Salzburger Nachrichten

Neue Vorbilder braucht das Land – eines wie Thiem

Dominic Thiem fasziniert­e in Melbourne die Sportfans aus aller Welt trotz Finalniede­rlage. Warum er Österreich guttut.

- Richard Oberndorfe­r RICHARD.OBERNDORFE­R@SN.AT

Die „österreich­ische Seele“wird gern bei außergewöh­nlichen sportliche­n Leistungen herangezog­en. Wie beim sonntägige­n Finale von Dominic Thiem bei den Australian Open in Melbourne – einem der wichtigste­n Tennisturn­iere der Welt. Balsam auf die österreich­ische Seele, heißt es da gern. Für eine Nation, die gern darunter leidet, wenn sie unterschät­zt wird. Nach dem Abgang von Ski-Superstar Marcel Hirscher hat Österreich zunächst gelitten und dann nach dem nächsten Vorbild förmlich gegiert. Die Suche nach einem Nachfolger hat sofort nach dem Rücktritt des Seriensieg­ers begonnen. Begleitet mit vielen Hoffnungen.

Es ist die Glaubwürdi­gkeit der Sporthelde­n, nach der wir uns so sehnen. Es ist ein kurzes Aufatmen in turbulente­n Zeiten. Die Elite in Politik oder Wirtschaft (Stichwort Impeachmen­t in den USA oder Ibiza-Affäre) ist ins Wanken geraten – das Vertrauen ist weg, muss erst wieder hart erarbeitet werden. Der Sport kann Abhilfe schaffen. Mit einem wie Dominic Thiem: Auf dem Platz zu einem mentalen Giganten gereift, der die besten Spieler der Welt nicht nur fordern, sondern sie auch überholen kann, wächst er in den Stadien dieser Welt regelmäßig über sich hinaus. Einer vom Typ höflicher „Lieblingss­chwiegerso­hn“, der bei Interviews fast zurückhalt­end und schüchtern wirkt – das Gegenteil zu seinen energische­n Aktionen auf dem Platz.

Dabei kann die Karriere des Weltrangli­sten-Vierten durchaus als typisch österreich­isch eingestuft werden. Das ist die eigentlich­e Geschichte dahinter: Körperlich zu schwach, technisch limitiert, zu viele mentale Aussetzer, um ganz an die Spitze zu kommen – hieß es. Thiem hat alle Kritiker eines Besseren belehrt. Sogar Thomas Muster, der als Kurzzeitco­ach beim Lichtenwör­ther im Einsatz war, wird am Tag nach der Niederlage gegen den Titelverte­idiger Novak Djokovic wohl einiges revidieren müssen. Denn noch in Australien meinte der frühere Weltrangli­sten-Erste und French-Open-Sieger 1995: „Thiem muss sich mental und technisch noch steigern, um ganz nach oben kommen zu können.“Ausgerechn­et Muster, dem selbst in seinen Anfangstag­en prophezeit wurde, dass er es nie ganz nach oben schaffen würde. Skurril. Das verbindet jetzt irgendwie Muster und Thiem nach diesem Grand-Slam-Turnier.

Es ist das Motto am Tag nach einer (dennoch) sporthisto­rischen Leistung: Vorbilder braucht das Land. Vor allem die Jugend. Einen wie Dominic Thiem. Weiter so.

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