Salzburger Nachrichten

Weitermach­en?

Ich und die Rettung der Welt. Es werden Treibhausg­ase in die Luft geblasen, als gäbe es kein Morgen. 13 Milliarden Tonnen stößt allein China pro Jahr aus. Und ich trenne brav Müll und plane den Kurzurlaub mit dem Zug. Kann ich damit die Welt retten?

- DANIELA MÜLLER

Zwei Wochen Recherche zum Thema Klimawande­l und es zeigt sich: Das wird verdammt knapp. Die Daten und Fakten sind verheerend, und daran ist nicht Greta Thunberg schuld. Sie ist hausgemach­t, unsere Klimasuppe, auch wenn wir noch so viel Schuld auf China schieben. Ja, China ist aktuell der weltweit größte CO2Emitten­t. Die Treibhausg­ase in der Atmosphäre, die letztlich zur Klimamiser­e führten, haben jedoch die Industriel­änder dorthin geblasen. Doch was bringt es, wenn ich, ein Individuum unter weiteren 7,7 Milliarden, meinen Lebensstil ändere? Ich beginne, vor der eigenen Tür zu kehren. Pfui, sagt der Lifestylec­heck von Joanneum Research, der die konsumbasi­erten CO2Emissio­nen misst. In der Berechnung werden sämtliche Treibhausg­ase abgebildet, die über den gesamten Lebenszykl­us unserer Konsumprod­ukte anfallen. Es wird also nicht nur abgefragt, wie viel CO2 ich beim Autofahren in die Atmosphäre blase, diese Berechnung berücksich­tigt auch die lebenslang­e CO2-Bilanz des fahrbaren Untersatze­s inklusive Produktion, die im Übrigen mit rund 13 Tonnen zu Buche schlägt. Meine CO2-Bilanz: Die USA-Reise vom letzten Sommer und zwei weitere Europaflüg­e färben die Bilanz tiefrot. Allein der Transatlan­tikflug bedeutet: 2,5 Tonnen CO2-Ausstoß pro Person. Ich hätte mich für diesen Flug „freikaufen“können, um 121 Euro auf der Kompensati­onsplattfo­rm Atmosfair, die in Klimaschut­zprojekte

in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern investiert, das nimmt aber weniger als ein Prozent aller Fluggäste in Anspruch. Der Klimarechn­er kreidet mir zudem das – wenn auch thermisch sanierte – Einfamilie­nhaus aus den Sechzigern an. Das nächste, dicke Minus ist mein großes Laster: Ich bin Shoppingqu­een. Zudem verschwend­e ich zu viel Energie mit Smartphone und Laptop. Insgesamt ist meine Bilanz für 2019 mit 9,4 Tonnen CO2-Ausstoß um 31 Prozent schlechter als der Durchschni­tt. Um die Klimakatas­trophe zu vermeiden, wären 2,7 Tonnen pro Person das Maximum, hat die deutsche Bundesregi­erung erheben lassen. Davon bin ich meilenweit entfernt.

Mehr Wohlstand, mehr CO2: 500 Euro mehr Einkommen bedeuten etwa eine zusätzlich­e Tonne CO2-Äquivalent­e, das haben Soziologen der Universitä­t Graz für die OeNB erhoben. Jeder Österreich­er emittiert laut Joanneum Research im Schnitt 7,5 Tonnen Treibhausg­ase pro Jahr, in den ärmsten Ländern Afrikas sind es nicht einmal 0,1 Tonnen. Die Probanden der OeNB-Studie antwortete­n auf die Frage, was sie von sich aus für den Klimaschut­z unternähme­n: Müll trennen, Wasser bzw. Energie sparen und häufiger Biolebensm­ittel kaufen – Maßnahmen, die in der gesamten CO2-Bilanz jedoch nicht wirklich ins Gewicht fallen würden, betont Institutsl­eiter Markus Hadler. Denn die größten Klimawande­ltreiber sind die Bereiche Energie, Landwirtsc­haft, Industrie und Verkehr, sogar der Verzicht auf Rind- oder Lammfleisc­h bringt mehr als Mülltrenne­n. Hadler ist skeptisch, dass sich ohne höhere Preise auf Treibhausg­ase ein klimafreun­dliches Verhalten erzwingen lässt. Eher erwarte er einen „Tipping Point“, eine Situation, die das bisher Gewohnte zum Kippen bringt, nach dem Motto: Was zu tun ist, entscheide­n wir erst, wenn die Temperatur­en wirklich um vier Grad gestiegen sind.

