Neue Vorbilder braucht das Land – eines wie Thiem
Dominic Thiem faszinierte in Melbourne die Sportfans aus aller Welt trotz Finalniederlage. Warum er Österreich guttut.
Die „österreichische Seele“wird gern bei außergewöhnlichen sportlichen Leistungen herangezogen. Wie beim sonntägigen Finale von Dominic Thiem bei den Australian Open in Melbourne – einem der wichtigsten Tennisturniere der Welt. Balsam auf die österreichische Seele, heißt es da gern. Für eine Nation, die gern darunter leidet, wenn sie unterschätzt wird. Nach dem Abgang von Ski-Superstar Marcel Hirscher hat Österreich zunächst gelitten und dann nach dem nächsten Vorbild förmlich gegiert. Die Suche nach einem Nachfolger hat sofort nach dem Rücktritt des Seriensiegers begonnen. Begleitet mit vielen Hoffnungen.
Es ist die Glaubwürdigkeit der Sporthelden, nach der wir uns so sehnen. Es ist ein kurzes Aufatmen in turbulenten Zeiten. Die Elite in Politik oder Wirtschaft (Stichwort Impeachment in den USA oder Ibiza-Affäre) ist ins Wanken geraten – das Vertrauen ist weg, muss erst wieder hart erarbeitet werden. Der Sport kann Abhilfe schaffen. Mit einem wie Dominic Thiem: Auf dem Platz zu einem mentalen Giganten gereift, der die besten Spieler der Welt nicht nur fordern, sondern sie auch überholen kann, wächst er in den Stadien dieser Welt regelmäßig über sich hinaus. Einer vom Typ höflicher „Lieblingsschwiegersohn“, der bei Interviews fast zurückhaltend und schüchtern wirkt – das Gegenteil zu seinen energischen Aktionen auf dem Platz.
Dabei kann die Karriere des Weltranglisten-Vierten durchaus als typisch österreichisch eingestuft werden. Das ist die eigentliche Geschichte dahinter: Körperlich zu schwach, technisch limitiert, zu viele mentale Aussetzer, um ganz an die Spitze zu kommen – hieß es. Thiem hat alle Kritiker eines Besseren belehrt. Sogar Thomas Muster, der als Kurzzeitcoach beim Lichtenwörther im Einsatz war, wird am Tag nach der Niederlage gegen den Titelverteidiger Novak Djokovic wohl einiges revidieren müssen. Denn noch in Australien meinte der frühere Weltranglisten-Erste und French-Open-Sieger 1995: „Thiem muss sich mental und technisch noch steigern, um ganz nach oben kommen zu können.“Ausgerechnet Muster, dem selbst in seinen Anfangstagen prophezeit wurde, dass er es nie ganz nach oben schaffen würde. Skurril. Das verbindet jetzt irgendwie Muster und Thiem nach diesem Grand-Slam-Turnier.
Es ist das Motto am Tag nach einer (dennoch) sporthistorischen Leistung: Vorbilder braucht das Land. Vor allem die Jugend. Einen wie Dominic Thiem. Weiter so.