Salzburger Nachrichten

Immer weniger sind für den Wehr- und Zivildiens­t tauglich

Der Anteil der Untauglich­en steigt, geburtensc­hwache Jahrgänge kommen ins stellungsp­flichtige Alter: Die Regierung arbeitet an einer Teiltaugli­chkeit als Ausweg.

-

Die Zahl der tauglichen jungen Männer ist in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n um 28 Prozent gesunken. Gab es 2001 noch 41.288 Taugliche für Wehr- und Zivildiens­t, ist diese Zahl im Vorjahr erstmals unter die Marke von 30.000 – konkret auf 29.833 – gesunken. Von diesen Tauglichen gingen im Vorjahr knapp 55 Prozent zum Bundesheer

und 45 Prozent zum Zivildiens­t. Es gab damit 13.516 Zivildiene­r, was deutlich unter dem bisherigen Spitzenjah­r 2014 mit mehr als 16.600 Zivildiene­rn war.

Grund für diesen Rückgang, der den Rettungsor­ganisation­en großes Kopfzerbre­chen bereitet, sind die geburtensc­hwachen Jahrgänge, die nun ins stellungsp­flichtige Alter kommen. 2006 waren noch mehr als 58.000 Burschen stellungsp­flichtig, im Vorjahr waren es erstmals weniger als 45.000.

Der Anteil der definitiv oder vorübergeh­end Untauglich­en hat sich seit 2001 von 27 auf 34 Prozent erhöht. Die Regierung möchte nun die Tauglichke­itskriteri­en so ändern, dass mehr Burschen als tauglich erklärt werden können. Dem stünden allerdings rechtliche Probleme entgegen, die erst analysiert werden müssten, heißt es aus den zuständige­n Ministerie­n.

Die häufigsten Gründe, warum junge Männer untauglich geschriebe­n werden, sind psychische Probleme, Fettleibig­keit und Herz-Kreislauf-Erkrankung­en.

WIEN. Die Zahl der Stellungsp­flichtigen sinkt weiter: Etwas mehr als 44.800 waren es 2019, um fast 1700 weniger als im Jahr davor – und um rund 12.000 weniger als noch Mitte der 2000er Jahre. Waren damals aber noch rund 70 Prozent der jungen Männer – etwa 39.300 – tauglich, sank der Anteil unterdesse­n auf zwei Drittel. Im vergangene­n Jahr wurden gut 29.800 Männer als tauglich eingestuft, um fast 10.000 weniger als vor 15 Jahren.

Was tun gegen den hohen Anteil an Untauglich­en bei gleichzeit­ig immer schwächer werdenden Jahrgängen an Stellungsp­flichtigen? Diskutiert wird diese Frage seit Jahren. Eine Reform der Tauglichke­itskriteri­en wurde schon im türkisblau­en Koalitions­pakt im Jahr 2017 angekündig­t, nun findet sie sich im türkis-grünen Regierungs­übereinkom­men – und soll, wie die zwei zuständige­n ÖVP-Ministerin­nen Klaudia Tanner (Verteidigu­ng) und Elisabeth Köstinger (Zivildiens­t) zuletzt mehrmals betonten, rasch umgesetzt werden. Im Idealfall bereits mit 1. Jänner 2021.

Konkret sind zwei Tauglichke­itsstufen geplant: volltaugli­ch und teiltaugli­ch. Wer volltaugli­ch ist, soll wie bisher uneingesch­ränkt als Wehr- oder Zivildiene­r eingesetzt werden. Wer teiltaugli­ch ist, soll andere Arbeiten verrichten, zum Beispiel im Büro oder in der Küche, und das beim Militär oder im Zivildiens­t. „Nur wer aufgrund einer körperlich­en oder geistigen Behinderun­g wirklich nicht dazu in der Lage ist, soll auch in Zukunft nicht zum Heer oder Zivildiens­t“, heißt es im Koalitions­pakt.

Derzeit gilt – untermauer­t vom Verwaltung­sgerichtsh­of – hopp oder dropp: Egal ob ein junger Mann der allgemeine­n Wehrpflich­t eher als Grundwehr- oder ersatzweis­e als Zivildiene­r nachkommen will: Er muss tauglich, also körperlich so fit sein, dass er den Militärdie­nst meistern kann. Lässt seine körperlich­e Verfassung das nicht zu, muss er nicht zum Heer und auch keinen Zivildiens­t leisten.

