Der Streit um Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer eskaliert
Erdoğan droht Griechenland und Zypern, die Interessen der Türkei auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.
Begleitet von Einheiten der Kriegsmarine kreuzt ein türkisches Forschungsschiff seit Anfang Februar vor Griechenland und Zypern. Die Erkundungsmission gilt einem Schatz, der tausende Meter unter dem Meeresboden liegt. Forscher vermuten im östlichen Mittelmeer bis zu einem Drittel der globalen Gasvorkommen. Um die Ausbeutung der Bodenschätze schwelt seit Jahren ein Konflikt zwischen der Türkei und anderen Anrainern. Jetzt eskaliert der Streit, könnte sogar zu einer militärischen Konfrontation führen.
Zwei konkurrierende Energie-Allianzen haben sich im östlichen Mittelmeer gebildet. Eine besteht aus Israel, Ägypten, Jordanien, der palästinensischen Autonomiebehörde, Zypern, Italien und Griechenland. Sie wollen vor allem bei der Vermarktung ihrer Gasvorkommen zusammenarbeiten. Frankreich soll achtes Mitglied werden, die USA „ständiger Beobachter“.
Die Türkei ist nicht dabei, obwohl sie die längste Küstenlinie aller Anrainer hat. Der Grund: Unter Staatschef Recep Tayyip Erdoğan hat sich das Land mit allen Nachbarn überworfen. Ankara erkennt das EU-Land Zypern, dessen Norden die Türkei seit 1974 militärisch besetzt hält, nicht als Staat an. Aus türkischer Sicht hat die Inselrepublik
deshalb auch keine eigene Wirtschaftszone. Ankara reklamiert die Küstengewässer für sich. Auch mit Griechenland liegt die Türkei seit Jahrzehnten wegen des Streits um die Hoheits- und Wirtschaftszonen im Clinch. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu droht jetzt sogar, die Türkei werde ihre Ansprüche „selbstverständlich“mit militärischer Gewalt durchsetzen.
Erdoğan will Fakten schaffen: So unterzeichnete er mit Libyens Premier Fayiz al-Sarradsch ein Seegrenzen-Abkommen. Er beansprucht Seegebiete um die griechischen Inseln Kreta, Karpathos, Rhodos und Kastelorizo, die laut UNOSeerechtskonvention Griechenland als Wirtschaftszone zustehen.
Und Erdoğan versucht, ein ehrgeiziges Projekt zu durchkreuzen: den Bau der Gaspipeline EastMed. Griechenland, Zypern und Israel haben das Vorhaben vergangenes Jahr angeschoben. Die Leitung soll Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer über Griechenland nach Italien bringen, wo es ins europäische Pipeline-Netz eingespeist werden könnte. Damit würde Westeuropa unabhängiger von russischem Erdgas. Der Haken: Die Leitung müsste durch die jetzt von der Türkei und Libyen beanspruchte Wirtschaftszone verlegt werden – was Erdoğan nicht zulassen will.
Der türkische Staatschef hat einen mächtigen Verbündeten: Kremlchef Wladimir Putin. Er sieht in EastMed ein Konkurrenzprojekt zu der Pipeline Turkish Stream, die ab heuer russisches Gas quer durch das Schwarze Meer in die Westtürkei
und weiter nach Europa bringen soll. Putins und Erdoğans Interessen ergänzen sich: Russland will seine Dominanz auf dem europäischen Gasmarkt verteidigen, die Türkei ihre geostrategische Rolle als Gas-Transitland stärken.
Die USA wiederum verfolgen eigene Interessen im östlichen Mittelmeer. Die USA sind einer der größten Exporteure von verflüssigtem Erdgas und wollen den Russen bei der Gasversorgung der Balkanländer Konkurrenz machen. Dem nordgriechischen Hafen Alexandroupoli ist dabei eine Schlüsselrolle zugedacht. Von dort soll Gas aus US-Tankern über eine Pipeline nach Bulgarien und in andere Balkanländer gepumpt werden, die heute noch fast völlig von der russischen Gazprom abhängig sind.