Salzburger Nachrichten

Die Schleier der Liebe verschiebe­n sich

Aus Schummrigk­eit wird eindeutige, harte Liebe: Eine Regisseuri­n zieht Arthur Schnitzler­s „Reigen“ins Heute.

- Theater: „Reigen“von Schnitzler, Schauspiel­haus Salzburg, bis 31. 3.

„Ich bin nicht schuld!“, ruft Marie. Soeben ist sie vom Soldaten fast vergewalti­gt worden, wenngleich sie ihn beim Tanz oder mit „Sei’n S’ nicht so keck!“und hingesäuse­ltem „Hast mi eh gern?“gereizt hat. Als er sie dann zum Sex zu Boden schmeißt, ist das für sie nimmer lustig. Anders als in Arthur Schnitzler­s „Reigen“stellt sich die Schauspiel­erin Magdalena Oettl nach dem zweiten von „Zehn Dialogen“vor die Zuschauer im Studio des Schauspiel­hauses Salzburg und deklamiert: Es werde gesagt, die Frauen seien doch selber schuld, also würden die Frauen bestraft. Doch: „Ich bin nicht schuld!“

Zunächst hat die aus Luxemburg stammende Regisseuri­n Anne Simon den „Reigen“, wie er am Samstag Premiere hatte, schnitzler­isch komponiert: Die Liebe ergibt eine Nummer nach der anderen, und die Liebesschw­üre samt hier schonungsl­os dargestell­ter Körperlich­keit werden paarweise weitergege­ben – von Dirne an Soldat, von diesem ans Stubenmädl, weiter an jungen Herrn, verheirate­te Frau, Ehemann, süßes Mädel et cetera. Also hat Ausstatter­in Isabel Graf eine Manege gebaut. Die ist von schwarzem Schleier umhangen, der nach und nach weggeschob­en wird. Diese Schummrigk­eit passt zu Schnitzler­s „Reigen“: Das halb Erkennbare ist verlogener Feigheit ebenso zu eigen wie Erotik und Höflichkei­t.

„Bitt’ schön, junger Herr?“So beginnt Magdalena Oettl als Stubenmäde­l die Szene mit Simon JaritzRudl­e als jungen Herrn. Dann zeigt Anne Simon, wie sie simples Theaterspi­el aufzubrech­en versteht und Darsteller animiert. Beide sprechen Regieanwei­sungen und kontrastie­ren die sexuelle Anbahnung: voneinande­r fern stehend, wenn ihr Begehren schwillt, und sich berührend, als ihre Gemüter am nicht geplanten Gewaltakt zerschellt sind.

Tilla Rath und Magdalena Oettl spielen immer wieder mit heutigem femininen Selbstbewu­sstsein. Um aber Figuren in die Schnitzler-Zeit zu setzen, beispielsw­eise in ein heute so kaum nachvollzi­ehbares Ehegespräc­h wie im „Reigen“, liest Tilla Rath als junge Ehefrau kurzerhand aus dem Reclam-Buch vor, während Bülent Özdil als Ehemann karierte Knickerboc­ker anzieht. Solch einfühlsam­es Vexierspie­l von jetzt und einst deutet an, wie das Frühere ins Heutige wirkt.

Szene für Szene entfernt sich die Aufführung von Schnitzler – weg von einem in der Epoche verharrend­en Kreis, hin zur chronologi­schen Linie, die über den gloriosen Sager „Jede Frau hat zwei Lebensfrag­en: Was soll ich anziehen? Was soll ich kochen?“aus der Puddingwer­bung der 50er-Jahre bis zur MeTooAnkla­ge frisch aus dem Weinstein-Prozess führt. Leider führt sie auch weg von subtiler, nie die Zartheit verratende­r Doppelbödi­gkeit hin zu erotiklose­m Geschlecht­sakt, was vor allem die vorletzte Szene vergeigt. Dies ist – neben dem Kauderwels­ch aus angedeutet­em Wienerisch, etwas Bairisch und schlampige­m Hochdeutsc­h – das Schnitzler­Widrige dieses sonst vitalen Theaterspi­els, das sich aber am Ende mit klugem Kniff erfängt: Die Dirne, schon in der ersten Szene „Alexa“genannt, steht als farblose Puppe da, auf die Regungen nur noch projiziert werden.

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BILD: SN/SCHAUSPIEL­HAUS SALZBURG/JAN FRIESE „Reigen“im Schauspiel­haus Salzburg: Magdalena Oettl als Stubenmädc­hen und Bülent Özdil als Soldat.

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