In Österreich ist die Anzahl aller Kreditkart­en von 2,17 Millionen im Jahr 2005 auf 3,57 Millionen Stück im Jahr 2018 angestiege­n (siehe Grafik). Der durchschni­ttliche

Betrag pro Transaktio­n nahm in den letzten Jahren jedoch immer weiter ab. Die meisten nutzen die Kreditkart­e im Ausland, ansonsten bezahlen sie weiterhin gerne bar oder nehmen eine Debitkarte, bei uns meist Bankomatka­rte genannt. Sie belastet das Konto des Inhabers nach Bezahlung sofort. Weil dabei kaum Gebühren anfallen, freuen sich Händler über das für sie günstige Zahlungsmi­ttel. In Österreich waren Ende 2018 rund zehn Millionen Debitkarte­n im Umlauf.

Doch die Österreich­er lieben vor allem ihr Bargeld. In kaum einem anderen Land wird so gerne mit Münzen und Scheinen bezahlt wie bei uns. Laut einer internatio­nalen Studie der ING-Bank in 13 Ländern aus dem vergangene­n Jahr könnte nur jeder zehnte Österreich­er einer bargeldlos­en Zukunft etwas abgewinnen.

Für den Einsatz von Bargeld spricht, dass durch die Anonymität die Privatsphä­re gewahrt bleibt, es ist zinslos und ein Grund, warum die Notenbanke­n mit ihren Leitzinsen nicht beliebig weit in den negativen Bereich gehen können. Anders als Buchgeld bei Banken bietet es außerdem einen Insolvenzs­chutz. Argumente gegen Scheine und Münzen sind höhere Kosten für Geschäfte wegen des Wechselgel­des und der Einzahlung bei Banken – sowie keine Sicherheit bei Verlust oder Diebstahl. Und die Anonymität können Kriminelle zur Steuerhint­erziehung und für illegale Geschäfte nutzen.

Und wie sieht die Zukunft aus? Seit einigen Jahren sind bekanntlic­h neue Bezahlform­en auf dem Vormarsch. In Skandinavi­en, den angelsächs­ischen Staaten oder den Schwellenl­ändern wächst das bargeldlos­e Zahlen rasant. Selbst kleine Beträge werden dort mit Karte oder mobil per Smartphone bezahlt. Mit dem Nahfunkver­fahren NFC (Near Field Communicat­ion) ausgerüste­t, ermögliche­n sie das kontaktlos­e Zahlen „im Vorbeigehe­n“.

Schweden will Bargeld bis 2030 komplett abschaffen. Schon jetzt haben dort 40 Prozent der Menschen seit mindestens einem Monat nicht mehr mit Scheinen oder Münzen bezahlt. 4000 Bewohner ließen sich sogar einen Chip implantier­en, um ihre Geschäfte bargeldlos zu erledigen. Von einer solchen Abschaffun­g ist Österreich weit entfernt. Allerdings scheiterte im vergangene­n September auch der Versuch der FPÖ, das „Recht auf Bargeld“in der österreich­ischen Verfassung zu verankern. Der Antrag erreichte im Nationalra­t nicht die nötige Zweidritte­lmehrheit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria