Der Rausch auf Ibiza war ein mickriges Gelage
Schmutzige Zehennägel bekommt man nicht zu Gesicht. Impulsgeber ist aber sehr wohl der Politskandal auf der spanischen Ferieninsel. Elfriede Jelinek schreibt über ihren Text „Schwarzwasser“, der am Donnerstag im Akademietheater uraufgeführt wurde, vom „Ibiza-Filmchen“, das eine Opferkult-Krise ausgelöst hat. Ihr Stück bringt aber weit mehr auf die Bühne. Es zeigt die vielen Gesichter von Populismus und Massenverblendung – nicht nur in Österreich.
Die für die Literaturnobelpreisträgerin typisch sprachgewaltige Assoziationsflut strömt dabei in losen Szenen ohne Handlungsstrang. Da ist zum Beispiel der Sprechchor aus Studierenden des Reinhardt-Seminars. Er unterstreicht in rhythmischem Gleichklang das abgrenzende „Wir“und „Sie“. Um den Keim der Gewalt zu fassen, stützt sich Elfriede Jelinek auf die Theorie des französischen Philosophen René Girard. Aus „Eintritt macht frei“, wie der Banner an der Wand verkündet, kann ausgesprochen schließlich auch „Ein Tritt macht frei“werden. Und so wird gleich mit Schlagstöcken die bühnenfüllende Gipsplattenwand zertrümmert.
Die Plumpheit des grellpinken Gorillas, den Caroline Peters – wie alle ihre Rollen hier – hervorragend herüberbringt, erinnert anfangs an den Trump’schen Stil. Martin Wuttke wiederum unterstreicht die Lachhaftigkeit und Verzweiflung eines gefallenen Politikers als unbeholfener Joker. An der Seite ist wieder großartig Caroline Peters als Poison Ivy, die den stammelnden Partner zu unterstützen versucht.
Zu den Demagogen gehört auch die toxische Männlichkeit. Sie trifft auf anzügliche Blondinen und Discogewummere. Der selbstverliebte Strahlemann Kurz, aalglatt verkörpert von Felix Kammerer, ist ein „junger Agitator, der aber nicht agiert, dafür hat er andre, der nicht reagiert, dafür hat er andre, er regiert, das genügt ihm“. Er opfert sein Spiegelbild, den besoffenen
Strache, um als Gewinner hervorzugehen. Doch „die Sanftmut dieses jungen Gottes ist gespielt“.
Ebenso unschuldig und etwas dümmlich kann die Volksverführung sein, wie Caroline Peters als Infantin in Regisseur Robert Borgmanns Velázquez-Gemälde mit piepsiger Stimme darstellt.
Jelinek kritisiert die Trivialisierung von Politik mit ihren verknappten, effektheischenden Botschaften. „Sein Gottsein beruht auf Verständlichkeit“heißt es an einer Stelle. Nach der Pause finden wir uns in einem Ausstellungsraum mit einem Ölgemälde, das Beate Zschäpe von der deutschen Terrorgruppe NSU zeigt. Ihr hat Jelinek schon das Theaterstück „Das schweigende Mädchen“gewidmet.
Es sind also viele Einzelfälle, die das Bild von Massenverführung und Herrschsucht zeichnen. Unterlegt sind diese zusammenhanglosen Szenen mit Euripides’ griechischer Tragödie „Die Bakchen“. Darin kehrt Gott Dionysos nach Theben heim, rächt sich an der Verwandtschaft, die ihn nicht anerkennt, und lässt die Frauen dem Wahn verfallen. Sie zerreißen den jungen Herrscher Pentheus.
Der dionysische Rausch auf Ibiza entpuppt sich als „mickriges Gelage, der letzte Rest vom Schützenfest auf einer Ferieninsel“mit „gebranntem Wasser und Energetikgetränk“, wie es heißt. Er spielt in diesem Politskandal eine Rolle, und er steht für den Machtrausch, in dem Strache die Herrschaft über die Medienlandschaft verspricht und die Natur gleich mitverkauft. Flüsse und Seen könne man gewinnbringend privatisieren, Berge und Täler seien für den Straßenbau zu nutzen. Mit den Fridays-for-Future-Aktivisten, die im Vorspann in schlechtem Schwedisch rufen, verknüpft Regisseur Borgmann das nicht wirklich, aber sie sind auch Teil der dreistündigen Zeitgeist-Collage.
Die Inszenierung dämmt die mit Referenzen gespickte Textgrundlage nicht ein. Eher passiert das Gegenteil: Borgmann lässt bei Regie und Bühnenbild seiner Fantasie freien Lauf. Ohne Handlungsbogen und in dieser Geschwindigkeit ist es unmöglich, die vielen Querverweise zu entschlüsseln.
Schwarzwasser ist Abwasser mit Fäkalien. In der Jelinek’schen Version treiben latente Gewalt und Populismus, die das gesellschaftliche Klima vergiften. Das hochaktuelle Theaterstück ist der unfeierliche Ritus dazu, der gleichzeitig warnt. So tut die Literaturnobelpreisträgerin, was zum Beispiel auch Karl Kraus getan hat: Alles Gesagte vorführen.
Eine klassische Parodie macht die überspitzte Realität oft nicht möglich. Also zitiert sie mit unfassbarem Wortwitz. Damit hat sie Lacher und Applaus auf ihrer Seite.
Dieser gebührt auch Schauspielerquartett und singendem Team für die Umsetzung.
Theater: dem dem ausdrucksstarke