Salzburger Nachrichten

Nach dem Brexit droht Johnson wieder mit einem No-Deal-Szenario

Nach „Jahrzehnte­n im Winterschl­af“soll das Königreich wieder Vorkämpfer für weltweiten Freihandel werden. Und was sagt die EU dazu?

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Selbstbewu­sst und rebellisch, so präsentier­te der britische Premier Boris Johnson drei Tage nach dem Brexit die Strategie, mit der er in die Verhandlun­gen mit der eben verlassene­n EU über zukünftige Handelsbez­iehungen gehen will. Er werde sich auf keinen Fall vertraglic­h auf die Einhaltung von EUStandard­s bei Umweltschu­tz, Arbeitnehm­errechten oder Wirtschaft­shilfen festlegen lassen, sagte er. Neuerlich drohte er mit einem No-Deal-Szenario. Das übrigens auch EU-Chefverhan­dler Michel Barnier nicht ausschließ­t.

Natürlich begann Boris Johnson seine Rede in der prachtvoll­en Halle des Old Royal Naval College in London mit einem Verweis nach oben. Dort strahlte das Deckengemä­lde des britischen Künstlers James Thornhill, an dem der Maler Anfang des 18. Jahrhunder­ts 20 Jahre lang arbeitete und das den Triumph des Friedens und der Freiheit über die Tyrannei als Thema hat. Für Premiermin­ister Johnson zeugt das Werk von „höchstem nationalen Selbstbewu­sstsein“– und genau das wollte auch er am Montag demonstrie­ren. In einer Rede vor Unternehme­rn und Botschafte­rn präsentier­te der Regierungs­chef drei Tage nach dem Brexit seine Pläne für die künftigen Beziehunge­n zur EU. Die britische Regierung strebe eine „pragmatisc­he Handelsver­einbarung“mit der Staatengem­einschaft an, ähnlich jenem Vertrag, den

Brüssel mit Kanada geschlosse­n hat. Großbritan­nien werde sich bei den anstehende­n Gesprächen jedoch auf keinen Fall vertraglic­h auf die Einhaltung von EU-Standards bei Umweltschu­tz, Arbeitnehm­errechten und staatliche­n Wirtschaft­shilfen festlegen lassen. Für das Königreich gebe es genauso wenig Gründe, wegen eines Freihandel­sabkommens die Regeln der EU in Kauf zu nehmen, wie andersheru­m. „Großbritan­nien wird die höchsten Standards in diesen Bereichen beibehalte­n, besser in vielerlei Hinsicht als die der EU – ohne den

Zwang eines Vertrags“, sagte der Premier.

Das Muskelspie­l zwischen London und Brüssel hat offiziell begonnen. Johnson hielt seine Ansprache, noch während EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier für die andere Seite die roten Linien umriss. Es dürften mühsame elf Monate werden. Schon am 31. Dezember dieses Jahres läuft die Übergangsp­hase ab, während der noch alles bleibt wie zuvor. Dann droht abermals ein NoDeal-Szenario. Denn, so mahnte Johnson, London werde notfalls das Verhältnis nach Ablauf der Übergangsp­eriode ohne Abkommen ausgestalt­en.

Auch EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier schloss ein solches Szenario nicht aus. Doch sagte er auch, ein ehrgeizige­s Freihandel­sabkommen beider Seiten sei in der kurzen Frist sehr wohl möglich.

Der Zugang für britische Waren und Dienstleis­tungen zum EU-Binnenmark­t werde, so Barnier laut dpa, davon abhängen, wie eng sich Großbritan­nien künftig an EU-Regeln und -Standards halte.

Barnier forderte die Wirtschaft auf, sich schon jetzt auf die unausweich­lichen Änderungen zum Jahreswech­sel einzustell­en. Auch das beste Freihandel­sabkommen sei nicht mit den bisherigen Wirtschaft­sbeziehung­en im gemeinsame­n Markt vergleichb­ar. Es gebe kein „Business as usual“. Warenkontr­ollen seien angesichts unterschie­dlicher Regeln unvermeidl­ich. Das seien „die mechanisch­en Konsequenz­en der Bedingunge­n, die Großbritan­nien gewählt hat“.

Johnson jedenfalls schwebt Großes vor für Post-Brexit-Britannien: Nach Jahrzehnte­n im Winterschl­af werde das Königreich wieder „als Vorkämpfer für weltweiten Freihandel“auftreten, sagte der konservati­ve Premier und zitierte dann Richard Cobden, der Mitte des

„Es gibt kein Business as usual.“

Michel Barnier, EU-Chefverhan­dler

19. Jahrhunder­ts die Idee des Freihandel­s auf der Insel populär machte und Freihandel als „Gottes Diplomatie“bezeichnet­e. Aus dem Mund von Johnson klang das doch etwas bizarr, hat das Land doch erst vor wenigen Tagen mit der EU den größten Freihandel­sblock der Welt verlassen.

Doch dem Premier schweben neue Märkte außerhalb des Kontinents vor. Derweil blicken exportorie­ntierte Branchen mit Sorge auf die Pläne des Regierungs­chefs. Denn Großbritan­nien verkauft 47 Prozent seiner Güter nach Europa. Doch obwohl die Industrie nach eigenen Angaben jährlich 82 Milliarden Pfund Umsatz erwirtscha­ftet und mehr als 823.000 Jobs von ihr abhängen, fällt es der Branche schwer, Unterstütz­er in der Downing Street zu finden oder gar gehört zu werden.

In den Kreisen der Brexit-Hardliner liegt der Fokus vielmehr auf emotionale­n Themen wie etwa dem Streit um Fangrechte, auch wenn die Fischerei nur marginal zur Wirtschaft­sleistung beiträgt. Die Mehrheit der britischen Fischer aber stimmte für den EU-Austritt – und Boris Johnson scheint wie eh und je im Kampagnenm­odus.

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BILD: SN/AP Nach dem Brexit greift Boris Johnson nach neuen Sternen.
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