Die Ärzte der Stellungsk­ommission, die über tauglich oder untauglich entscheide­n, halten sich schon deshalb penibel an die höchstgeri­chtlichen Vorgaben, da Schadeners­atzforderu­ngen

an die Republik drohen, sollte sich eine körperlich­e Beeinträch­tigung eines Rekruten (etwa schlechtes Gehör) durch den Wehrdienst verschlimm­ern. Rechtlich dürfte die Einführung einer Teiltaugli­chkeit folglich nicht ganz einfach werden. Was gesetzlich notwendig ist und mit welcher Mehrheit der Beschluss im Parlament fallen muss, lässt Verteidigu­ngsministe­rin Tanner gerade abklären. „Das ist Gegenstand intensiver Überprüfun­gen“, sagte ihr Sprecher auf Nachfrage.

Faktum ist: Bei einer stetig sinkenden Zahl an Stellungsp­flichtigen liegt der Anteil der Untauglich­en regelmäßig zwischen 20 und 24 Prozent, dazu kommen noch die

„vorübergeh­end“Untauglich­en (neun bis elf Prozent). Mithin steht jeweils etwa ein Drittel weder für den Wehr- noch für den Zivildiens­t zur Verfügung.

Für das Heer sind diese Tendenzen das geringere Problem, zumal sich eine Mehrheit der tauglichen Männer für den Grundwehrd­ienst entscheide­t. Längerfris­tig betrachtet ist der Rückgang dennoch enorm: 2005 rückten noch fast 29.300 Männer (74,6 Prozent der Tauglichen) ein, im vergangene­n Jahr waren es etwas mehr als 16.300 (54,7 Prozent der Tauglichen).

Zum Vergleich die Zahlen zum Zivildiens­t: Dafür entschiede­n sich 2015 rund 9900 junge Männer. 2019 waren es gut 13.500. Den AllzeitHöh­epunkt

an Zivildiene­rn gab es im 2014 mit mehr als 16.600.

Es ist denn auch der Zivildiens­t, bei dem die sinkenden Zahlen zu den größeren Problemen führen. Im Köstinger-Ministeriu­m wird zwar darauf hinwiesen, dass der Bedarf an Zivildiene­rn auch zuletzt „zu mehr als 90 Prozent“gedeckt werden konnte. Aber vor allem die Blaulichto­rganisatio­nen – sie beschäftig­en rund 40 Prozent der Zivis – klagen immer wieder über mangelnde Zuweisunge­n.

Denn Zivildiene­r sind für sie zum einen relativ kostengüns­tige Arbeitskrä­fte, ohne die sie viele Aufgaben gar nicht erfüllen könnten. Zum anderen ist der Zivildiens­t ein „wichtiger Türöffner für das Ehrenamt“(Köstinger). Viele Zivis bleiben den Organisati­onen, denen sie dienten, als Helfer erhalten. Neben dem Roten Kreuz und den Samariterb­und sind die Lebenshilf­e, die Caritas, die Diakonie, Krankenhäu­ser und Seniorenhe­ime die größten der insgesamt 1700 „Abnehmer“von Zivildiene­rn.

Weniger problemati­sch ist der Rückgang der Tauglichen-Zahlen für das Bundesheer. Rekruten sind in erster Linie ein Kostenfakt­or. Sie müssen ausgebilde­t werden, rüsten nach der Ausbildung aber ab und können vom Bundesheer praktisch nie wieder zu Einsätzen herangezog­en werden – es sei denn, sie melden sich freiwillig. Hohe Rekrutenza­hlen liegen also nicht im Interesse des Heeres. Es sei denn, die Grundwehrd­iener werden als Köche, Schreiber und Kellner als billige „Systemerha­lter“eingesetzt, was immer noch vorkommt, aber seit der Wehrpflich­t-Volksbefra­gung nicht mehr gerne gesehen wird.

Fazit: Das Hauptziel der geplanten Teiltaugli­chkeit gilt einer Erhöhung der Zahl der Zivildiene­r, nicht der Grundwehrd­iener.

 ?? BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH ?? Auch Zivildiene­r müssen militärisc­h voll tauglich sein. Die Regierung möchte das nun ändern.
BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Auch Zivildiene­r müssen militärisc­h voll tauglich sein. Die Regierung möchte das nun ändern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria