Die Grünen haben ein Recht auf Welpenschutz
Die Kritik an den Anfangsschritten der grünen Regierungsmannschaft kommt viel zu früh. Reden wir nach den ersten 100 Tagen weiter.
Was ist nur mit den Grünen los? Im Wahlkampf haben sie die ÖVPler noch als „türkise Schnösel“bezeichnet – und jetzt spulen sie gemeinsam mit ihnen PR-Termine in Polizeiinspektionen ab, streichen den U-Ausschuss im Parlament zusammen und inszenieren eine Regierungsklausur ohne Inhalte …
So und ähnlich tönt es derzeit von überall der grünen Regierungsmannschaft entgegen, wobei vor allem drei Quellen auszumachen sind. Erstens sind es die Oppositionsparteien, die bei jeder Gelegenheit den tierischen Vergleich strapazieren, die Grünen würden sich von der ÖVP am Nasenring durch die politische Arena führen lassen. Das ist aus Sicht der Opposition taktisch verständlich: Sie schießen sich auf die Grünen ein, weil sie so am ehesten die Regierung destabilisieren und möglicherweise sprengen können.
Die zweite Quelle, aus der die zitierten Seufzer kommen, ist die ÖVP-Wählerschaft. Hier sind sie aber eher sarkastisch gemeint und mit Erleichterung gemischt. Denn anfangs hatten viele ÖVP-Anhänger befürchtet, die Koalition mit den „grünen Chaoten“werde Sebastian Kurz schaden und die Österreicher zurück auf die Bäume treiben. Jetzt merken sie, dass auch die Grünen mit Messer und Gabel essen, Krawatten tragen und sogar auf Bälle gehen, also unterm Strich eigentlich ein ganz kommoder Koalitionspartner sind.
Die dritte Quelle des Befremdens über die bisherigen Darbietungen der grünen Regierungsmannschaft sind schließlich die GrünAnhänger
Die Seufzer von Opposition, ÖVP- und Grün-Wählern
selbst. Sie warten sehnsüchtig darauf, dass Werner Kogler endlich einen Erfolg verzeichnet und es der ÖVP beispielsweise beim Klimaschutz so richtig zeigt.
Möglicherweise ist diese Ungeduld der grünen Basis aber nur die Meinung einer Minderheit. Zu Recht wurde bereits darauf hingewiesen, dass ein Teil der grünen Wählerschaft gar kein Interesse an einer kompletten Umsetzung des grünen Wahlprogramms hat. Diese Wähler wohnen im Speckgürtel der großen Städte, sind wohlhabend und wählen die Grünen, weil sie zum Frühstück gern ein Bio-Ei essen. Aber nicht, weil sie wollen, dass ihnen die Regierung das Zweitauto oder den Wochenendtrip im Flieger nach Paris verbietet.
Den echten oder scheinbar Unzufriedenen aus allen drei Richtungen muss eines entgegengehalten werden: Sie sind mit ihrer Kritik viel zu früh dran. Die Regierung ist noch keine vier Wochen im Amt. Exakt sind es 27 Tage, also nicht einmal ein Drittel der 100 Tage, die man einer neuen Regierung üblicherweise als Einarbeitungszeit zubilligt.
Dass die grünen Minister langsamer aus den Startlöchern kommen als die türkisen, ist logisch. Die ÖVP ist eine gut geölte Regierungsmaschine, die seit 1987 ununterbrochen läuft. Die Grünen müssen – sinnbildlich gesprochen – erst schauen, wo in ihren Büros der Kopierer und die Kaffeemaschine stehen. Zudem fehlt es ihnen immer noch an Personal. Man darf nicht vergessen: Noch vor einem Jahr bestanden die Grünen auf Bundesebene im Grunde aus Werner Kogler – und aus. Jetzt sollen sie es plötzlich mit einer ÖVP aufnehmen, die fast überall ihre Vertrauten sitzen hat.
Dass bei der Regierungsklausur in Krems nur das ÖVP-Versprechen einer Steuersenkung einigermaßen konkret erörtert wurde, hat noch einen weiteren Grund. Die Umsetzung dieses Plans bietet keinerlei Schwierigkeiten der Finanzierung. Die Steuerzahler haben die Kosten dieser Tarifsenkung längst selbst bezahlt und werden sie dank der unverdrossenen Beibehaltung der kalten Progression auch weiterhin selbst bezahlen. Eine solche „Steuerreform“ist keine politische Kunst.
Ganz im Gegenteil zu einer CO2-Steuer, Pardon: Ökologisierung des Steuersystems, wie sie die Grünen versprochen haben. Sie muss sozialund wirtschaftsverträglich gestaltet werden, und das ist tatsächlich eine politische Kunst. Das dauert. Wobei man sich allerdings schon fragt, was ÖVP und Grüne in den 100 Tagen der Koalitionsverhandlungen getan haben, wenn sie über das angebliche Kernthema Klimaschutz jetzt erst eine Arbeitsgruppe (genannt „Taskforce“) einsetzen.
Aber dieser Einwand ist kein Grund, schon jetzt den Stab über die Grünen zu brechen. Um einen weniger despektierlichen tierischen Vergleich als jenen mit dem Nasenring zu verwenden: Kein Hund, der bei Sinnen ist, würde einen Welpen beißen, bis dieser halbwegs erwachsen ist. Diesen Welpenschutz sollte man auch den Grünen zubilligen – zumindest die berühmten ersten 100 Tage lang.