Weitermachen?
Ich und die Rettung der Welt. Es werden Treibhausgase in die Luft geblasen, als gäbe es kein Morgen. 13 Milliarden Tonnen stößt allein China pro Jahr aus. Und ich trenne brav Müll und plane den Kurzurlaub mit dem Zug. Kann ich damit die Welt retten?
Zwei Wochen Recherche zum Thema Klimawandel und es zeigt sich: Das wird verdammt knapp. Die Daten und Fakten sind verheerend, und daran ist nicht Greta Thunberg schuld. Sie ist hausgemacht, unsere Klimasuppe, auch wenn wir noch so viel Schuld auf China schieben. Ja, China ist aktuell der weltweit größte CO2Emittent. Die Treibhausgase in der Atmosphäre, die letztlich zur Klimamisere führten, haben jedoch die Industrieländer dorthin geblasen. Doch was bringt es, wenn ich, ein Individuum unter weiteren 7,7 Milliarden, meinen Lebensstil ändere? Ich beginne, vor der eigenen Tür zu kehren. Pfui, sagt der Lifestylecheck von Joanneum Research, der die konsumbasierten CO2Emissionen misst. In der Berechnung werden sämtliche Treibhausgase abgebildet, die über den gesamten Lebenszyklus unserer Konsumprodukte anfallen. Es wird also nicht nur abgefragt, wie viel CO2 ich beim Autofahren in die Atmosphäre blase, diese Berechnung berücksichtigt auch die lebenslange CO2-Bilanz des fahrbaren Untersatzes inklusive Produktion, die im Übrigen mit rund 13 Tonnen zu Buche schlägt. Meine CO2-Bilanz: Die USA-Reise vom letzten Sommer und zwei weitere Europaflüge färben die Bilanz tiefrot. Allein der Transatlantikflug bedeutet: 2,5 Tonnen CO2-Ausstoß pro Person. Ich hätte mich für diesen Flug „freikaufen“können, um 121 Euro auf der Kompensationsplattform Atmosfair, die in Klimaschutzprojekte
in Entwicklungs- und Schwellenländern investiert, das nimmt aber weniger als ein Prozent aller Fluggäste in Anspruch. Der Klimarechner kreidet mir zudem das – wenn auch thermisch sanierte – Einfamilienhaus aus den Sechzigern an. Das nächste, dicke Minus ist mein großes Laster: Ich bin Shoppingqueen. Zudem verschwende ich zu viel Energie mit Smartphone und Laptop. Insgesamt ist meine Bilanz für 2019 mit 9,4 Tonnen CO2-Ausstoß um 31 Prozent schlechter als der Durchschnitt. Um die Klimakatastrophe zu vermeiden, wären 2,7 Tonnen pro Person das Maximum, hat die deutsche Bundesregierung erheben lassen. Davon bin ich meilenweit entfernt.
Mehr Wohlstand, mehr CO2: 500 Euro mehr Einkommen bedeuten etwa eine zusätzliche Tonne CO2-Äquivalente, das haben Soziologen der Universität Graz für die OeNB erhoben. Jeder Österreicher emittiert laut Joanneum Research im Schnitt 7,5 Tonnen Treibhausgase pro Jahr, in den ärmsten Ländern Afrikas sind es nicht einmal 0,1 Tonnen. Die Probanden der OeNB-Studie antworteten auf die Frage, was sie von sich aus für den Klimaschutz unternähmen: Müll trennen, Wasser bzw. Energie sparen und häufiger Biolebensmittel kaufen – Maßnahmen, die in der gesamten CO2-Bilanz jedoch nicht wirklich ins Gewicht fallen würden, betont Institutsleiter Markus Hadler. Denn die größten Klimawandeltreiber sind die Bereiche Energie, Landwirtschaft, Industrie und Verkehr, sogar der Verzicht auf Rind- oder Lammfleisch bringt mehr als Mülltrennen. Hadler ist skeptisch, dass sich ohne höhere Preise auf Treibhausgase ein klimafreundliches Verhalten erzwingen lässt. Eher erwarte er einen „Tipping Point“, eine Situation, die das bisher Gewohnte zum Kippen bringt, nach dem Motto: Was zu tun ist, entscheiden wir erst, wenn die Temperaturen wirklich um vier Grad gestiegen sind.
Der Politikwissenschafter Reinhard Steurer von der Boku wird noch deutlicher: Um die Katastrophe zu verhindern, müsse CO2Emissionen schleunigst ein Preis gegeben werden. Der Konsum von Fossilenergie, die Hauptursache der Klimakrise, werde erst abnehmen, wenn die Abgase einen Preis bekämen. Auf Fliegen wird momentan nur eine kleine Abgabe erhoben, aber keine Mehrwertsteuer, Kerosin ist gänzlich steuerfrei. Die Bahn hat diese Privilegien nicht. Solche Rahmenbedingungen würden Konsumenten in den Konsum von fossiler Energie drängen, betont Steurer, freiwillig fahre niemand mit der Bahn, wenn der Flug nur die Hälfte koste. Dennoch müssten bald Lösungen her, die Zeit, um zu warten, wer von den großen Playern mit der Weltrettung beginne, sei nicht da. Gerade deshalb sollte Europa eine Vorreiterrolle einnehmen, meint Steurer. Auch wenn andere Nationen mehr Treibhausgase verursachten, werde sich die Lösung der Klimakrise politisch in Europa entscheiden. „Nirgends
sonst gibt es den Reichtum, die Marktmacht und das Problembewusstsein in der Bevölkerung als Voraussetzungen dafür, neuen Technologien wie der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen“, betont Steurer.
