„Uns war klar, dass wir im Gefängnis enden können“
Interview mit dem katalanischen Separatistenchef Oriol Junqueras, der eine langjährige Haftstrafe absitzt.
MADRID. Auch durch eine lange Gefängnisstrafe lässt sich der katalanische Separatistenchef Oriol Junqueras nicht auf seinem Weg zu einem von Spanien unabhängigen Katalonien beirren. „Das Gefängnis ist eine Etappe auf unserem Weg zur Freiheit“, sagt Junqueras in einem Interview mit den SN. Der 50-Jährige fordert vom spanischen Staat eine Amnestie und ein legales Unabhängigkeitsreferendum nach schottischem Vorbild.
Der Chef der Unabhängigkeitspartei Republikanische Linke und frühere katalanische Vizeregierungschef sitzt seit 800 Tagen im Gefängnis. Nach zwei Jahren UHaft wurde er 2019 von Spaniens Gerichtshof wegen seiner Rolle bei einem illegalen Unabhängigkeitsre- ferendum am 1. Oktober 2017 zu 13 Jahren Haft verurteilt.
SN: Nach all den Rückschlägen: Glauben Sie immer noch, dass es jemals ein unabhängiges Katalonien geben wird? Oriol Junqueras: Davon bin ich fest überzeugt. Wir haben nie gedacht, dass es einfach und schmerzfrei sein würde. Der Weg zur Unabhängigkeit ist unumkehrbar. Das Referendum war der erste Stein für eine künftige katalanische Republik.
SN: Der damalige katalanische Regierungschef Carles Puigdemont hat sich der spanischen Justiz entzogen. Sie hingegen stellten sich den Richtern. Haben Sie dies bereut?
Jeder tat, was er damals für das Beste hielt. Ich entschied mich zu bleiben, um in der Nähe meines Volkes zu sein. Uns war ganz klar, dass wir im Gefängnis enden können. Unsere Gefängnisstrafe wird die Niederlage des spanischen Staates sein.
SN: Fühlen Sie sich vom spanischen Staat politisch verfolgt? Wir gehen davon aus, dass es das Ziel des Staates war, die Unabhängigkeitsbewegung zu enthaupten und ihre Führer einzusperren.
SN: Was erwarten Sie von Ministerpräsident Pedro Sánchez, der im Jänner mithilfe Ihrer Unabhängigkeitspartei im Amt bestätigt wurde und der Ihnen im Gegenzug einen Dialog versprochen hat?
Wir wollen ein Unabhängigkeitsreferendum. Wir glauben, dass dies die einzige Möglichkeit ist, um den Konflikt wirklich zu lösen. Wir werden, auch wenn sie uns ins Gefängnis schicken, das Ziel der Unabhängigkeit nicht aufgeben.
SN: Hat Ihnen Sánchez weitere Gegenleistungen versprochen, zum Beispiel eine Amnestie? Über eine Amnestie wurde nicht verhandelt. Wir wollen lediglich, dass ein Dialog eröffnet wird. Aber eine
Amnestie würde alle Strafverfahren beenden und den Konflikt auf die politische Ebene zurückbringen, die er nie hätte verlassen dürfen.
SN: Wie wollen Sie jene Katalanen, die keine Unabhängigkeit wollen, überzeugen? Wir glauben, dass unser Plan der vernünftigste Weg ist, damit die Menschen besser leben können. Wir wissen, dass wir weiter wachsen müssen, damit wir eine unanfechtbare Mehrheit hinter uns haben.
SN: Werden Sie irgendwann einmal Präsident einer katalanischen Republik sein? Das wäre eine große Ehre, aber das müssen die Bürger entscheiden. Das Wichtige ist zunächst, dass wir die Unabhängigkeit erreichen, nicht wer dann Präsident sein wird.