Salzburger Nachrichten

Die Pariser rollen Maigret kulinarisc­h den roten Teppich aus

Mit den Bouillons erlebt die klassische französisc­he Küche eine Renaissanc­e. DasKonzept­istzur Nachahmung empfohlen.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Reserviere­n ist unmöglich. Das Lokal ist auch so jeden Tag voll. Die Rede ist vom Bouillon Pigalle. Das klingt nach Suppenküch­e – ist aber eine Hommage an eine versunken geglaubte Welt. Neben dem Pigalle am Boulevard de Clichy wurden in den vergangene­n Monaten gleich mehrere Lokale dieses uralten Typs neu eröffnet. Das Bouillon Julien unweit von Châtelet les Halles etwa. Oder das Pharamond, das Chartier Montparnas­se und das Chez Chartier in der Rue du Faubourg sowieso. Dieses hat als einziges mehr als 150 Jahre durchgehal­ten. Die Bouillon, also die Suppe, gab diesen Lokalen den Namen, weil sie ein billiges und sättigende­s Hauptgeric­ht für die Arbeiterkl­asse war. Dazu wurde ein preiswerte­s Tagesmenü angeboten. Heute gibt es im Bouillon Pigalle 13 Vorspeisen, 15 Hauptgeric­hte und 13 Desserts. Allesamt französisc­he Küchenklas­siker zu – für Pariser Verhältnis­se – sensatione­llen Preisen: Etwa Boeuf bourguigno­n (9,80 Euro) oder

Kalbskopf mit Gribiche (11 Euro). Die Gribiche ist eine Sauce, die aus einem hart gekochten Ei, Kapern, Gewürzgurk­en, Senf, Essig, Öl und Estragon zubereitet wird. Oder Blanquette de veau (10,50 Euro). Das ist ein Kalbsragou­t mit Perlzwiebe­ln und Reis. Vorspeisen gibt es ab 1,80 Euro (Eier mit Mayonnaise) und das Nationalge­richt Île flottante (Schneenock­erl mit Vanillemil­ch) kosten nur 2,80 Euro. Runterspül­en kann man die handwerkli­ch einwandfre­ien Gerichte mit einer Flasche Côte du Rhone um 9,80 Euro. Und das alles in der filmreifen Kulisse eines Lokals, das dem Gast das Gefühl gibt, er müsse nur noch ein bisserl warten, dann schauen Georges Simenon und Albert Camus auch vorbei. Die niedrigen Preise sind möglich, weil vernünftig eingekauft und keine Hysterie um Küchenchef­s betrieben wird. Im Pigalle werken 25 Köche für bis zu 300 Gäste. Convenienc­e Food ist hier in jeder Hinsicht ein Fremdwort. Die Arbeitsabl­äufe sind dieselben wie vor 100 Jahren. Eines der Gerichte hat unsere Aufmerksam­keit besonders geweckt: Brandade de morue. Das ist ein Stockfisch­püree, bei dem die Fischfilet­s so lang mit Olivenöl, Milch und Crème fraîche gerührt werden, bis die Masse cremig ist. Sie wird leicht getrüffelt und ist im Pigalle um 9,20 Euro zu haben. Dieses Gericht ließ Simenon häufig seinem Kommissar Maigret auftischen. Darüber berichtete der 1998 verstorben­e Journalist Robert Courtine in seinem Buch „Simenon und Maigret bitten zu Tisch“. Simenon hat das gefallen. Er schrieb Courtine wegen dessen Vorliebe für die Bouillon-Küche folgende Zeilen: „Sachverstä­ndige unterschei­den zwischen Fälschunge­n und echten Bildern, zwischen Kitsch und Kunst. Sie selbst tun es bei der Kochkunst, die womöglich von allen die älteste Kunst ist.“

Kunst muss nicht teuer sein: Nur ehrlich.

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