Es bleibt die Frage: Was sind meine 9,4 Tonnen CO2 gegen die 13 Mrd. Tonnen, die China zuletzt in die Luft geblasen hat? Bringt da mein persönliches Handeln überhaupt etwas? Umweltexpertin Angela Köppl vom Wifo zögert am Telefon. Solche Vergleiche und Aussagen über den Klimaschutz seien meist gefährlich, sagt sie. Auch wenn erwiesenermaßen Mülltrennen weniger bringe als Einsparungen im Verkehrs- oder Gebäudebereich, bedeute es nicht, dass man auf Mülltrennen verzichten sollte. Und nur weil Österreich klein sei, heiße das nicht, man könne sich herausschummeln, betont Köppl. Klimaschutz sei eine globale Herausforderung, zudem habe sich Österreich im Rahmen der Pariser Klimaziele vertraglich verpflichtet, die Emissionen zu senken. Wichtig sei, Klimavergleiche in die richtige Relation zu bringen. Auf den China-Vergleich bezogen müsste man die dortige Einwohnerzahl heranziehen, und das ergebe pro Person einen CO2-Ausstoß von 7,2 Tonnen pro Jahr, Österreich liege mit 7,5 Tonnen darüber, ich mit meinen 9,4 Tonnen sowieso. Und nachdem viele der gängigen Footprint-Berechnungen die Emissionen der importierten Produkte nicht mitberücksichtigen, müssen für unsere Billig-T-Shirts und -schuhe aus China, Paprika aus Spanien und Avocados aus Chile oftmals noch einmal 40 bis 50 Prozent dazugerechnet werden.
Und was leisten Staat und Wirtschaft? Beim großen Brocken Energie und Wärme sei Österreich mit seiner Wasserkraft grundsätzlich gut aufgestellt, sagt Köppl, die Energiewende sei dennoch nicht geschafft worden. Die Industrie unterliege mit dem Emissionshandel zumindest einem gemeinsamen Regulierungsrahmen, bei dem die festgesetzten Reduktionsziele die Einsparung bei den Emissionen vorgäben. Ob das Geld aus dem Zertifikatehandel, das dem Staat zufließt, auch dort landet, wo es versprochen wurde – nämlich in klimafreundlichen Projekten –, ist nicht bekannt. Das zuständige Landwirtschaftsministerium hat auf die Anfrage nicht geantwortet.
2020 sollte nach internationalen Abkommen das Maximum an CO2-Ausstoß erreicht sein, ab sofort müssten die Emissionen sinken. Seit 2009 sind sie aber kontinuierlich gestiegen. Effizienzgewinne, die vor allem bei Gebäuden oder in der Abfallwirtschaft erzielt worden sind, wurden laut Boku letztlich durch die gestiegenen Emissionen im Verkehr aufgefressen. Österreich liegt hier vor Luxemburg auf dem traurigen vorletzten Platz. Einer der Gründe: der Tanktourismus. Wegen des billigen Diesels in Österreich nehmen Transit-Lkw auf der Nord-Süd-Route Umwege in Kauf, um hier günstig tanken zu können. Das wird auf die Klimabilanz jedes Bürgers gerechnet – der derweil fleißig Müll trennt und Plastiksackerl einspart. Warum geht da nicht mehr? Der freiwillige Verzicht aufs Auto? Vegane Ernährung?
Markus Hadler vom soziologischen Institut der Uni Graz antwortet mit einem Vergleich: Ein Versuch in einem Mehrparteienhaus hat gezeigt, dass eine Informationskampagne über die Vorteile des Stromsparens Menschen nicht dazu animieren konnte. Animiert wurden sie erst, als die Verbrauchszahlen der einzelnen Bewohner öffentlich ausgehängt und die „Stromverschwender“sozusagen an den Pranger gestellt wurden. Warum sind wir so träge? Weil unser Hirn Dinge vermeide, die unbequem seien, sagt der Motivationspsychologe Jörg Zeyringer. An Gewohnheiten wird festgehalten, und letztlich ist ein SUV nicht nur ein Auto, es ist auch Prestige, Bequemlichkeit. „Die meisten Menschen denken in kleinen Einheiten, und hier fällt nun einmal das gesamte Große aus dem Bild“, sagt der Psychologe und fügt ironisch hinzu, dies betreffe im Übrigen nicht nur das Thema Klimawandel, sondern auch Wirtschaft und Politik. In unserer komplexen Welt mit einer Fülle an oft widersprüchlichen Informationen neige der Einzelne dazu, lieber das zu glauben, was sein eigenes Verhalten rechtfertige, Verschwörungstheorien etwa, wonach Greta Thunberg „das alles“sowieso nur des Geldes wegen mache. Und was weiter weg sei und von uns nicht unmittelbar erlebt werde – Fukushima etwa im geografischen und zeitlichen Aspekt –, stelle keine hohe Priorität für eine Verhaltensänderung dar, sagt Zeyringer.
Für ein Umdenken brauche es emotionale Erlebnisse und Erkenntnisse, herkömmliche Erklärungen reichten nicht aus. „Erst wenn wir tatsächlich verstehen, wohin unsere ,alten‘ Verhaltensweisen führen, und dass wir nicht so weitermachen können, haben wir die Chance auf Veränderung“, sagt Zeyringer. Und wenn wir dafür belohnt werden. Genau das ist aber beim Klimaschutz nicht vorgesehen. Es müsse auch ein bisserl