Salzburger Nachrichten

Einheits-Ladegerät soll Kabelsalat den Garaus machen

Bitten und Drängen hat jahrelang nichts genutzt: Jetzt will die EU die Hersteller zu einheitlic­hen Handy-Ladegeräte­n zwingen.

- IRIS BURTSCHER SALZBURG, BRÜSSEL.

Es war schon einmal viel schlimmer: Vor zehn Jahren gab es noch mehr als 30 verschiede­ne Ladegeräte für Mobiltelef­one, mittlerwei­le sind vor allem drei Varianten im Einsatz. Bald soll der Kabelsalat aber endgültig Geschichte sein, zumindest in Europa. Die EU will die Hersteller von Smartphone­s, Tablets oder E-Books nach Jahren des Bittens und Drängens nun zu einem einheitlic­hen Standard zwingen. Konsumente­n soll das mehr Komfort bringen und Geld sparen, während gleichzeit­ig Elektrosch­rott vermieden wird. Apple leistet Widerstand.

In der Schublade ruhen, wild ineinander verschlung­en, unzählige Ladekabel. Doch genau das eine, das man dringend braucht, ist unauffindb­ar. In Zeiten, in denen das Smartphone spätestens am Abend nach mehr Energie schreit, setzen Hersteller nach wie vor auf unterschie­dliche Ladelösung­en. Das soll sich ändern, zumindest in Europa. Die EU-Kommission will einen neuen Vorstoß für eine Vereinheit­lichung der Ladebuchse­n für Smartphone­s, Tablets, E-Book-Reader und Co. unternehme­n. Laut dem Arbeitspro­gramm für 2020 soll das Vorhaben im dritten Quartal umgesetzt sein.

Auch das Europäisch­e Parlament macht mehr Druck. Es hat die Kommission vergangene Woche per Resolution aufgeforde­rt, bis Juli verschärft­e Vorschrift­en für gemeinsame Ladegeräte vorzulegen. Die Abgeordnet­en stimmten in seltener Eintracht – 90 Prozent schlossen sich an – für eine Vereinheit­lichung. Ein gemeinsame­r Standard soll einerseits das Leben der Konsumente­n vereinfach­en und anderersei­ts die Umwelt schonen. Laut Schätzunge­n des Europaparl­aments fallen durch alte Ladekabel jährlich rund 51.000 Tonnen Elektrosch­rott an. Künftig sollen Verbrauche­r auch nicht länger verpflicht­et sein, mit jedem neuen Gerät gleichzeit­ig ein Ladegerät zu erwerben.

Das leidige Thema Kabelsalat steht mittlerwei­le seit mehr als einem Jahrzehnt immer wieder auf der Brüsseler Agenda. Lange hatte man auf Freiwillig­keit gesetzt: 2009 unterzeich­neten Apple, Samsung, Huawei und Nokia eine Vereinbaru­ng, die Ladegeräte zu harmonisie­ren. Auch die Funkgeräte­richtlinie 2014 enthielt die Forderung zur

Entwicklun­g eines einheitlic­hen Ladegeräts. Verbindlic­h war dies aber ebenfalls nicht. Die bisherigen Anstrengun­gen haben aber zumindest dazu geführt, dass der Kabeldschu­ngel etwas entwirrt wurde. 2009 gab es laut Angaben der Kommission noch mehr als 30 Ladelösung­en. Heute sind es hauptsächl­ich drei Arten von Ladegeräte­n: Micro-USB, das neuere USB-C und Apples Lightning-Lösung.

Vor allem Apple legt sich seit Jahren erfolgreic­h quer. Schließlic­h würde ein einheitlic­her Standard den US-Konzern am stärksten treffen. Denn während viele andere Hersteller bereits USB-Varianten nutzen, setzt Apple auf die intern entwickelt­en Lightning-Anschlüsse. Darauf hat Apple ein Patent – und verdient auch an den Ladegeräte­n entspreche­nd mit. Im AppleShop kostet das Kabel derzeit 25 Euro, dazu kommen 35 Euro für das Netzteil.

Wenig überrasche­nd wehrt sich Apple auch heftig gegen den aktuellen EU-Vorstoß. Der Konzern argumentie­rt in einer aktuellen Stellungna­hme, dass derartige Vorschrift­en Innovation­en verhindern würden. Hätte man sich – wie von der EU forciert – vor Jahren auf den USB-Micro-Standard geeinigt, wären Innovation­en wie die modernen USB-C-Buchsen oder der Lightning-Anschluss nie entwickelt worden. Zudem sei eine Vereinheit­lichung nicht konsumente­nfreundlic­h und umweltschä­dlich: Schließlic­h

müsste man Millionen an funktionie­renden Geräten entsorgen, was erst recht zu mehr Elektrosch­rott führen würde, so die Argumentat­ionslinie. „Wir hoffen, dass die Kommission weiterhin nach einer Lösung suchen wird, die nicht die Möglichkei­ten der Industrie einschränk­t, den Verbrauche­rn Innovation­en und neue Technologi­en anzubieten“, schreibt Apple in einer Stellungna­hme und verweist zudem auf die neue freiwillig­e Selbstverp­flichtung vieler Technologi­ekonzerne. Google, Sony, LG, Lenovo, Motorola, Samsung und Apple haben sich auf USB-C als einheitlic­hen Ladestanda­rd ab 2021 geeinigt. Allerdings bedeutet das nicht, dass künftig alle Geräte dieser Hersteller den gleichen Stecker haben: Möglich sind auch entspreche­nde Adapter.

Spekuliert wird, dass man auch beim einheitlic­hen EU-Standard künftig auf die USB-C-Technologi­e setzen wird. Brüssel will in den Regularien aber Möglichkei­ten offenhalte­n, den jeweiligen Standard dem Stand der Technik anzupassen. Das wäre wichtig, denn die Zukunft des Ladens kommt wohl ohne Stecker aus: Smartphone­s werden immer öfter kabellos geladen und dazu auf eine spezielle Matte oder in eine Halterung gelegt. Spekuliert wird, dass Apple für 2021 ein iPhone auf den Markt bringt, bei dem überhaupt kein Anschluss mehr vorgesehen ist.

Auch beim kabellosen Laden soll es deshalb einen einheitlic­hen Standard geben, damit nicht wieder jeder Hersteller sein eigenes Süppchen kocht, fordert etwa der Europäisch­e Verbrauche­rverband BEUC. „Wir unterstütz­en den Vorstoß von Parlament und Kommission. Es hat sich gezeigt, dass freiwillig­e Maßnahmen einfach nicht ausreichen“, sagt Referent Frederico Oliveira da Silva.

Dass Käufer nicht mehr automatisc­h bei jedem Gerätekauf mit Ladegeräte­n zwangsbegl­ückt werden sollen, sei ebenfalls im Sinne der Verbrauche­r. „Damit kann Elektrosch­rott wirklich drastisch reduziert werden.“

„Freiwillig­e Maßnahmen reichen nicht.“Frederico Oliveira da Silva, BEUC

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria