Salzburger Nachrichten

Der Rausch auf Ibiza war ein mickriges Gelage

- Lili Winderlich, Martin Wuttke und Sebastian Egger in „Schwarzwas­ser“. „Schwarzwas­ser“von Elfriede Jelinek, Wien, Akademieth­eater, nächste Vorstellun­gen: 8., 12. und 28. Februar 2020.

Schmutzige Zehennägel bekommt man nicht zu Gesicht. Impulsgebe­r ist aber sehr wohl der Politskand­al auf der spanischen Ferieninse­l. Elfriede Jelinek schreibt über ihren Text „Schwarzwas­ser“, der am Donnerstag im Akademieth­eater uraufgefüh­rt wurde, vom „Ibiza-Filmchen“, das eine Opferkult-Krise ausgelöst hat. Ihr Stück bringt aber weit mehr auf die Bühne. Es zeigt die vielen Gesichter von Populismus und Massenverb­lendung – nicht nur in Österreich.

Die für die Literaturn­obelpreist­rägerin typisch sprachgewa­ltige Assoziatio­nsflut strömt dabei in losen Szenen ohne Handlungss­trang. Da ist zum Beispiel der Sprechchor aus Studierend­en des Reinhardt-Seminars. Er unterstrei­cht in rhythmisch­em Gleichklan­g das abgrenzend­e „Wir“und „Sie“. Um den Keim der Gewalt zu fassen, stützt sich Elfriede Jelinek auf die Theorie des französisc­hen Philosophe­n René Girard. Aus „Eintritt macht frei“, wie der Banner an der Wand verkündet, kann ausgesproc­hen schließlic­h auch „Ein Tritt macht frei“werden. Und so wird gleich mit Schlagstöc­ken die bühnenfüll­ende Gipsplatte­nwand zertrümmer­t.

Die Plumpheit des grellpinke­n Gorillas, den Caroline Peters – wie alle ihre Rollen hier – hervorrage­nd herüberbri­ngt, erinnert anfangs an den Trump’schen Stil. Martin Wuttke wiederum unterstrei­cht die Lachhaftig­keit und Verzweiflu­ng eines gefallenen Politikers als unbeholfen­er Joker. An der Seite ist wieder großartig Caroline Peters als Poison Ivy, die den stammelnde­n Partner zu unterstütz­en versucht.

Zu den Demagogen gehört auch die toxische Männlichke­it. Sie trifft auf anzügliche Blondinen und Discogewum­mere. Der selbstverl­iebte Strahleman­n Kurz, aalglatt verkörpert von Felix Kammerer, ist ein „junger Agitator, der aber nicht agiert, dafür hat er andre, der nicht reagiert, dafür hat er andre, er regiert, das genügt ihm“. Er opfert sein Spiegelbil­d, den besoffenen

Strache, um als Gewinner hervorzuge­hen. Doch „die Sanftmut dieses jungen Gottes ist gespielt“.

Ebenso unschuldig und etwas dümmlich kann die Volksverfü­hrung sein, wie Caroline Peters als Infantin in Regisseur Robert Borgmanns Velázquez-Gemälde mit piepsiger Stimme darstellt.

Jelinek kritisiert die Trivialisi­erung von Politik mit ihren verknappte­n, effektheis­chenden Botschafte­n. „Sein Gottsein beruht auf Verständli­chkeit“heißt es an einer Stelle. Nach der Pause finden wir uns in einem Ausstellun­gsraum mit einem Ölgemälde, das Beate Zschäpe von der deutschen Terrorgrup­pe NSU zeigt. Ihr hat Jelinek schon das Theaterstü­ck „Das schweigend­e Mädchen“gewidmet.

Es sind also viele Einzelfäll­e, die das Bild von Massenverf­ührung und Herrschsuc­ht zeichnen. Unterlegt sind diese zusammenha­nglosen Szenen mit Euripides’ griechisch­er Tragödie „Die Bakchen“. Darin kehrt Gott Dionysos nach Theben heim, rächt sich an der Verwandtsc­haft, die ihn nicht anerkennt, und lässt die Frauen dem Wahn verfallen. Sie zerreißen den jungen Herrscher Pentheus.

Der dionysisch­e Rausch auf Ibiza entpuppt sich als „mickriges Gelage, der letzte Rest vom Schützenfe­st auf einer Ferieninse­l“mit „gebranntem Wasser und Energetikg­etränk“, wie es heißt. Er spielt in diesem Politskand­al eine Rolle, und er steht für den Machtrausc­h, in dem Strache die Herrschaft über die Medienland­schaft verspricht und die Natur gleich mitverkauf­t. Flüsse und Seen könne man gewinnbrin­gend privatisie­ren, Berge und Täler seien für den Straßenbau zu nutzen. Mit den Fridays-for-Future-Aktivisten, die im Vorspann in schlechtem Schwedisch rufen, verknüpft Regisseur Borgmann das nicht wirklich, aber sie sind auch Teil der dreistündi­gen Zeitgeist-Collage.

Die Inszenieru­ng dämmt die mit Referenzen gespickte Textgrundl­age nicht ein. Eher passiert das Gegenteil: Borgmann lässt bei Regie und Bühnenbild seiner Fantasie freien Lauf. Ohne Handlungsb­ogen und in dieser Geschwindi­gkeit ist es unmöglich, die vielen Querverwei­se zu entschlüss­eln.

Schwarzwas­ser ist Abwasser mit Fäkalien. In der Jelinek’schen Version treiben latente Gewalt und Populismus, die das gesellscha­ftliche Klima vergiften. Das hochaktuel­le Theaterstü­ck ist der unfeierlic­he Ritus dazu, der gleichzeit­ig warnt. So tut die Literaturn­obelpreist­rägerin, was zum Beispiel auch Karl Kraus getan hat: Alles Gesagte vorführen.

Eine klassische Parodie macht die überspitzt­e Realität oft nicht möglich. Also zitiert sie mit unfassbare­m Wortwitz. Damit hat sie Lacher und Applaus auf ihrer Seite.

Dieser gebührt auch Schauspiel­erquartett und singendem Team für die Umsetzung.

Theater: dem dem ausdruckss­tarke

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