Bitte einmal abstauben!
Ein Blick auf die Oscarfavoriten führt zu einer Frage: Wieso erzählt Hollywood so gern die immer gleichen Geschichten?
Auch Joaquin Phoenix übte Branchenkritik
Ein finsterer Antiheld, ein psychisch beeinträchtigter Mann, der seine Kränkungen in Zorn übersetzt: „Joker“gilt Fans als der Inbegriff des Autorenfilms unter den Comicverfilmungen, irgendwie neu, düster, anders und revolutionär, und die elf Oscarnominierungen für den Film wurden als Dammbruch gefeiert: Endlich werden Comicverfilmungen als Kunst ernst genommen! Als hätte es die Nominierungen für „Black Panther“und „The Dark Knight“nie gegeben.
In Wahrheit ist Todd Philipps’ Film ein nostalgisches Ding, das in fast jeder Szene das New Hollywood der Siebziger zitiert, allen voran Regiegott Martin Scorsese.
Das ist typisch für die Academy Awards, schließlich feiert sich die Filmbranche bei dieser Preisverleihung seit 92 Jahren vor allem selbst.
Natürlich sind da dann jene Filme besonders beliebt, die direkt oder indirekt von Hollywood und seiner Geschichte erzählen. So sind die Menschen: Die meisten hören sich gern selbst reden und sehen sich selbst gern auf der Leinwand.
Den Hang zum Selbstreferenziellen, zur Eitelkeit der Branche, bestätigen auch die sonstigen Favoriten für die 92. Oscarverleihung, die in der Nacht auf Montag stattfindet:
Martin Scorseses zehnfach nominierter Film „The Irishman“ist so etwas wie das brillante, nostalgische letzte Kapitel eines ganzen Genres, nämlich des von Scorsese miterfundenen Mafiaepos, dieser Familiengeschichten sentimentaler, brutaler Männer; dass ihm auch der „Joker“so sehr huldigt, macht diesen Jahrgang speziell absurd.
Mindestens so nostalgisch ist „Once Upon A Time in Hollywood“, ebenfalls zehn Nominierungen, mit dem Quentin Tarantino dem Hollywood der späten Sechziger ein Denkmal setzt und tröstliche Geschichtsfälschung betreibt.
Dass der vierte Favorit mit „1917“ein Erster-Weltkrieg-Epos ist, dem die deutsche Feuilletonistin Sabine Horst eine Brexit-Reiß-dich-zusammen-Botschaft ebenso attestiert wie die Tauglichkeit als eskapistisches „Herr der Ringe“-Remake, ist nun auch nicht gerade innovativ, sondern beruft sich auf ein Früherwar-alles-besser, das nur für eine sehr überschaubare Zuschauerschicht wahr ist. Der Rest des potenziellen Publikums wird immer öfter auf Streamingplattformen als im Hollywoodkino glücklich.
„So lange Hollywood historische Kriegsfilme macht, so lange wird es rassistisch und sexistisch bleiben“, schrieb der britische Kritiker Caspar Salmon zum Sieg von „1917“bei den den britischen Filmpreisen BAFTA. Dort gewann Joaquin Phoenix für seine „Joker“-Darstellung den Schauspielerpreis und sagte bei seiner Dankesrede sinngemäß, er sei Teil des Problems einer Filmwirtschaft, in der immer dieselben Gesellschaftsschichten ihre Geschichten erzählen könnten und dafür ausgezeichnet würden. Vor lauter Ergriffenheit über seine Erkenntnis ließ er danach seinen Preis am Pult stehen – und er hatte recht: Die Filme und Künstlerinnen, die man hätte nominieren können, gab es heuer tatsächlich im Kino, doch sie wurden bei den ganz großen Filmpreisen weiträumig ignoriert.
Zu den offensichtlichsten Auslassungen zählen Jennifer Lopez als Stripperin im Thriller „Hustlers“, Lupita Nyong’o in der sensationell gespielten Doppelrolle der unheimlichen Mütter in Jordan Peeles Horrorthriller „Us“, und Lulu Wangs „The Farewell“. Immerhin hat Greta Gerwigs „Little Women“-Neuverfilmung sechs Nominierungen bekommen, sie war der Academy aber keine Regie-Nominierung wert.
Eine Neuerung gibt es heuer jedenfalls, und daran dürfte ein österreichischer Film zumindest ein wenig Anteil haben: Die Kategorie, die bisher „Bester fremdsprachiger Film“hieß, nennt sich ab heuer „Bester Internationaler Film“, wohl auch als Reaktion darauf, dass zwei Einreichungen abgelehnt wurden, weil der Anteil an englischsprachigen Dialogen zu hoch war.
Der eine Film war Sudabeh Mortezais „Joy“, gerade erst mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnet, der andere „Lionheart“, die erste nigerianische Einreichung der Geschichte. Die Umbenennung der Kategorie ist allerdings reine Kosmetik, die Regeln bleiben gleich.
Dass heuer ein koreanischer Film, nämlich Bong Joon-hos böse Gesellschaftssatire „Parasite“in beiden Kategorien nominiert ist, macht die Absurdität dessen offensichtlich, „Auslandsoscar“und „Bester Film“zu trennen. Oder, um Joon-ho zu zitieren: „Die Oscars sind eher eine regionale Veranstaltung.“
Also nicht so viel Theater um das Ganze – denn das Publikum ist größer, bunter, neugieriger als sich das die Academy-Mitglieder träumen lassen. Und wenn Hollywood nicht liefert, lassen sie sich eben anderswo Geschichten erzählen.