Was tun mit dem aufgeblähten Bundestag?
Das deutsche Parlament hat mehr Abgeordnete als der gesamte US-Kongress. Nur das (Schein-)Parlament in Peking ist noch größer.
BERLIN. Schuld sind die Bayern. Genauer gesagt die CSU. Wäre sie nicht so erfolgreich und würde sie nicht so viele Direktmandate gewinnen, dann gäbe es weniger oder keine Probleme bei der Zusammensetzung des Deutschen Bundestags. Denn wenn die CSU wie 2017 alle 46 bayerischen Direktmandate gewinnt, sie aber ansonsten nur 38,8 Prozent der Stimmen erzielt, entstehen Überhangmandate.
Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei mehr Direktmandate über die Erststimme bekommt als über den prozentualen Zweitstimmenanteil vorgesehen. Durch diese Überhangmandate kommen also mehr Abgeordnete in den Bundestag. Damit am Ende die Sitzverteilung das Zweitstimmenergebnis exakt abbildet, werden diese Überhangmandate seit einer Wahlrechtsreform 2013 ausgeglichen – durch sogenannte Ausgleichsmandate. So weit, so kompliziert.
Das Problem: Die Zahl dieser zusätzlichen Mandate ist nicht gedeckelt. Durch Überhang- und Ausgleichsmandate stieg die Zahl der Abgeordneten nach der Bundestagswahl 2017 auf 709. Das sind 87 mehr als vier Jahre zuvor. Vorgesehen sind eigentlich nur 598. Experten fürchten nun, dass bei einem weiteren Niedergang der Volksparteien CDU/CSU und SPD das Parlament auf bis zu 900 Abgeordnete anwachsen könnte.
Das würde zu höheren Kosten führen: Jeder Abgeordnete kostet etwa 40.000 Euro im Monat. Zum anderen würde der Platz nicht mehr ausreichen. Der Plenarsaal ist schon jetzt übervoll. Auch gäbe es nicht mehr genügend Büroräume für alle Abgeordneten und ihre Mitarbeiter. Derzeit hat jeder Abgeordnete drei Büroräume. Es kämen also bis zu 300 Räume dazu. Die sind derzeit in unmittelbarer Nähe des Reichstags auf dem freien Markt nicht zu finden. Hinzu kommt, dass die Sitzungssäle für die Ausschusssitzungen bis auf den letzten Platz gefüllt sind. Mehr Abgeordnete würden auch größere Ausschüsse bedeuten.
Der erste westdeutsche Bundestag war noch mit 402 Sitzen ausgekommen. Schon vier Jahre später war das Parlament auf 509 Sitze gewachsen. Nach der Wiedervereinigung 1990 waren es dann 662. Mit 709 Abgeordneten ist der Bundestag nun das zweitgrößte Parlament der Welt nach dem chinesischen Volkskongress.
Das Problem des Bläh-Bundestags ist seit Jahren bekannt. An einer Verkleinerung hatte lange Zeit keine der Parteien ein wirkliches Interesse gezeigt. Doch nun könnte
Bewegung in die Diskussion kommen. Eine Gruppe von 53 Unionsabgeordneten im Bundestag will das aufgeblähte Parlament dauerhaft auf 598 Mandate verkleinern. Das geht aus einem Antrag der Gruppe um den Karlsruher CDU-Abgeordneten und Vorsitzenden des Rechnungsprüfungsausschusses, Axel Fischer, hervor.
Vorreiter in der Debatte um den Bläh-Bundestag ist Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Er hatte zu Beginn der Legislaturperiode im Oktober 2017 eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet, die allerdings mittlerweile ergebnislos auseinandergegangen ist. Für den Parlamentspräsidenten ist das Ganze ein „klassisches Dilemma“. Noch aber will er nicht kapitulieren. Der Bundestag müsse erkennen, dass „seine Akzeptanz in der Öffentlichkeit Schaden nimmt, wenn er nichts ändert“.
Auch die FDP, Grüne und Linke haben einen gemeinsamen Vorschlag zur Verkleinerung des Parlaments eingebracht. Die drei Oppositionsparteien wollen die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 250 reduzieren sowie gleichzeitig die Zahl der regulären Sitze von 598 auf 630 erhöhen. Das aber geht den Unions-Parteien absolut gegen den Strich, denn für sie sind die Direktmandate so etwas wie heilige Kühe.
Wer seinen Wahlkreis direkt gewonnen hat, gehört sozusagen zum Adel der Partei. In der Union steht ein solcher Erfolg für Volksverbundenheit. Er ist Ausweis des unmittelbaren Kontakts zum Wähler. Das gilt besonders für die CSU, wo man ohne Direktmandat jede Hoffnung auf einen Sitz im Parlament begraben kann. Das musste auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann erfahren, der 2017 trotz Platz eins auf der Landesliste nicht in den Bundestag kam.
Besonders erbost reagierte man in der Union, als Bundestags-Vize Thomas Oppermann (SPD) vorschlug, ohne den Koalitionspartner eine Reform durchzusetzen: „Es gibt im Bundestag eine Mehrheit für eine solche Reform. SPD, Grüne, Linke und FDP sind sich im Wesentlichen einig. Deshalb müssen wir den Druck auf die Union weiter erhöhen.“Die Union empfand das als „Provokation“.
Auch die Alternative für Deutschland (AfD) kann sich vorstellen, die Axt an die Direktmandate zu legen. Jede Partei soll maximal so viele Direktmandate erhalten, wie ihr nach dem Zweitstimmenanteil zustehen. Insgesamt soll die Zahl der Abgeordneten auf 500 oder sogar auf nur noch 450 verringert werden. Damit liegt sie auf einer Linie mit dem Bund der Steuerzahler, der für 500 plädiert.
Noch hat der Bundestag eine echte Chance, die Zahl der Abgeordneten bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2021 zu begrenzen. Allerdings: Die Uhr tickt. Ab 25. März 2020 können die Parteien Kandidaten für die nächste Bundestagswahl aufstellen. Spätestens an diesem Tag fährt der Zug ab – es sei denn, die anderen Parteien folgen dem Antrag der AfD, diese Frist um drei Monate zu verschieben. Derzeit beraten noch die Ausschüsse.
Bislang deutet sich auf UnionsSeite nur bei Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ein Einlenken an: „Es geht ohne eine Verringerung der Zahl der Wahlkreise nicht. Das müssen wir jetzt schnell machen, denn die Wahlkreise müssen neu eingeteilt werden.“
„Die Zahl der Wahlkreise muss verringert werden. Anders geht es nicht.“Wolfgang Schäuble, Parlamentspräsident