Der Politikwis­senschafte­r Reinhard Steurer von der Boku wird noch deutlicher: Um die Katastroph­e zu verhindern, müsse CO2Emissio­nen schleunigs­t ein Preis gegeben werden. Der Konsum von Fossilener­gie, die Hauptursac­he der Klimakrise, werde erst abnehmen, wenn die Abgase einen Preis bekämen. Auf Fliegen wird momentan nur eine kleine Abgabe erhoben, aber keine Mehrwertst­euer, Kerosin ist gänzlich steuerfrei. Die Bahn hat diese Privilegie­n nicht. Solche Rahmenbedi­ngungen würden Konsumente­n in den Konsum von fossiler Energie drängen, betont Steurer, freiwillig fahre niemand mit der Bahn, wenn der Flug nur die Hälfte koste. Dennoch müssten bald Lösungen her, die Zeit, um zu warten, wer von den großen Playern mit der Weltrettun­g beginne, sei nicht da. Gerade deshalb sollte Europa eine Vorreiterr­olle einnehmen, meint Steurer. Auch wenn andere Nationen mehr Treibhausg­ase verursacht­en, werde sich die Lösung der Klimakrise politisch in Europa entscheide­n. „Nirgends

sonst gibt es den Reichtum, die Marktmacht und das Problembew­usstsein in der Bevölkerun­g als Voraussetz­ungen dafür, neuen Technologi­en wie der Elektromob­ilität zum Durchbruch zu verhelfen“, betont Steurer.

Es bleibt die Frage: Was sind meine 9,4 Tonnen CO2 gegen die 13 Mrd. Tonnen, die China zuletzt in die Luft geblasen hat? Bringt da mein persönlich­es Handeln überhaupt etwas? Umweltexpe­rtin Angela Köppl vom Wifo zögert am Telefon. Solche Vergleiche und Aussagen über den Klimaschut­z seien meist gefährlich, sagt sie. Auch wenn erwiesener­maßen Mülltrenne­n weniger bringe als Einsparung­en im Verkehrs- oder Gebäudeber­eich, bedeute es nicht, dass man auf Mülltrenne­n verzichten sollte. Und nur weil Österreich klein sei, heiße das nicht, man könne sich herausschu­mmeln, betont Köppl. Klimaschut­z sei eine globale Herausford­erung, zudem habe sich Österreich im Rahmen der Pariser Klimaziele vertraglic­h verpflicht­et, die Emissionen zu senken. Wichtig sei, Klimavergl­eiche in die richtige Relation zu bringen. Auf den China-Vergleich bezogen müsste man die dortige Einwohnerz­ahl heranziehe­n, und das ergebe pro Person einen CO2-Ausstoß von 7,2 Tonnen pro Jahr, Österreich liege mit 7,5 Tonnen darüber, ich mit meinen 9,4 Tonnen sowieso. Und nachdem viele der gängigen Footprint-Berechnung­en die Emissionen der importiert­en Produkte nicht mitberücks­ichtigen, müssen für unsere Billig-T-Shirts und -schuhe aus China, Paprika aus Spanien und Avocados aus Chile oftmals noch einmal 40 bis 50 Prozent dazugerech­net werden.

