Die Pariser rollen Maigret kulinarisch den roten Teppich aus
Mit den Bouillons erlebt die klassische französische Küche eine Renaissance. DasKonzeptistzur Nachahmung empfohlen.
Reservieren ist unmöglich. Das Lokal ist auch so jeden Tag voll. Die Rede ist vom Bouillon Pigalle. Das klingt nach Suppenküche – ist aber eine Hommage an eine versunken geglaubte Welt. Neben dem Pigalle am Boulevard de Clichy wurden in den vergangenen Monaten gleich mehrere Lokale dieses uralten Typs neu eröffnet. Das Bouillon Julien unweit von Châtelet les Halles etwa. Oder das Pharamond, das Chartier Montparnasse und das Chez Chartier in der Rue du Faubourg sowieso. Dieses hat als einziges mehr als 150 Jahre durchgehalten. Die Bouillon, also die Suppe, gab diesen Lokalen den Namen, weil sie ein billiges und sättigendes Hauptgericht für die Arbeiterklasse war. Dazu wurde ein preiswertes Tagesmenü angeboten. Heute gibt es im Bouillon Pigalle 13 Vorspeisen, 15 Hauptgerichte und 13 Desserts. Allesamt französische Küchenklassiker zu – für Pariser Verhältnisse – sensationellen Preisen: Etwa Boeuf bourguignon (9,80 Euro) oder
Kalbskopf mit Gribiche (11 Euro). Die Gribiche ist eine Sauce, die aus einem hart gekochten Ei, Kapern, Gewürzgurken, Senf, Essig, Öl und Estragon zubereitet wird. Oder Blanquette de veau (10,50 Euro). Das ist ein Kalbsragout mit Perlzwiebeln und Reis. Vorspeisen gibt es ab 1,80 Euro (Eier mit Mayonnaise) und das Nationalgericht Île flottante (Schneenockerl mit Vanillemilch) kosten nur 2,80 Euro. Runterspülen kann man die handwerklich einwandfreien Gerichte mit einer Flasche Côte du Rhone um 9,80 Euro. Und das alles in der filmreifen Kulisse eines Lokals, das dem Gast das Gefühl gibt, er müsse nur noch ein bisserl warten, dann schauen Georges Simenon und Albert Camus auch vorbei. Die niedrigen Preise sind möglich, weil vernünftig eingekauft und keine Hysterie um Küchenchefs betrieben wird. Im Pigalle werken 25 Köche für bis zu 300 Gäste. Convenience Food ist hier in jeder Hinsicht ein Fremdwort. Die Arbeitsabläufe sind dieselben wie vor 100 Jahren. Eines der Gerichte hat unsere Aufmerksamkeit besonders geweckt: Brandade de morue. Das ist ein Stockfischpüree, bei dem die Fischfilets so lang mit Olivenöl, Milch und Crème fraîche gerührt werden, bis die Masse cremig ist. Sie wird leicht getrüffelt und ist im Pigalle um 9,20 Euro zu haben. Dieses Gericht ließ Simenon häufig seinem Kommissar Maigret auftischen. Darüber berichtete der 1998 verstorbene Journalist Robert Courtine in seinem Buch „Simenon und Maigret bitten zu Tisch“. Simenon hat das gefallen. Er schrieb Courtine wegen dessen Vorliebe für die Bouillon-Küche folgende Zeilen: „Sachverständige unterscheiden zwischen Fälschungen und echten Bildern, zwischen Kitsch und Kunst. Sie selbst tun es bei der Kochkunst, die womöglich von allen die älteste Kunst ist.“
Kunst muss nicht teuer sein: Nur ehrlich.