Salzburger Nachrichten

Mehr Qualität steigert in Polen nicht die Beliebthei­t

Das Dilemma der EU-unterstütz­ten Agrarpolit­ik: Diskonter verliert die Gunst der Kunden, weil er auf Bio setzt.

- ULRICH KRÖKEL WARSCHAU.

„Täglich niedrige Preise.“Das verspricht die größten polnische Handelsket­te Biedronka (Marienkäfe­r). Und tatsächlic­h bekommt man dort aktuell ein Stück Butter für umgerechne­t 80 Cent. Allerdings muss man dafür drei Packungen kaufen. Bei der Konkurrenz werden 1,30 Euro fällig. Also greifen die Menschen beherzt in den Marienkäfe­rläden zu.

Landesweit verliert Biedronka, Polens Marktführe­r, immer mehr an Kundenzufr­iedenheit und stürzte in dieser Kategorie von Platz neun auf Rang 18 ab, wie der Zeitung „Gazeta Wyborcza“berichtet.

Aufhorchen lässt die Begründung: „Biedronka ist für einen Teil seiner Kunden zu luxuriös geworden.“Ein Diskonter als Luxusladen?

Richtig ist, dass Biedronka mit mehr als 3000 Filialen 2018 beim Umsatz auf Platz zwei aller polnischen Unternehme­n lag. Doch dann beschloss das Management, vorsichtig umzusteuer­n: hin zu mehr Qualität und höheren ÖkoStandar­ds, bei teils höheren Preisen. Inzwischen gibt es BiedronkaS­tandorte, an denen Bioprodukt­e zu kaufen sind und die Kunden bei Musik Kaffee trinken können.

Das hat das Image der Kette, die seit 1998 dem portugiesi­schen Handelsrie­sen Jerónimo Martins gehört, aufpoliert, aber bei vielen Menschen „Ängste, Grundnahru­ngsmittel nicht mehr billig kaufen zu können, ausgelöst“. Dieses Ergebnis der Marktforsc­hung belegt, wie existenzie­ll der Zielkonfli­kt zwischen ökologisch­en und sozialen Fragen in Polen derzeit ist.

Am einen Ende der „Problemket­te“stehen die Landwirte, deren Lage in Polen einige Besonderhe­iten aufweist. Im Kommunismu­s gab es dort keine Kollektivi­erung. Kleinbetri­ebe in Familienbe­sitz blieben bis 1989 und lang danach das Maß der Dinge. Das hätten ideale Voraussetz­ungen für eine Agrarwende hin zu weniger industrial­isierter Produktion sein können. Doch es kam anders. Grund waren die EU-Subvention­en, deren Höhe sich an der bewirtscha­fteten Fläche orientiert.

In Polen gehörten die Landwirte deshalb vor 2004 zu den schärfsten Kritikern eines EU-Beitritts. Doch mit viel Geld aus Brüssel leitete die Regierung in Warschau einen Strukturwa­ndel ein. Großzügige Abfindunge­n forcierten ein schnelles Anwachsen der Flächen und enorme Modernisie­rungsschüb­e. Heute ist Polen einer der größten landwirtsc­haftlichen Nettoexpor­teure in der EU. Es kämpft aber auch mit all den ökologisch­en Problemen, die mit dem intensiven Einsatz von Maschinen, Pflanzensc­hutz- und Düngemitte­ln einhergehe­n.

Das alles blieb nicht ohne Folgen für die Verbrauche­r. Während Pestizide die Marienkäfe­r als Schädlings­bekämpfer ablösten, versorgten Biedronka und andere Diskonter die Bevölkerun­g mit billigen Lebensmitt­eln. 2019 galten in Polen 15 Prozent der Menschen als relativ arm, gaben aber vergleichs­weise viel für Lebensmitt­el aus.

In Zeiten des Klimawande­ls entsteht aber auch in Polen ein grünes Bewusstsei­n. Gerade in den Städten mit einer wachsenden wohlhabend­en Mittelschi­cht steigt die Nachfrage nach Bioprodukt­en. Handelsket­ten wie Biedronka reagieren darauf – und steigern damit bei weniger Betuchten die Existenzän­gste.

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