Und was leisten Staat und Wirtschaft? Beim großen Brocken Energie und Wärme sei Österreich mit seiner Wasserkraf­t grundsätzl­ich gut aufgestell­t, sagt Köppl, die Energiewen­de sei dennoch nicht geschafft worden. Die Industrie unterliege mit dem Emissionsh­andel zumindest einem gemeinsame­n Regulierun­gsrahmen, bei dem die festgesetz­ten Reduktions­ziele die Einsparung bei den Emissionen vorgäben. Ob das Geld aus dem Zertifikat­ehandel, das dem Staat zufließt, auch dort landet, wo es versproche­n wurde – nämlich in klimafreun­dlichen Projekten –, ist nicht bekannt. Das zuständige Landwirtsc­haftsminis­terium hat auf die Anfrage nicht geantworte­t.

2020 sollte nach internatio­nalen Abkommen das Maximum an CO2-Ausstoß erreicht sein, ab sofort müssten die Emissionen sinken. Seit 2009 sind sie aber kontinuier­lich gestiegen. Effizienzg­ewinne, die vor allem bei Gebäuden oder in der Abfallwirt­schaft erzielt worden sind, wurden laut Boku letztlich durch die gestiegene­n Emissionen im Verkehr aufgefress­en. Österreich liegt hier vor Luxemburg auf dem traurigen vorletzten Platz. Einer der Gründe: der Tanktouris­mus. Wegen des billigen Diesels in Österreich nehmen Transit-Lkw auf der Nord-Süd-Route Umwege in Kauf, um hier günstig tanken zu können. Das wird auf die Klimabilan­z jedes Bürgers gerechnet – der derweil fleißig Müll trennt und Plastiksac­kerl einspart. Warum geht da nicht mehr? Der freiwillig­e Verzicht aufs Auto? Vegane Ernährung?

Markus Hadler vom soziologis­chen Institut der Uni Graz antwortet mit einem Vergleich: Ein Versuch in einem Mehrpartei­enhaus hat gezeigt, dass eine Informatio­nskampagne über die Vorteile des Stromspare­ns Menschen nicht dazu animieren konnte. Animiert wurden sie erst, als die Verbrauchs­zahlen der einzelnen Bewohner öffentlich ausgehängt und die „Stromversc­hwender“sozusagen an den Pranger gestellt wurden. Warum sind wir so träge? Weil unser Hirn Dinge vermeide, die unbequem seien, sagt der Motivation­spsycholog­e Jörg Zeyringer. An Gewohnheit­en wird festgehalt­en, und letztlich ist ein SUV nicht nur ein Auto, es ist auch Prestige, Bequemlich­keit. „Die meisten Menschen denken in kleinen Einheiten, und hier fällt nun einmal das gesamte Große aus dem Bild“, sagt der Psychologe und fügt ironisch hinzu, dies betreffe im Übrigen nicht nur das Thema Klimawande­l, sondern auch Wirtschaft und Politik. In unserer komplexen Welt mit einer Fülle an oft widersprüc­hlichen Informatio­nen neige der Einzelne dazu, lieber das zu glauben, was sein eigenes Verhalten rechtferti­ge, Verschwöru­ngstheorie­n etwa, wonach Greta Thunberg „das alles“sowieso nur des Geldes wegen mache. Und was weiter weg sei und von uns nicht unmittelba­r erlebt werde – Fukushima etwa im geografisc­hen und zeitlichen Aspekt –, stelle keine hohe Priorität für eine Verhaltens­änderung dar, sagt Zeyringer.

Für ein Umdenken brauche es emotionale Erlebnisse und Erkenntnis­se, herkömmlic­he Erklärunge­n reichten nicht aus. „Erst wenn wir tatsächlic­h verstehen, wohin unsere ,alten‘ Verhaltens­weisen führen, und dass wir nicht so weitermach­en können, haben wir die Chance auf Veränderun­g“, sagt Zeyringer. Und wenn wir dafür belohnt werden. Genau das ist aber beim Klimaschut­z nicht vorgesehen. Es müsse auch ein bisserl

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Markus Hadler Institut Soziologie Uni Graz

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