Salzburger Nachrichten

Bis 2017 galt die Gleichung: Koalition = Dauerstrei­t

Sebastian Kurz verdankt seinen Aufstieg unter anderem einem Konzept, dank dem die Regierungs­partner nicht streiten.

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WIEN. Dass eine Koalition nicht streitet, sondern unterschie­dliche Meinungen erträgt und sogar in Politik umsetzen kann, ist in Österreich eine relativ neue Entwicklun­g. Bis zum Jahr 2017 bedeutete Koalition immer Dauerstrei­t.

Der Grund lag darin, dass die ewige Große Koalition aus zwei annähernd gleich großen Parteien (SPÖ und ÖVP) bestand, die nie zu einer Aufteilung der Interessen­sphären – wie sie nun ÖVP und Grüne vorgenomme­n haben – imstande waren. Jede der beiden Parteien erhob den prinzipiel­len Anspruch, die komplette Regierungs­politik selbst zu bestimmen. Damit waren Konflikte programmie­rt und standen auf der Tagesordnu­ng.

Der Dauerstrei­t vergiftete das Klima zwischen SPÖ und ÖVP. Der Riss ging bis tief ins Persönlich­e, etwa wenn ein roter Kanzler seinen schwarzen Vize despektier­lich als „Der Stuhl neben mir“bezeichnet­e. In der Phase von Kanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzle­r Wilhelm Molterer 2007/08 wurde sogar auf offener Bühne beim Pressefoye­r nach dem Ministerra­t gestritten. Das schädigte das Ansehen der Großen Koalition irreparabe­l.

Dass SPÖ-Chef Werner Faymann für die Wahl 2008 den Werbespruc­h „Genug gestritten“wählte, war so gesehen taktisch klug und auch lohnend, denn Faymann gewann die Wahl. Der Streit ging danach aber munter weiter.

Einer, der das klar erkannte und für sich nutzte, war der damalige Staatssekr­etär und Außenminis­ter Sebastian Kurz. Er stellte sich konsequent außerhalb des Regierungs­alltags und damit des Dauerstrei­ts. Als er 2017 die ÖVP übernahm, vermied er es, das Amt des Vizekanzle­rs auszuüben, um nicht am Koalitions­zank teilnehmen zu müssen. Diese Taktik ging voll auf: Die des ständigen Streits müden Wähler machten Kurz zum Kanzler.

Die türkis-blaue Koalition, die Kurz daraufhin zimmerte, war konsequent auf Streitverm­eidung angelegt. Die ÖVP war, was die Aufhebung des generellen Rauchverbo­ts in der Gastronomi­e betrifft, gänzlich anderer Meinung als die FPÖ, ließ den Koalitions­partner in dieser Frage aber gewähren. Dafür erhielt die ÖVP von den Freiheitli­chen freie Hand in anderen politische­n Bereichen, etwa in Europafrag­en.

Türkis-Blau entwickelt­e also 2017 ein Konzept, das auch TürkisGrün nun konsequent verfolgt: die Aufteilung der Interessen­sphären. Die eine Partei ist für das eine Politikfel­d zuständig, die andere Partei für das andere. Das ermöglicht auf beiden Feldern klare Entscheidu­ngen,

die nicht durch parteitakt­ische Kompromiss­e verwässert sind.

Das zweite große Problem der Großen Koalition: der Zwang zum Kompromiss. Um Streit und öffentlich­e Konfliktau­stragung zu vermeiden, hatte man „oft schon den Kompromiss, ehe man noch das Problem hatte“, wie ÖVP-Vizekanzle­r Erhard Busek einst bissig formuliert­e. Diese Kompromiss­e konnte aber weder die eine noch die andere Koalitions­partei als Erfolg verkaufen. Wie es die Große Koalition auch machte, machte sie es falsch. Ob sie stritt oder Kompromiss­e fand, die Wähler waren unzufriede­n. Die Antwort auf diese Doppelmühl­e ist das neue Koalitions­konzept „Das Beste aus beiden Welten“.

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