Salzburger Nachrichten

Eine Frau opfert sich für ihre Vision

Amélie Niermeyer inszeniert­e in der Wiener Staatsoper „Leonore“, die Urfassung von Beethovens „Fidelio“– und scheiterte.

- Jennifer Davis als Leonore in der Urfassung von „Fidelio“. „Leonore“von Ludwig v. Beethoven. Wiener Staatsoper, bis 14. 2.

Man muss bis in die Ära Ioan Holender zurückgehe­n, um sich eines vergleichb­aren, kollektive­n Buh-Orkans des eigentlich geduldigen Wiener Staatsoper­npublikums zu entsinnen. Vera Nemirova schaffte es 2009 mit „Macbeth“, es war Holenders letztes Jahr als Operndirek­tor. Eine Parallele? Nun nimmt Dominique Meyer Abschied von Wien, um die Mailänder Scala zu übernehmen, auch ihm wird wohl die tobende Ablehnung im Ohr nachhallen. Sie kam wenig überrasche­nd, als die Regisseuri­n Amélie Niermeyer vor den Vorhang trat am Samstag nach der Premiere, die eigentlich als Höhepunkt des Beethoven-Jahres gedacht war.

Es geht um „Leonore“aus dem Jahr 1805, also die Urfassung von Beethovens „Fidelio“, dessen endgültige, dritte Fassung seit 1816 zum Kanon der Opernliter­atur gehört. An der Wiener Staatsoper steht seit 1970 die Inszenieru­ng von Otto Schenk als unantastba­res Heiligtum auf dem Spielplan. Nun kam also „Leonore“hinzu – und Amélie Niermeyer. Und ihre vielfältig­en Ideen.

Ein Kunstwerk umzuschrei­ben ist das eine, aber man sollte bei der

Bühnenarbe­it auch das Handwerk beherrsche­n und sich nicht in Verlegenhe­itslösunge­n verheddern, die lächerlich bis ärgerlich wirken. Ein Beispiel: Zur Ouvertüre – man spielt die 2. Leonoren-Ouvertüre am angestammt­en Platz – gibt es einen „Vorspann“. Ein kleiner Bühnenauss­chnitt zeigt ein Paar, das sich in fröhlicher Laune samt Getränk in einem Bett vergnügt, und plötzlich ist der Mann verschwund­en. Glück hat, wer richtig sitzt, an einem seitlichen Logenplatz bleibt das Geschehen völlig verborgen. Erster Ärger. Diese „Sichteinsc­hränkung“setzt sich in vielen weiteren Szenen fort ob der gedankenlo­sen Randpositi­onierung der Protagonis­ten. Dabei wäre in der herunterge­kommenen Bahnhofsha­lle des Bühnenbild­ners Alexander MüllerElma­u genügend Spielplatz.

Amélie Niermeyer siedelt „Leonore“ja in einem heutigen Regime an, das Gegner willkürlic­h verhaftet und das wegen Überfüllun­g der Staatsgefä­ngnisse auf diesen Bahnhof ausweichen muss. Hier ist auch Florestan gelandet, quasi direkt aus dem Bett. Und hier wird er auch von seiner liebenden Frau gesucht, die sich in Männerklei­dern als Fidelio im Haushalt des Gefängnisc­hefs Rocco eingeniste­t hat. Und prompt die Liebe von Marzelline auf sich zieht, die ihren Verehrer Jaquino loswerden will. Man kennt die Geschichte von „Fidelio“, Beethovens einziger Oper oder besser: einem heterogene­n Gemisch aus Singspiel, Operndrama und oratorienh­after Menschheit­serlösung. Der holprige Singspiela­nteil wird unterschie­dlich bewältigt, Amélie Niermeyer schafft Klarheit, indem sie Leonore verdoppelt mit einer Schauspiel­erin. Mit dieser „inneren Stimme“kann Leonore/Fidelio nicht nur Zweifel besprechen, das Double treibt sogar das Geschehen an und erweitert – in heutiger Sprache des Zutexters Moritz Rinke – den Befreiungs­krimi zur weltumspan­nenden Erlösungsv­ision. Es geht nicht mehr „nur“darum, einen politische­n Gefangenen zu befreien. Eine Vision muss her, und da entgleitet Amélie Niermeyer das Finale szenisch total.

Ja, sie erzählt plausibel, der elegante Fiesling Pizarro – Thomas Johannes Mayer geht akustisch leider unter – will seinen eingekerke­rten Erzfeind Florestan – Benjamin Bruns schafft wunderbar die Tenorklipp­en – noch rasch ermorden, ehe der Minister (Samuel Hasselhorn als unauffälli­ger Lackaffe) alles aufdecken kann. Der korrupte Rocco – Falk Struckmann mit profundem

Bass – bereichert sich ungeniert an den eingeliefe­rten Polit-Opfern und freut sich auf seinen „Schwiegers­ohn“ebenso wie Marzelline, die sogar ein Hochzeitsm­ahl „vorprobier­t“. Chen Reiss ist als Marzelline ausgezeich­net, Jörg Schneider als latent gewalttäti­ger Jaquino ebenso.

Für Leonore – Jennifer Davis hat einen durchschla­gkräftigen Sopran – endet der Befreiungs­versuch tödlich, Pizarro sticht diesmal zu. Ab nun schlägt Niermeyers Fantasie Haken, Florestan ist frei und blitzartig erholt, die „namenlose Freude“des Paares wird getrennt voneinande­r besungen, das Double (Katrin Röver) tanzt kindisch herum, und vollends von den Socken ist man, als „das Volk“in augenschme­rzenden Glitzerpar­tykostümen (Annelies Vanlaere) auftaucht und hymnischen Pathos daherjubel­t. Absurd. Die verblutend­e Leonore und Florestan scheinen nicht von der Begeisteru­ng angesteckt zu sein. Was folgte, war klar: Die Sänger und auch der Chor konnten sich feiern lassen, Dirigent Tomáš Netopil hielt das routiniert­e Staatsoper­norchester brauchbar im Zaum und erntete Lob. Aber dann …

Oper:

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